Vor gut zehn Jahren hat sich das Leben von Sandra Runge schlagartig verändert. Sie hat gerade ihr erstes Kind bekommen, will eigentlich wieder Vollzeit arbeiten. Doch am ersten Arbeitstag nach der Elternzeit wird Sandra Runge gekündigt.
Für die Rechtsanwältin der Auslöser, sich gegen die Benachteiligung von Müttern im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Elternzeit und Wiedereinstieg in den Beruf einzusetzen. "Das hat einem natürlich einmal komplett den Boden unter den Füßen weggezogen", erzählt Runge. "Ich wollte damals in Vollzeit wiederkommen, hatte alles super gut geplant." Sie hatte einen Kita-Platz für ihr Kind und sich gedacht, dass nichts mehr schiefgehen könne: "Insofern war ich natürlich komplett geschockt, dass sowas überhaupt möglich ist."
Rechtliche Möglichkeiten für Mütter
Damit es anderen nicht so ergeht wie ihr, hat Sandra Runge eine Rechtsberatung in Berlin ins Leben gerufen: Denn es gibt rechtliche Schritte, die jede Frau und jedes Elternteil gehen kann, wenn es im Job aufgrund der Kinder zu Diskriminierung kommt.
Zum Beispiel, wenn man nach der Elternzeit eine schlechtere Stelle bekommt, oder sogar gekündigt wird. Es komme darauf an, was genau passiert, erzählt Runge. Aber: "Bei einer Kündigung kann man sich mit einer Kündigungsschutzklage wehren, innerhalb von drei Wochen nach Ausspruch der Kündigung."
Sonderkündigungsschutz während der Elternzeit
Außerdem bestehe während der Elternzeit ein Sonderkündigungsschutz. Das Problem sei aber nach wie vor, dass der Sonderkündigungsschutz, den man während der Elternzeit hat, nach einem Tag erlischt.
Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ist festgelegt, dass dieser Sonderkündigungsschutz verlängert werden soll. Auf einen Beschluss warten Betroffene allerdings noch. Und die Probleme, mit denen Frauen nach der Geburt des ersten Kindes konfrontiert sind, löst das auch nur bedingt.
Mütter rutschen häufig in finanzielle Abhängigkeit
Neben rechtlichen Problemen sind da auch finanzielle: Besonders zwischen 30 und 50 Jahren werden Frauen von ihren Partnern abhängig, weil sie entweder in Teilzeit arbeiten oder sich nur noch um die Kinder kümmern. Ein Unding, meint die Autorin und Schriftstellerin Mirna Funk. Für sie sind gesellschaftliche Konstrukte schuld.
Funk kritisiert: "Das muss man sich wirklich bewusstmachen, mit was für einem Gesellschaftskonstrukt wir es hier zu tun haben und was das bedeutet, dass 70 Prozent aller Frauen in diesem Land finanziell abhängig sind von ihren Partnern." Nur zehn Prozent der Frauen in Deutschland würden mehr als 2.000 Euro netto verdienen, sagt Mirna Funk.
Kinderbetreuung als Voraussetzung für Erwerbsarbeit
Mirna Funk ist noch in der DDR aufgewachsen. Da war es selbstverständlich, dass sowohl Frauen als auch Männer Vollzeit arbeiten. Kinderbetreuung war für jedes Kind garantiert, von sechs bis 18 Uhr. Funk findet: Vor allem die omnipräsenten Debatten um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Aufteilung von sogenannter Care-Arbeit, verhindern, dass Frauen Geld verdienen.
"Das ist eine Sozialisierung", erzählt sie. Westdeutsche Frauen hätten lange überhaupt nicht gearbeitet. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls 1989 hätten nur 50 Prozent gearbeitet, ein Großteil in Teilzeit. "Alle in der alten Bundesrepublik kennen es ja gar nicht anders, dass man, sobald man Mutter wird, zuhause bleibt und nicht mehr arbeiten kann", sagt die Autorin.
Mütter sollten nach der Elternzeit aktiv nach Jobs suchen
Die Möglichkeiten der Kinderbetreuung müssten ausgebaut werden, wenn es sie nicht gebe, meint Mirna Funk. Aber wo sie da seien, dürften Frauen, die ihre Kinder den ganzen Tag bis zur Schließzeit in der Kita lassen, nicht als Rabenmütter kritisiert werden. Deshalb ist Mirna Funks Tipp für Mütter nach der Elternzeit: "Sich einen Job suchen auf 40 Stunden die Woche und mit seinem Partner klären, wie man das dann mit dem Kind macht." Man könne sich nicht Feministin nennen, wenn man seinen eigenen Partner in die Vollverantwortung dieser Ernährer-Position drücke.
„Alt, arm abgehängt: Frauen in der Rentenfalle.“ Darüber diskutieren am Weltfrauentag die Grünen-Landesvorsitzende Eva Lettenbauer, Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, der CSU-Sozialpolitiker Thomas Huber und die Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld in der Münchner Runde. Um 20:15 Uhr im BR Fernsehen und auf BR24.
Frauen verdienen auf das Leben gerechnet 750.000 Euro weniger
Wie es auf dem Arbeitsmarkt für Frauen läuft, weiß sie genau: Katrin Wilkens ist Jobberaterin in Hamburg, mit ihrer Agentur "i.do" berät sie vor allem Frauen und junge Eltern, hilft beim Wiedereinstieg ins Berufsleben. Denn noch immer verdienen Frauen durch Elternzeit, Teilzeit und Fürsorge im gesamten Leben durchschnittlich 750.000 Euro weniger als ihre Partner.
Wilkens sagt: "Ich glaube, darüber muss man sich wirklich klarwerden, dass das größte Armutsrisiko für Frauen heute noch immer ist, Mütter zu werden." Jungen Frauen sei das häufig nicht klar, weshalb sie später in die Armutsfalle rutschten.
Tipps für Mütter beim Bewerbungsgespräch
Bei der Job-Suche rät Katrin Wilkens Frauen, mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben. Viele würden sich auf bestimmte Stellen zum Beispiel gar nicht erst bewerben. Wenn Firmen Anzeigen schalten, in denen zehn verschiedene Anforderungen stehen, würden die meisten Frauen annehmen, dass sie alle zehn erfüllen müssten. Männern dagegen reiche eine, den Rest würden sie sich irgendwie schon draufschaffen.
Der Tipp von Katrin Wilkens: "Da muss man über seinen eigenen Schatten springen und sagen: Ich kann nicht alles, aber das wird schon gut gehen.“ Außerdem gelte auch noch immer: Wer Kinder koordiniert, habe mit Selbstorganisation, Effizienz und Zeit-Management im neuen Job sicher kein Problem. Die wenigstens Frauen allerdings würden das im Bewerbungsgespräch auch als Vorteil vorbringen.
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