Ein kleiner Container am Münchner Ostbahnhof, daneben gut 100 Autos im Schnee: Hier betreibt Ergün Tekin mit seinen drei Söhnen einen Gebrauchtwagenhandel. Tekin beugt sich über die Motorhaube eines Ford Focus. Bei den Temperaturen braucht der Wagen erst mal Starthilfe. Und bevor der Kunde eine Runde drehen kann, muss Tekin mit einer Schaufel den Schnee vom Dach schippen.
Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Kunden: "Warum brauchen Sie ein neues Auto? Ist das alte kaputtgegangen?" - "Nee, aber das ist ein Diesel. Und ab Januar darf man ja am Ring und in der Innenstadt keinen Diesel mehr fahren." - "Und neu kaufen war für Sie keine Alternative?" - "Ein neues Auto? Wer kann sich das denn heute noch leisten? Nein, ein kleiner Gebrauchter muss es sein."
Neuwagen und Gebrauchte so teuer wie nie in Deutschland
Tatsachlich sind Neuwagen in Deutschland gerade teuer wie nie. Der ADAC hat kürzlich in einer Studie berechnet, dass die Durchschnittspreise aller Modelle innerhalb von fünf Jahren um rund ein Fünftel zugelegt haben. Da überlegen sich viele Menschen lieber zweimal, ob sie sich ein neues Auto zulegen.
"Erst mal würde ich sagen – und das ist kein schöner Trend – müssen wir uns damit arrangieren, dass die Fahrzeuge länger gefahren werden", sagt Christian Hochfeld, Direktor des Think Tanks Agora Verkehrswende, der für klimaneutrale Mobilität wirbt. Weil während der Corona-Pandemie weniger Neuwagen verkauft worden sind, fehlen junge Gebrauchte. Das bedeutet, dass die Preise ebenfalls sehr stark angezogen haben.
Rekordgewinne für Autobauer – trotz geringerem Absatz
Die Zahl der neu zugelassenen Wagen war 2021 so niedrig wie zuletzt Mitte der Achtzigerjahre. Trotzdem verzeichneten BMW, VW und Mercedes Gewinne von über 42 Milliarden Euro; das vergangene Jahr dürfte sich als absolutes Rekordjahr erweisen. Der Absatz geht also zurück, Umsatz und Gewinne aber steigen.
Dass es bei Chips und Halbleitern immer noch Lieferengpässe gibt, komme den Konzernen sogar ein Stück weit zugute, erklärt Peter Fuß, Branchenexperte bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY: "Durch die Chipkrise können immer noch weniger Autos produziert und damit verkauft werden, als die Konsumenten nachfragen. Damit sind die Preise höher und auch die Gewinne, weil sie eben keine Rabatte geben müssen."
Deutsche Autobauer bauen bevorzugt teure Autos
Ihre Gewinne machen die deutschen Hersteller vor allem mit dem Verkauf von SUVs und Premiumausstattungen; teureren Fahrzeugen also, bei denen die Gewinnmarge wesentlich höher ist als bei Kleinwagen oder Mittelklasse-Modellen. Seit Jahren verkaufen sich SUVs in Deutschland am besten, das Center of Automotive Management bezifferte ihren Marktanteil im vergangenen Jahr auf knapp 40 Prozent. Dazu trägt bei, dass die Hersteller, für die viele Teile weiter nur eingeschränkt lieferbar sind, bevorzugt diese Modelle produzieren. Günstigere Modelle, die eine geringe Gewinnmarge versprechen, werden hintangestellt.
Mercedes, BMW und Audi setzen auf Premium-Markt
Doch auch wenn sich Inflation, Energiepreise und Lieferketten normalisieren, ist es unwahrscheinlich, dass die Hersteller von ihrer derzeitigen Strategie abrücken. "Wir sehen überdurchschnittlich hohes Wachstumspotenzial unverändert im Premiumsegment", teilt etwa BMW auf BR-Anfrage mit.
Mercedes-Benz erklärt: "Prognosen zeigen, dass die Zahl wohlhabender Kunden weiter wächst. Damit steigen auch unsere Absatzchancen." Daher wolle man vor allem in die Modelle aufwärts der C-Klasse investieren, die hohe und stabile Renditen versprächen, Modellvarianten im Einstiegssegment hingegen reduzieren. Medienberichte, dass es die A- und B-Klasse ist, die eingestellt wird, wollte der Konzern nicht bestätigen.
Kaum Interesse an Herstellung von Kleinwagen bei Audi
Auch Audi will sich als Premiummarke präsentieren und "die Modellpalette nach unten begrenzen und nach oben erweitern." Heißt: Günstigere Modelle, in diesem Fall der Audi A1, werden in den nächsten Jahren ersatzlos gestrichen. Damit ist Audi keinesfalls alleine. Selbst Hersteller, die traditionell auf Masse setzen, etwa Ford, wollen in den kommenden Jahren sogenannte Einsteigermodelle aus dem Sortiment nehmen.
Neue Antriebe machen Autos teurer
Diese Strategie hänge auch mit dem Übergang zur E-Mobilität zusammen, glaubt Branchenkenner Fuß von EY: "Die Technologie ist per se sehr teuer. Das lohnt vielleicht in der Mittelklasse oder bei Premiumwagen, aber die Verbindung Kleinwagen und E-Auto ist derzeit kein ökonomisch sinnvolles Modell." Ein Elektro-Antrieb sei derzeit mehrere Tausend Euro teurer als ein vergleichbarer Verbrenner, erklärt etwa Mercedes-Benz.
- Lesen Sie hier: "Hohe Strompreise, fehlende Ladepunkte: Lohnen sich E-Autos?"
Bis 2035 könnten die Konzerne ihre Modelle in Europa zwar noch als Verbrenner verkaufen, aber auch hier stehen Veränderungen an. Der Volkswagen-Konzern spricht davon, dass allein die anstehende Euro-7-Abgasnorm Verbrenner 3.000 bis 5.000 Euro teurer machen werde. "Da muss man sich als Autobauer überlegen, ob ich Veränderungen herbeiführe, wo ich unter Umständen auch Millionen oder Milliarden investieren muss", gibt Fuß zu bedenken. "Oder ob ich dann nicht gleich auch bei einem Kleinwagen mit Verbrenner das Segment einstelle."
Autopreise werden kaum auf Vor-Corona-Niveau zurückgehen
Selbst wenn die Energie- und Rohstoffpreise sinken, Lieferengpässe bei Chips und Halbleitern behoben werden: Die Preise für Autos werden also kaum auf ein Vor-Corona-Niveau zurückgehen. VW gibt als Ziel aus, bis 2025 einen Kleinwagen mit E-Antrieb für unter 25.000 Euro auf den Markt zu bringen. "Das wird im Kleinwagensegment durch die allgemeine Steigerung der Kosten ein sehr wettbewerbsfähiger Preis sein", erklärt der Konzern auf Anfrage. Zum Vergleich: Einen VW Polo bekam man bis vor fünf Jahren in seiner günstigsten Ausstattung für knapp die Hälfte.
Auch wenn solche Preise vielleicht nicht erreicht werden: Osteuropäische oder asiatische Hersteller könnten durchaus versuchen, die deutschen Hersteller preislich zu unterbieten, glaubt Fuß von EY.
"Wir müssen aggressiv und offensiv in Alternativen investieren"
Die Preisentwicklung bei Neuwagen dürfte dazu beitragen, dass neben dem ÖPNV alternative Nutzungs-Modelle wie Carsharing in den kommenden Jahren beliebter werden - zumindest in den Städten. Auf dem Land ist das noch keine Alternative, auch eine bessere Anbindung an den Regionalverkehr muss erst aufgebaut werden. Das sei auch angesichts der deutschen Klimaziele unumgänglich glaubt Christian Hochfeld von der Agora Verkehrswende. "Wir hinken bei den Klimazielen im Verkehrssektor sowieso gnadenlos hinterher." Damit die Klimaziele erreicht werden, aber auch um eine Mobilitätsungleichheit zu verhindern, müsse in den kommenden Jahren "aggressiv und offensiv" in Alternativen zum Pkw investiert werden, fordert Hochfeld.
Bis diese Infrastruktur aufgebaut sei, werde das Auto gerade auf dem Land eine dominante Rolle behalten. Langfristig rechnet die Agora Verkehrswende für 2050 damit, dass es 30 Millionen Pkw in Deutschland geben wird – im Vergleich zu 48,5 Millionen im Jahr 2022. Für die Hersteller bedeutet das, dass die Autobranche wohl ein Wachstumsmarkt bleibt. Immerhin gibt es mit dem Übergang zur Elektromobilität einen riesigen Modernisierungsbedarf – und das global. Die Frage ist, wer in Zukunft an dieser Mobilität teilhaben kann.
💡 Stichwort: Gebrauchtwagen-Check
Egal ob DEKRA, TÜV oder eine Werkstatt des Vertrauens – ein Gebrauchtwagen-Check macht Sinn, wenn man sich im Grunde schon für das Fahrzeug entschieden hat und von privat oder einem kleinen "Kiesplatz"-Händler kaufen möchte. Beim ADAC kostet der Service rund 100 Euro und dauert gut eine Stunde. So werde, erklärt der Prüfer Florian Kretschmer im BR24-Interview, auf dem Motor eine Sichtprüfung durchgeführt, etwa ob Marderspuren zu sehen sind. Außerdem werden alle notwendigen Flüssigkeiten, wie etwa die Bremsflüssigkeit, geprüft.
Danach nimmt Kretschmer die Karosserie unter die Lupe: Von außen und von innen wird der Gebrauchte auf Unfallschäden, Dellen und Kratzer untersucht. Die Lackdichte spiele dabei eine große Rolle, so der ADAC-Prüfer. Auch das Untere des Wagens wird inspiziert: Achse, Stoßdämpfer, Bremsenprüfung, sichtbare Defekte, Undichtigkeiten – die Liste ist lang.
Der Fehlerspeicher werde ebenfalls ausgelesen, damit dem Käufer nicht alte und nicht behobene Schäden untergejubelt werden können, so der Autospezialist. Die Probefahrt ist der Abschluss der Gebrauchtwagen-Prüfung, da höre er genau hin, ob der Motor beim Fahren Geräusche macht, die nicht sein sollten.
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