Ein Containerschiff legt am Containerterminal Eurogate im Waltershofer Hafen in Hamburg an.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Christian Charisius

Friend-Shoring: Nur noch Handel mit befreundeten Staaten?!

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Friend-Shoring: Nur noch Handel mit befreundeten Staaten?

In der Wirtschaftsberichterstattung taucht gerade immer wieder ein neuer Begriff auf: Friend-Shoring. Das bedeutet, dass nur noch Handel mit Ländern betrieben wird, die ähnliche Werte teilen. Für Deutschland könnte das aber große Nachteile haben.

Die schädliche Abhängigkeit von russischem Erdgas und die zunehmende Dominanz von China lassen den Wunsch aufkommen, Handel nur noch mit "befreundeten" Staaten zu betreiben. Friend-Shoring nennt US-Finanzministerin Janet Yellen diesen Trend, keinen Handel mehr mit zweifelhaften Partnerländern zu betreiben. Möglicherweise geht das auch auf politische Bestrebungen der USA zurück, die wirtschaftliche Führungsrolle in den nächsten Jahren nicht an China zu verlieren.

Die EU und Deutschland befinden sich in dieser Auseinandersetzung zwischen den Fronten, weil sie seit dem unberechenbaren US-Präsidenten Donald Trump auch nicht mehr einseitig auf die US-Partnerschaft setzen wollen. Außerdem profitierte Deutschland von allen europäischen Ländern mit am stärksten von der Globalisierung und dem freien Welthandel, die mit dem Friend-Shoring zurückgedrängt würden. Gerade für Deutschland hätte die neue Handelspolitik erhebliche Nachteile.

Deutschland und EU fürchten bei Friend-Shoring um ihr Export-Modell

Die USA und Australien wollen nicht nur Russland sondern auch China wirtschaftlich zurückdrängen und zum Beispiel im Asien-Pazifikraum verstärkt mit anderen Ländern Geschäfte machen. Für Deutschland, das etwa in der Automobilindustrie stark von China abhängig ist, scheint ein solches Friend-Shoring Modell keine gute Idee zu sein.

Markus Brunnermeier von der Princeton University sagt beispielsweise: "Das Problem ist dann: Wer entscheidet, wer ein Freund ist und wer ein Nicht-Freund ist." Es könne auch geschehen, dass irgendwann ein Freund ein Nicht-Freund werde und das plötzlich zu großen Verwerfungen führe, weil sich alles anpassen muss. Und das sei dann sehr politisch ausgerichtet.

Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und politischen Zielen

Es sei nicht im Interesse der Wirtschaft, wenn mit dem Welthandel zu viel Politik gemacht wird, meint Brunnermeier. Vor allem das Exportland Deutschland könnte beim Friend-Shoring zum Verlierer werden. Konsum und Inlandsnachfrage sind bei uns oft zu schwach, um einen positiven Wachstumsbeitrag zu liefern. Vereinfacht gesagt, lebt Deutschland zu Hause eher unter seinen Verhältnissen und investiert dafür viel im Ausland, um dort in der Nähe der weltweiten Kunden auch Gewinne zu generieren.

Die USA sind von Friend-Shoring und anderen Abschottungstendenzen dagegen nicht so stark betroffen wie viele europäische Länder. Während das deutsche Wirtschaftswachstum vor allem von Export- und Handelsüberschüssen lebt, verlassen sich die USA auf ihre starke Binnenwirtschaft. Der US-Markt steht weltweit für die größte Inlandsnachfrage - vor allem nach Konsumgütern - mit extrem ausgabefreudigen Verbrauchern, die lieber auf Pump leben, statt zu sparen.

Die Regierung in Washington könnte sich mit Handelsbarrieren wie Zöllen zwar selbst schaden. Aber viele Lieferanten können trotzdem nicht auf ihre Einfuhren nach Amerika verzichten. Das gilt auch für die inzwischen größte Exportnation China. Die USA würden gerne mehr Waren von anderen Ländern beziehen und die chinesische Dominanz durchbrechen, die bei vielen Produkten inzwischen besteht.

Abhängigkeiten sollen verringert werden

Auch in Europa werden inzwischen mit tatkräftiger Unterstützung der EU und ihren Subventionen mehr Fabriken für Computerchips und andere Produkte gebaut, wie etwa Batterien für E-Autos, die vorher fast ausschließlich aus Fernost oder China kamen. Das hat während der Corona-Pandemie und der anschließenden Lieferkrise zu zahlreichen Unterbrechungen der Produktion geführt. Vor allem die Abhängigkeit soll reduziert werden von Ländern, wo man politische Schwierigkeiten bis hin zu feindlichen Handlungen befürchten muss.

Das ist auch eine Lehre, die Unternehmen jetzt aus dem Ukraine-Krieg ziehen. Jahrzehntelang war die deutsche Industrie wegen der besonders günstigen Energie- und Rohstofflieferungen aus Russland - vor allem bei Gas und Öl - vielleicht wettbewerbsfähiger als andere. Doch der Preis, der dafür zu zahlen war, ist die aktuelle Gas-Krise, unter der die deutsche Wirtschaft nun besonders stark zu leiden hat.

Freie Handelsströme könnten weniger werden

Die Unternehmen müssten sich auch sonst darauf einstellen, dass durch die Politik Risiken in den Lieferketten zunehmen, schreibt Ulrich Leuchtmann, Leiter Devisenanalyse bei der Commerzbank: "Der Brexit und der Handelskrieg der US-Regierung unter Donald Trump mit China haben deutlich gemacht, dass der seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu beobachtende Prozess zunehmenden Freihandels auszulaufen scheint." Handelsbeziehungen würden, so scheine es, in zunehmendem Maße zum Instrument von Politik.

So zeigt für Leuchtmann Chinas "wirtschaftlich desaströse" Null-Covid-Politik, dass die kommunistische Führung in Peking nicht – wie viele lange glaubten – ökonomischen Erfolg zum Primat ihrer Politik macht, sondern dass andere politische Ziele Vorrang haben können.

Friend-Shoring sichert ähnliche politische und soziale Standards

In der EU wurden in den letzten Jahren – wie inzwischen auch in Deutschland – Lieferkettengesetze beschlossen, die von Unternehmen neue Sorgfaltspflichten verlangen. Sie sollen bei der Herstellung ihrer Produkte darauf achten, dass in der Lieferkette - auch bei ihren Zulieferern - soziale Mindeststandard eingehalten werden. Dazu gehören die Einhaltung der Menschenrechte oder das Verbot von Kinderarbeit.

Weitere Aspekte sind Klimaschutz oder die Frage nach der Staatsführung, bei der es sehr politisch wird. Daneben müssen Unternehmen sich an internationale Sanktionen wie zurzeit gegen Russland, Iran oder Venezuela halten.

Wettbewerbsvorteile durch politisch korrekte Produktion

Auch hier sieht Commerzbank-Experte Leuchtmann globale Trends, die aber nicht nur Nachteile für Unternehmen mit sich bringen müssen. Umgekehrt bieten sich damit vielleicht auch Chancen, um am Ende zu einem faireren Welthandel zu kommen. Das ist Leuchtmann zufolge unter anderem auf ein geändertes Bewusstsein bei den Verbrauchern zurück zu führen, die träfen ihre Konsumentscheidungen in zunehmendem Umfang nicht mehr nur auf Grundlage von Preis und Qualität der angebotenen Waren: "Mehr und mehr werden auch die Umstände der Produktion zu einem relevanten Faktor von Kaufentscheidungen. Sei es, dass Fleisch und Wurst mit einem Preisaufschlag verkauft werden können, wenn ein tierfreundliche Haltungsform ausgewiesen wird; sei es, dass Produkte, die nachweislich ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, einen höheren Preis erzielen als vergleichbare Produkte ohne diesen Nachweis".

So gebe es inzwischen erste Indikatoren dafür, dass auch politische Umstände in den Produktionsländern für Konsumenten zunehmend relevant sind. So müssten westliche Unternehmen, die weiterhin in Russland Geschäfte machen, schmerzhafte Reputationsverluste hinnehmen. Eine Folge sei, dass viele die Russland-Sanktionen sogar übererfüllen und sich freiwillig ganz aus dem Land zurückziehen, aus Angst sonst ihre Kunden zu verlieren.

Produktion in Uiguren-Region Xinjiang in der Kritik

Leuchtmann nennt auch Industriekonzerne, die in der von Uiguren besiedelten chinesischen Region Xinjiang produzieren, und im Westen zunehmender Kritik ausgesetzt sind. Inzwischen gibt es viele Belege dafür, dass China in dieser Region auf besonders gravierende Weise Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten missachtet. Deutschlands größter Konzern VW unterhält dort zusammen mit einem chinesischen Partnerunternehmen eine große Fahrzeugfabrik und weist alle Kritik von sich.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!