Oliver Bellenhaus (mitte) und Markus Braun (rechts) im Gerichtssaal.
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Ex-Wirecard-Manager Oliver Bellenhaus hat am dritten Prozesstag ausführlich ausgesagt und den früheren Vorstandschef Markus Braun belastet.

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Tag Drei: Ex-Manager Bellenhaus nennt Wirecard "Krebsgeschwür"

Im Wirecard-Prozess greift der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, Oliver Bellenhaus, den ehemaligen Vorstandschef Markus Braun scharf an. Über die Aussetzung des Verfahrens wird wohl erst im kommenden Jahr entschieden.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Er spricht schnell, oft leise und stundenlang: Im Wirecard-Strafprozess hatte am Montag der Kronzeuge Oliver Bellenhaus das Wort. Im ersten Teil seiner Ausführungen versuchte er klarzumachen, wo aus seiner Sicht die Verantwortung für den milliardenschweren mutmaßlichen Betrug lag: beim langjährigen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun.

Laut Bellenhaus, der Wirecard Statthalter in Dubai war, hatte Braun den Zahlungsdienstleister aus Aschheim auf sich "ausgerichtet". Markus Braun sei ein "absolutistischer" Firmenchef gewesen, die "zentrale Macht in der Wirecard". Die Firma selbst nannte er ein "Krebsgeschwür, das im Markt wild und unentdeckt wucherte".

Bellenhaus: "Braun sieht sich als Opfer"

Nachmittags setzte sich Bellenhaus vor allem mit der These der Verteidiger von Markus Braun auseinander, das sogenannte Drittpartnergeschäft habe es doch gegeben. Erträge in Milliardenhöhe hätten jedoch der flüchtige Ex-Vorstand Jan Marsalek und Oliver Bellenhaus veruntreut. Diese Vorwürfe bezeichnete Bellenhaus als "absurd" und nicht mit logischem Denken vereinbar. Braun geriere sich als "Opfer". Es handle sich um ein "Ablenkungsmanöver, bewusste Fehlinterpretationen und Lügen".

Schwere Vorwürfe der Verteidigung

Dass der Tag abermals konfrontativ verlaufen würde, zeigte sich schon zu Beginn der Verhandlung: Der Vorsitzende Richter Markus Födisch erteilte abermals Markus Brauns Verteidiger Alfred Dierlamm das Wort. Dieser brachte eine ergänzende Erklärung zu seinem Antrag aus der vergangenen Woche ein, das Verfahren auszusetzen. Dierlamm machte der Staatsanwaltschaft dabei schwere Vorwürfe: Diese würde die Verfahrensbeteiligten mit neuen Akten "regelrecht überfluten". Teils würden auch Akten zurückgehalten und nach "Gutdünken" in das Verfahren eingeführt. Auch habe die Staatsanwaltschaft bis zur Erhebung der Anklage im März 2022 keine Geldflüsse auf Konten von Drittpartnern ermittelt. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass Markus Braun nicht aus der Untersuchungshaft entlassen werde. Das Verfahren sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar.

Entscheidung über Verfahrensaussetzung wohl erst 2023

Die Staatsanwaltschaft München fordert demgegenüber vom Landgericht, die Anträge zur Aussetzung des Verfahrens abzulehnen. Sprecherin Anne Leiding teilte dem BR mit: "Die von der Verteidigung geforderten Ermittlungen zu weiteren Zahlungsströmen sind nach Ansicht der Staatsanwaltschaft irrelevant." Denn in dem Verfahren gehe es um die Konten von drei sogenannten Drittpartnern namens Al Alam, Payeasy und Senjo. Nur hinsichtlich dieser Firmen werde der Vorwurf erhoben, dass "Treuhandguthaben bilanziert wurden, obwohl sie tatsächlich nie existierten".

Das Gericht wird über den Antrag zur Aussetzung des Verfahrens wahrscheinlich in diesem Jahr nicht mehr entscheiden.

Von kleinen Grenzüberschreitungen zu kriminellen Handlungen

Der Kronzeuge Oliver Bellenhaus stützte bei seinen stundenlangen Ausführungen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, das sogenannte Drittpartnergeschäft sei erfunden. Er habe aktiv an dem "Betrugssystem" mitgewirkt, wofür er sich entschuldige. Bellenhaus sagte, er habe zum inneren Kreis gehört. Aufkommende Bedenken habe er zugunsten seiner Karriere beiseite gewischt: "Zu Beginn kam es zu kleineren Grenzüberschreitungen, über die gesamte Strecke meiner Tätigkeit wurden daraus über die Jahre schlichtweg kriminelle Handlungen."

Der ehemalige Vorstandchef habe die unangenehmen Dinge seine "Adlaten" erledigen lassen. Jan Marsalek sei für den "lästigen Alltagskram" zuständig gewesen. Der ehemalige Chefbuchhalter Stephan von Erffa habe "Details zu den geschönten Bilanzen" erledigt. Bellenhaus selbst hatte Verantwortung für das gefälschte Drittpartnergeschäft. So frisierte er die Abrechnungen der angeblichen Drittpartner, in enger Abstimmung mit dem Chefbuchhalter. Dieser machte Vorgaben, welche Umsätze und Gewinne erreicht werden mussten. Das war erst möglich, sobald die Zahlen aus dem legalen Geschäft der Wirecard vorlagen. Daher wurden die Abrechnungen der Drittpartner regelmäßig sehr spät eingereicht.

Auch führte Bellenhaus aus, wie er von Dubai aus Protokolle für die Wirtschaftsprüfer fälschte, die dann in "vielfachen Abstimmungsrunden" mit dem flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek und dem ebenfalls angeklagten Chefbuchhalter Stephan von Erffa erörtert wurden.

Oftmals "unwahrscheinliches Glück gehabt"

Der Umgang mit der Sonderprüfung durch KPMG sei dann ab Herbst 2019 auf höchster Ebene vorbereitet worden. Laut Bellenhaus habe es dazu ein Treffen in Brauns Büro mit Marsalek, von Erffa und ihm gegeben. Braun habe die Losung verbreitet, die Sonderprüfung werde ablaufen, "wie die vergangenen Prüfungen und bis Weihnachten wäre alles abgeschlossen". Braun würde das "Handling" der Prüfer übernehmen und dafür sorgen, "die Anforderungen erfüllbar blieben". Wichtig war dabei, Daten über angebliche Transaktionen der Drittpartner bereitzustellen. Dazu haben Marsalek und die beiden Spezialisten Manoj S. und Edo K. extra eine neue Architektur für einen "Data Generator" gebaut. Damit gelang es offenbar, nachträglich generierte Daten über das Wirecard-System Elastic Engine zu schleusen und die Sonderprüfer von der Echtheit zu überzeugen. Insgesamt hätten Braun und Marsalek oftmals "unwahrscheinliches Glück gehabt". Selbst der KPMG-Bericht war "nicht so deutlich formuliert, wie er hätte sein müssen".

Die "Legende" vom Drittpartnergeschäft

Die These der Verteidigung von Markus Braun, es habe sehr wohl ein Drittpartnergeschäft gegeben, dessen Erlöse seien aber auch von Bellenhaus veruntreut worden, bezeichnete der ehemalige Wirecard-Mitarbeiter als "Legende". Dafür fehle schon das Motiv: "Es ergibt nun mal keinen Sinn, dass eine Bande über Jahrzehnte die Erträge aus einem vermeintlichen TPA-Geschäft, zu dem die Wirecard nichts beiträgt, veruntreut, anstatt dieses Geschäft selbst zu übernehmen".

Auch die Daten von Konten der Drittpartner seien kein Beleg, dass das Drittpartnergeschäft doch existiert hat. Wenn dies Gebühren seien, die Händler an die Drittpartner zahlten, dann wäre dies "betriebswirtschaftlich völlig absurd". Mit dieser "Selbstzahlertheorie" versuche Braun zu verschleiern, dass die Gelder auf den Konten der Drittpartner nicht, wie eigentlich üblich, von Banken stammen.

Dieses Thema wird auch den letzten Prozesstag vor Weihnachten (Mittwoch) bestimmen. Der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft will dazu weitere Ausführungen machen.

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