Pflegebedürftiger und Abrechnungsformular
Bildrechte: picture alliance

Pflegebedürftigkeit: Wer trägt die Kosten ?

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Elternunterhalt: Freigrenzen belasten Bezirke

Um etwa 22 Prozent sind seit Januar 2020 die Kosten der Hilfe zur Pflege für Bayerns Bezirke gestiegen, auch weil die Zahlungspflicht vieler Kinder entfiel. Kritisch wird Elternunterhalt seither für Verdiener mit knapp über 100.000 Euro Jahresbrutto.

Die Zahl der betroffenen Kinder, die in Bayern zum Elternunterhalt wegen Hilfe zur Pflege verpflichtet werden, ist erheblich gesunken. Aktuell verlangen die Sozialämter in Bayern nur noch in 0,2 (Mittelfranken) bis 1,9 (Oberfranken) Prozent der Fälle von Angehörigen Elternunterhalt. Ein Grund: Das Angehörigenentlastungsgesetz sorgt seit 1.1.2020 für eine Freigrenze von 100.000 Euro Jahreseinkommen. Nur, wer als Sohn oder Tochter mehr hat – und sei es nur 1 Euro – wird von den Sozialbehörden unter bestimmten Voraussetzungen zu Zahlungen herangezogen.

Sozialausgaben steigen entsprechend stark an

Doch die Entlastung vieler zahlender Angehöriger hat im Gegenzug die Kosten der Bezirke für die Hilfe zur Pflege stark erhöht. Allein im Bezirk Oberbayern gab es in den vergangenen zwei Jahren eine Ausgabensteigerung von 23 Prozent auf insgesamt 330,6 Millionen Euro.

Allerdings liegt das auch an steigenden Entgelten im Pflegebereich, die viele Betroffene zum Sozialamt treiben, wenn die Rente nicht mehr reicht. Den stärksten Anstieg verzeichnete die Oberpfalz mit 29 Prozent, am geringsten stiegen die Ausgaben in Mittelfranken mit 16 Prozent.

BR24 hat die aktuellen Daten in sämtlichen bayerischen Regierungsbezirken ermittelt. Die Ausgaben der Bezirke für die Hilfe zur Pflege betrugen zum 31.12.2021 zwischen 54,7 (Unterfranken) und 330,6 (Oberbayern) Millionen Euro. Weil sich die bayerischen Bezirke in Sozial-und Altersstruktur unterscheiden, bietet sich ein Vergleich der Kosten pro Einwohner an. Die liegen nach BR24-Berechnungen im Mittel über alle bayerischen Bezirke bei 60 Euro.

Sozialämter erwarten weiteren Ausgabenanstieg für Hilfe zur Pflege

Die zuständigen Fachleute in Bayerns Sozialbehörden erwarten "einen Anstieg der Anträge auf Hilfe zur Pflege wegen steigender Heimkosten", so zum Beispiel Norbert Hahn, Leiter des Arbeitsbereichs Hilfe zur Pflege im Bezirk Mittelfranken. Ausgabensenkend ausgewirkt habe sich in den vergangenen Jahren zudem die Corona-Pandemie, weil viele Pflegebedürftige nicht in einer Pflegeeinrichtung aufgenommen werden konnten bzw. aufgenommen werden wollten.

Umso stärker steigende Zahlen wegen dieses Basiseffektes werden künftig erwartet. Ohnehin geht der Trend in Richtung stetig ansteigender Fallzahlen bei der Hilfe zur Pflege, so eine Sprecherin des Bezirks Oberbayern.

Woher erhalten die Sozialbehörden die nötigen Informationen?

Pflegebedürftige, deren Einkünfte oder Vermögen nicht zur Deckung der Pflege-und Heimkosten ausreicht, können einen Antrag auf Hilfe zur Pflege stellen. Dieser Sozialhilfeantrag verlangt Angaben direkt zum Jahreseinkommen (falls bekannt) bzw. zum ausgeübten Beruf der Kinder.

Nur bei der Angabe eines Jahreseinkommens über 100.000 Euro beziehungsweise eines Berufes, der auf ein entsprechendes Jahreseinkommen schließen lässt, tritt der zuständige Bezirk an die unterhaltspflichtigen Personen heran. In einem ersten Schritt wird ihnen vor Erhebung weiterer Daten Gelegenheit gegeben, anhand geeigneter Nachweise das Vorliegen eines entsprechenden Jahreseinkommens zu widerlegen. Weil der Bezugspunkt immer das Jahreseinkommen ist, ist der Steuerbescheid des Vorjahres der geeignetste Nachweis. Falls die Kinder selbständig unternehmerisch tätig sind, wird ein jahrelanges Durchschnittseinkommen ermittelt.

Eine komplette und damit unter Umständen sehr umfangreiche Datenerhebung erfolgt erst, wenn sicher ist, dass die unterhaltspflichtige Person über ein Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro verfügt, so der Bezirk Oberbayern zu BR24.

Was erwartet Angehörige mit über 100.000 Euro Jahresbrutto?

Auch zwei Jahre nach Einführung des Angehörigenentlastungsgesetzes hat der Gesetzgeber immer noch keine verbindlichen Rechenregeln vorgegeben. Man kann also nicht automatisch davon ausgehen, dass Angehörige in Flensburg genauso viel zahlen wie in Berchtesgaden. Die Sozialämter in Bayern orientieren sich daher an den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Gerichte in Süddeutschland.

Bei einem Jahresbruttoeinkommen von über 100.000 Euro ist eine Leistungsfähigkeit nur in absoluten Ausnahmefällen nicht gegeben. Als Beispiel nennt der Bezirk Oberbayern einen knapp über der 100.000 Euro-Grenze liegenden Alleinverdiener mit mehreren minderjährigen Kindern und hoher Immobilienfinanzierung. Die Frage nach der Höhe der zu leistenden Zahlung sei wesentlich schwieriger zu beantworten. Hierzu würden umfangreiche Daten der Person benötigt. Es werde jeder Einzelfall für sich betrachtet.

So rechnen die Sozialämter

Der Bezirk Oberbayern geht beispielsweise nach folgendem Schema vor:

Ausgangspunkt ist die Summe aller Einnahmen (Bruttojahreseinkommen). Von diesem Einkommen sind diverse Bereinigungsposten (Steuern, Sozialabgaben, Werbungskosten, zusätzliche Altersvorsorge, vorrangige Unterhaltspflichten u. v. m.) abzuziehen. Gegebenenfalls ist zusätzliches Einkommen anzurechnen (Wohnwert der selbstbewohnten Immobilie, Kapitaleinkünfte). Das Ergebnis ist das unterhaltrechtlich relevante Jahreseinkommen. Weiter wird mit dem unterhaltrechtlich relevanten Monatseinkommen gerechnet.

Vom unterhaltrechtlich relevanten Monatseinkommen ist der angemessene unterhaltsrechtliche Selbstbehalt (letzte Erhöhung zum 1.1.2020 auf 2.000 Euro/Monat) abzuziehen. Gegebenenfalls ist der Selbstbehalt wegen Mietkosten (Warmmiete) über dem im Selbstbehalt bereits enthaltenen Betrag (700 Euro bei alleinstehenden Personen / 1.230 bei verheirateten Personen) zu erhöhen.

Vom Einkommen über dem Selbstbehalt haben alleinstehende unterhaltspflichtige Personen 50 Prozent als Unterhalt zu leisten. Bei verheirateten unterhaltspflichtigen Personen sind 45 Prozent des Einkommens, das den gemeinsamen Selbstbehalt (letzte Erhöhung zum 1.1.2020 auf 3.580 Euro/Monat) bezogen auf das gemeinsame (bereinigte) Einkommen übersteigt, als Unterhalt zu leisten.

Rechenhilfe für betroffene Angehörige im Internet

Zur finanziellen Belastung kann der Elternunterhalt für Kinder werden, die im letzten Abschnitt ihres Berufslebens als leitende Angestellte tätig sind, daher zwar knapp über der 100.000-Freigrenze verdienen, aber entsprechen hohe Steuerlasten und die ballungsraumtypischen Lebenshaltungskosten etwa in München, Augsburg oder Nürnberg schultern müssen. Dass dies gar nicht so untypisch ist, zeigt der Blick auf die Demographie der Babyboomer, die in den 1960er Jahrgängen geboren wurden, fünf bis acht Jahre vor der Rente stehen und deren noch lebende Eltern mit 85 aufwärts hochbetagt und nicht selten pflegebedürftig sind.

Wer wissen möchte, ob und wie hoch seine möglichen Verpflichtungen sind, kann sich vor dem Gang zu den Behörden im Internet orientieren. Die Verbraucherzentralen bieten FAQ-Listen zum Elternunterhalt und empfehlen Elternunterhaltsrechner wie den der juristischen Fachzeitschrift "Familienrechtsberater" die kostenfrei und sofort anwendbar im Netz zur Verfügung stehen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!