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Der Ticket- und Veranstaltungskonzern CTS Eventim ist Marktführer in Deutschland.

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Eventim: Wie der Ticketkonzern am Kartellamt vorbei wuchs

Wer Konzerttickets kauft, kennt Eventim. Der Ticket- und Veranstaltungskonzern ist Marktführer in Deutschland – und er wächst weiter. Nach BR-Recherchen hat Eventim seine Marktmacht auch am Kartellamt vorbei ausgebaut.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Anfang Juni ist es wieder soweit: Es startet einer der Höhepunkte der Festivalsaison, Rock am Ring und das Zwillingsfestival Rock im Park in Nürnberg. Veranstalter ist unter anderem Eventim. Und die Tickets gibt es auch bei Eventim. Der Konzern dominiert das Live-Musikgeschäft in Deutschland und Europa.

Auf der Festivalbühne: Kontra K, Giant Rooks, Flogging Molly. Zusammen mit zahlreichen weiteren Künstlerinnen und Künstlern tauchen diese drei Acts im Sommer 2020 auf der Homepage der neu gegründeten "All Artists Agency" auf. Man biete eine "ganzheitliche und vollumfängliche Betreuung" nationaler und internationaler Acts, heißt es dort. Die Firma ist damals zwar neu auf dem Markt, in ihr steckt aber viel Erfahrung: Auch hier ist der Ticket- und Veranstaltungskonzern CTS Eventim mit an Bord und viele der Mitarbeitenden waren zuvor bei einer anderen Agentur, der Four Artists Booking (FAB).

Das Besondere daran: 2017 wollte Eventim die Four Artists übernehmen. Das Bundeskartellamt untersagte dies. Dennoch hält Eventim 51 Prozent der Anteile an der All Artists Agency – in die Teile der ehemaligen Four Artists Belegschaft wechselten.

"Die Fantastischen Vier" gründen Booking-Agentur

Gegründet wurde die Four Artists Agentur 1997 von den Mitgliedern der HipHop-Gruppe "Die Fantastischen Vier" sowie zwei weiteren Partnern. Die Agentur vertrat circa 300 nationale und internationale Künstler.

Im März 2017 veröffentlicht die CTS Eventim Gruppe eine Pressemitteilung. Eine Tochterfirma des Konzerns übernehme "die Mehrheit an Booking-Agentur und Veranstalter Four Artists". Wenige Zeilen später findet sich der Hinweis: "Der Vollzug der Transaktion steht noch unter dem Vorbehalt der Freigabe durch die zuständigen Kartellbehörden."

Bundeskartellamt untersagt Zusammenschluss

Diese Freigabe wird das Bundeskartellamt nie erteilen. "[Das] angemeldete Zusammenschlussvorhaben wird untersagt", heißt es in der Begründung der Behörde. "Eine marktbeherrschende Stellung von CTS besteht sowohl auf der Veranstalterseite als auch auf der VVK-Seite des bundesweiten Marktes für Ticketsystemdienstleistungen." Eine Übernahme der Four Artists würde zu "einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs" führen. Das Unternehmen würde Kontrolle über "weitere, relevante Ticketkontingente erhalten" und könne so seine "Marktposition weiter ausbauen", schreibt das Kartellamt in einer Meldung.

"Der Deal war futsch", sagt Michael Bernd Schmidt, bekannt unter dem Namen "Smudo" von den "Fantastischen Vier" im BR-Interview: "Wir konnten bei Eventim nicht unterschreiben und sind unabhängig geblieben." Dann kommt der Herbst 2019.

Zuerst kündigt der Geschäftsführer der "Four Artists Booking Agentur" und später verlassen, innerhalb weniger Tage, weitere 27 der 45 Mitarbeitenden die Agentur. Das geht aus staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsunterlagen hervor, die BR Recherche einsehen konnte. Sie treten Jobs bei der "All Artists Agency" an.

Strafanzeige: Vorwurf der Untreue

Im Zuge dieses Vorgangs ging eine Strafanzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs der Untreue und Verletzung von Geschäftsgeheimnissen ein. Beschuldigt waren ehemalige Mitarbeiter der Four Artists, sowie weitere Einzelpersonen, darunter auch der CEO von Eventim, Klaus-Peter Schulenberg.

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte und stellte das Verfahren im April 2021 ein, da "nach den durchgeführten Ermittlungen kein hinreichender Tatverdacht gegen die Beschuldigten" bestehe. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin bestätigte dies in einem Schreiben, das dem BR vorliegt. Darin heißt es jedoch auch:

"Tatsächlich fällt nach außen hin auf, dass nach Scheitern der geplanten Übernahme der Four Artists durch die CTS Eventim Gruppe durch die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes, eine faktische Verlagerung von Teilen der Gesellschaft auf die […] All Artists Agency stattgefunden hat." Generalstaatsanwaltschaft Berlin

Es wäre eine Angelegenheit des Bundeskartellamtes, gegebenenfalls dem Aspekt der Umgehung nachzugehen, so die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Begründung weiter.

Smudo vermutet geheime Absprachen

Michael Bernd Schmidt, alias Smudo, vermutet hinter den Vorgängen geheime Absprachen. Im BR-Interview sagt: "Innerhalb von drei Monaten ist der gesamte Laden abgeflossen in einen neuen Laden, der von jemandem gemacht wurde, dem das Kartellamt gesagt hatte, er soll es nicht machen."

Eventim antwortet auf einen Fragenkatalog des BR nicht. Weitere Verfahrensbeteiligte betonen, dass es keine geheimen Absprachen gegeben habe und die Staatsanwaltschaft kein strafbares Verhalten festgestellt hätte.

Kartellamt: Ärgerlicher Vorgang

Das Bundeskartellamt schreibt auf Anfrage: "Für den Wettbewerb ist es in der Tat bedauerlich, dass die Wirkung der Untersagungsverfügung […] offenbar ein Stück weit unterlaufen werden konnte."

Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, bezeichnet den Vorgang im BR-Interview als "ärgerlich". "Das ist ein Tatbestand, der letzten Endes vom Kartellrecht und vom Wettbewerbsrecht nicht erfasst ist", stellt er fest. Eine Neugründung sei nicht anmeldepflichtig. "Das ist nichts, was wir überprüfen können."

Eventim teilweise marktbeherrschend

Der Konzern CTS Eventim ist im Event-Business als Tickethändler, Veranstalter und Betreiber großer Veranstaltungsstätten aktiv. Experten sehen Anhaltspunkte für eine "vertikale Marktintegration", da es Eventim möglich sei, in vielen Bereichen der Live-Unterhaltung wertschöpfend tätig zu sein.

Im Jahr 2017 stellte das Bundeskartellamt fest: "Über das CTS Eventim System werden 60 - 70 Prozent aller Tickets vertrieben, die in Deutschland über Ticketsysteme verkauft werden." Man könne sagen, so Kartellamtspräsident Andreas Mundt, dass "Eventim auf den Märkten, auf denen es aktiv ist, eine sehr starke Stellung hat und teilweise auch marktbeherrschend" sei.

"Wettbewerb ist ein zentrales Moment der Sozialen Marktwirtschaft", betont der Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben (FDP). Verfügen Konzerne über eine vertikale Marktintegration, wie im Falle Eventims, dann "ist das ja eigentlich das klassische Beispiel, weshalb wir Kartellämter erfunden haben."

Bundeskartellamt soll weitreichendere Befugnisse bekommen

Anfang dieses Jahres einigte sich das Bundeskabinett auf eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Es soll dem Bundeskartellamt weitreichendere Befugnisse zusichern. Eine erste Lesung fand am 26. Mai 2023 im Bundestag statt.

Wo zuvor ein "Missbrauch der Marktmacht" die Hürde zum Einschreiten des Kartellamtes war, soll zukünftig eine "Störung des Wettbewerbs" ausreichen, um eine Untersuchung einzuleiten und etwaige Maßnahmen verfügen zu können, erklärt Rupprecht Podszun, Professor für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Durch die Novelle könnte das Kartellamt, eine Sektorenuntersuchung im Live-Markt anstrengen, so Podszun. Denn: "Eventim hat eine Stärke und damit auch ein Druckpotenzial auf andere, die für Märkte selten ist", sagt Podszun dem BR.

"Unsere Firma wurde geklaut." Smudo

Musiker Smudo ist davon überzeugt: "Unsere Firma wurde geklaut". Er beziffert den wirtschaftlichen Schaden auf 22 Millionen Euro. In diesem Zusammenhang ist ein zivilrechtliches Klageverfahren in Berlin noch anhängig.

Dieser Artikel ist Teil einer BR-Recherche zur Musikindustrie. Die ganze Doku-Serie "Dirty Little Secrets" können Sie ab sofort in der ARD-Mediathek anschauen.

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