Angesichts der sinkenden Inflation auch im Euroraum hat der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) die Zinsen nicht mehr weiter erhöht. Der wichtigste Leitzins bleibt damit bei 4,5 Prozent. Während Geschäftsbanken vier Prozent Zinsen von der Zentralbank bekommen, wenn sie dort Geld - zum Beispiel von Sparern - parken. An den Kapitalmärkten sind die Renditen aber wegen der hohen Staatsschulden weltweit weiter gestiegen.
Lagarde: An sinkende Zinsen überhaupt nicht zu denken
Die Zinsen bleiben damit vorerst hoch und dürften sich in der Realwirtschaft noch auswirken. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte, dass die Auswirkungen der alten Zinserhöhungen mit einiger Verzögerung bis Anfang nächsten Jahres spürbar sein dürften. An sinkende Zinsen sei derzeit überhaupt nicht zu denken, sagte Lagarde auf der Pressekonferenz zur aktuellen Entscheidung des Zentralbankrats.
Es wäre absolut verfrüht, auch nur eine Diskussion über Zinssenkungen zu führen. "We are holding!", so Lagarde, die damit einen Stopp der bisherigen Geldpolitik mit steigenden Zinsen deutlich machte. Für einen Ausblick, in welche Richtung es weitergeht, sei es jetzt noch zu früh.
Wirtschaft hat Talsohle bei Konjunktur wohl noch nicht erreicht
Das Wahrscheinlichste wäre der EZB-Präsidentin zufolge eine weitere Abschwächung der Konjunktur, wenn zum Beispiel die hohen Zinsen die Wirtschaft noch stärker belasten. Auch für Verbraucher bedeutet das: vorerst hohe Kreditzinsen gerade auch für Baukredite.
Iris Bethge-Krauß, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Öffentlicher Banken Deutschlands (VÖB), kommentierte: "Wichtig ist uns aber, dass sich die Notenbank alle Optionen offen hält." Auch wenn der Trend in Sachen Inflation stimme, weitere Zinsschritte seien nicht auszuschließen. Ob die EZB ihren Job mit Blick auf die Inflation bereits erledigt habe, werde sich noch zeigen. "Falls nicht, ist weiteres entschlossenes Handeln der EZB gefragt", so Bethge-Krauß.
Anstieg der Verbraucherpreise nicht mehr so hoch wie in der Energiekrise
Erleichtert war Lagarde über den Rückgang der Inflation. Die Teuerung befinde sich im Abwärtstrend, den nur ein stark steigender Ölpreis beenden könne. Aktuell sei das aber noch nicht erkennbar, weil der Nahostkonflikt sich in Grenzen hält und bislang nicht zu einem Flächenbrand in der wichtigsten Ölförder-Region ausgeweitet hat.
Weniger Inflation, aber auch weniger Wachstum - beides spricht eher für niedrigere als für höhere Zinsen. So drehte der EZB-Rat nicht mehr weiter an der Zinsschraube. Zu groß ist inzwischen die Gefahr, dass die Konjunktur im Euroraum abgewürgt wird.
Steigende Staatsverschuldung spielt Schlüsselrolle bei Kapitalmarktzinsen
Angesichts der stark steigenden Staatsverschuldung in vielen Euroländern wie Italien, Frankreich, Spanien und Portugal ist Wachstum wichtig, um die höheren Zinslasten tragen zu können. Eigentlich müssten jetzt Staatsausgaben gekürzt werden, sodass die Finanzierung von Klimaschutz und Digitalisierung schwierig wird.
Eine Rezession wie in Deutschland darf sich nicht auf den gesamten Euroraum ausweiten, damit es nicht erneut zu einer Schuldenkrise kommt. An den Märkten sind die Renditen für Staatsanleihen vor allem in den USA gestiegen, wo die Verschuldung extrem zunimmt und auch die Kosten für deren Finanzierung. Dazu gehört unter anderem die Militärhilfe für die Ukraine und für Israel.
Die Kriege in der Ukraine und Israel/Gaza können für USA zum Finanzproblem werden. Das war zuletzt am Kapitalmarkt zu spüren, wo die Renditen auch bei den europäischen Staatsanleihen nach oben gingen und den US-Bonds folgten. Damit das in Italien nicht zu einer Schuldenkrise führt, soll die EZB interveniert haben. Im Rahmen des aktuellen Kaufprogramms wurden demnach Staatsanleihen anderer Euroländer gegen die von Italien umgetauscht, um die Regierung in Rom bei ihrem Schuldendienst zu entlasten.
Sparer sind die glücklichen Gewinner der aktuellen Zinsanstiege
Für die Sparer waren die Zinsen schon lange nicht mehr so hoch, aber eben auch für Kreditnehmer. Die Kreditvergabe ist deshalb rückläufig. Auch das senkt die Inflation, es schadet allerdings auch dem Wachstum. Vor allem die deutsche Wirtschaft steht derzeit auf der Kippe und erwartet für das dritte Quartal einen Rückfall in die Rezession. Lagarde hält den Arbeitsmarkt zwar für robust, erwartet aber in nächster Zeit weniger Beschäftigung.
Hohe Zinsen: Unternehmen halten sich mit neuen Investitionen zurück
Eine Folge der restriktiven Geldpolitik ist, dass die Unternehmen nicht mehr so viele Aufträge bekommen. Sie sind ja selbst angesichts der gestiegenen Zinsen auch nicht mehr bereit, so viel zu investieren. Bei der Finanzierung von Klimaschutz und Aufrüstung steht Europa deshalb vor einem Dilemma. Für die Technologiewende, Digitalisierung und CO2-Neutralität wäre vor allem von Unternehmen und Privatinvestoren viel mehr Engagement notwendig als von den Staaten, die das sonst nicht finanzieren können.
Was kann sich der Staat noch leisten, wenn seine Schulden immer teurer werden?
Der Staat selbst kann nur einen Bruchteil davon leisten, weil sonst die öffentlichen Schulden einfach nicht mehr tragfähig sind, schon gar nicht zu diesen Zinssätzen. Das aktuelle Niveau der Renditen am Kapitalmarkt bedeutet bereits, dass die USA und auch die EU-Länder in den kommenden Jahren massive Schwierigkeiten bekommen dürften, ihre Haushalte zu finanzieren.
Nach Berechnungen der französischen Investmentbank Natixis müssten die öffentlichen Ausgaben in Europa für die geplante Transformation um 270 Milliarden Euro erhöht werden. Realistisch gesehen sei das nicht möglich, wenn die Geldpolitik der EZB so bleibt und die Fiskalpolitik wieder restriktiv wird. Denn eigentlich müssten die Staaten angesichts der hohen Zinsen ja mehr sparen und weniger Geld ausgeben und nicht umgekehrt.
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