Kiew: Durch ein Loch in einer zerstörten Mauer wird der Blick frei auf das von einer russischen Rakete getroffene Fabrikgebäude des ukrainischen Raketenherstellers "Artem".
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Schon Corona hat die Wirtschaft vor große Herausforderungen gestellt. Der Krieg gegen die Ukraine wird sie sehr viel stärker verändern.

    Fünf Experten zu den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs

    Schon Corona hat die Wirtschaft vor große Herausforderungen gestellt. Doch der Krieg gegen die Ukraine wird sie sehr viel stärker verändern. In einer Interviewreihe hat BR24 mit fünf Experten darüber gesprochen.

    Der Ukraine-Krieg hat auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die wichtigsten Veränderungen wird es in der Energieversorgung geben. Kein Wunder, ist doch die Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle das, was viele bei Ausbruch des Krieges sehr schnell gespürt haben. Aber die Einschnitte gehen tiefer. Das gesamte Geschäftsmodell Deutschland als Exportland steht auf dem Spiel. Die Inflation könnte dauerhaft zurückkommen und die Staatsverschuldung steigt.

    Veronika Grimm: Energie wird noch ein paar Jahre teuer bleiben

    In der ersten Folge der BR24-Interviewreihe "Der Ukraine-Krieg und seine Folgen für die Wirtschaft" hat die Wirtschaftsweise Veronika Grimm keine beruhigenden Nachrichten. Solange die fossilen Energien nicht durch Erneuerbare ersetzt werden können, werden die Energiepreise hoch bleiben. Erst danach werde es wieder deutlich billiger.

    Grimm spricht sich deshalb für mehr Tempo beim Umbau aus und fordert einen Aktionsplan Energieeffizienz, um alle – Unternehmen, Staat und Verbraucher – zum Energiesparen zu animieren. Langfristig setzt die Ökonomin vor allem auf grünen Wasserstoff. Der werde aber nicht unbedingt in Deutschland hergestellt, deshalb könnten einige Industriezweige mittelfristig bei uns abwandern. Dafür sieht sie große Chancen für die deutsche Industrie bei der Herstellung von Maschinen, für die Herstellung, den Transport und das Verladen des Wasserstoffs.

    Gabriel Felbermayr: Deglobalisierung macht uns ärmer

    Sehr nachdenklich, ja fast schon ernüchtert wirkt Gabriel Felbermayr, Außenhandelsexperte und Direktor des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, im Gespräch über die Folgen des Ukraine-Kriegs. Internationale Zusammenarbeit und Handel macht Länder voneinander abhängig. Um diese Abhängigkeit zulassen zu können, braucht es Vertrauen und dieses Vertrauen wurde durch den Angriff Russlands zerstört, sagt Felbermayr.

    An eine Rückkehr Deutschlands zu einer rein nationalen Wirtschaft aber glaubt er nicht. Eher an eine Regionalisierung. Und an Handel mit Ländern, mit denen wir "sicherheitspolitisch aufs Engste verschraubt" sind.

    Um an die nötigen Rohstoffe zu kommen, die es nicht immer nur in befreundeten Ländern gibt, brauche es seiner Ansicht nach mehr als reine Handelspolitik. Da müsse die Diplomatie "robuster" werden und die Versorgung notfalls mit Entwicklungs- und Militärhilfe abgesichert werden. Aber all das wird uns Wohlstand kosten. Denn wir werden auf Dauer nicht mehr beim Billigsten einkaufen, sondern bei dem, dem wir vertrauen, sagt Felbermayr.

    Marcel Fratzscher: Eine "zutiefst unsoziale" Inflation

    Bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges glaubten viele Ökonomen, dass die bereits steigenden Inflationsraten ein vorübergehendes Phänomen seien, eine Normalisierung nach dem Corona-Schock. Doch das hat sich mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vollständig geändert. Vor allem die steigenden Energiepreise sorgen dafür, dass Inflation nach langer Zeit wieder ein reales Problem in Deutschland ist. Allerdings ist der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, skeptisch, was die Bekämpfung der Inflation angeht. Mit der reinen Zinspolitik ist ihr vermutlich nicht beizukommen.

    Denn der Grund für die steigenden Preise ist eine Verknappung des Angebots und nicht eine zu hohe Nachfrage. Und gegen Angebotsschocks könne die Geldpolitik nicht viel ausrichten, so Fratzscher. Da vor allem Menschen mit geringem Einkommen darunter leiden, muss seiner Ansicht nach der Staat unterstützend eingreifen, mit gezielten Maßnahmen.

    Die Energiepauschale hält er für ein geeignetes Instrument, den Tankrabatt dagegen weniger. Ähnlich wie die Wirtschaftsweise Grimm rechnet auch Fratzscher in den nächsten Jahren mit weiter steigenden Energiepreisen und Inflationsraten, solange bis die Energiewende vollzogen ist.

    Axel Börsch-Supan: Das Sozialsystem hat sich erneut bewährt

    Im Ukraine-Krieg hat sich unser Sozialsystem erneut als sehr stabil erwiesen, sowohl die Kranken- als auch die Renten- und die Arbeitslosenversicherung funktionieren so, wie sie sollten, sagt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik, Axel Börsch-Supan.

    Die Auswirkungen des Krieges auf unsere Wirtschaft stelle aber auch unsere Sozialversicherungen vor große Herausforderungen. Denn auch Axel Börsch-Supan ist davon überzeugt, dass uns dieser Krieg ärmer macht, indem unsere Wirtschaft eben nicht mehr so stark wächst wie bisher.

    Zusätzlich würde die demographische Entwicklung immer spürbarer. Das werde, seiner Ansicht nach, weniger die Rentenversicherung gefährden, als die Krankenkassen belasten. Die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft führe dazu, dass Jüngere systematisch stärker belastet werden als Ältere. Hier muss seiner Ansicht nach der Staat für einen Ausgleich sorgen, die Kindergrundsicherung sei schon mal ein richtiger Weg, werde auf längere Frist aber nicht reichen.

    Clemens Fuest: Der Staat kann uns nicht schützen

    Der Ruf nach dem Staat, als Retter in der Not, ist derzeit ständig präsent. Die vielen Staatshilfen aber wecken bei der Bevölkerung den Eindruck, dass der Staat uns wirklich entlasten und schützen kann. Das sei schlicht und einfach falsch, sagt ifo-Präsident Clemens Fuest. Der Staat könne zum Beispiel die hohen Energiepreise nicht aus der Welt schaffen, er kann nur die Belastungen zwischen den Bürgern umverteilen.

    Im Moment wird das vor allem durch neue Schulden finanziert, aber das ist nach Ansicht Fuests nur eine Übergangslösung. Irgendwann müssten sich Gesellschaft und die Politik entscheiden, für was Geld ausgegeben wird, und Prioritäten setzen. Die Politik habe sich leider abgewöhnt, ehrlich darüber zu diskutieren.

    Nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch eine Zeitenwende

    Der Ukraine-Krieg wird nicht nur politisch eine neue Zeit einläuten, sondern auch unsere Wirtschaftsstrukturen stark verändern. Das war aus jedem Gespräch mit den fünf Experten für die BR24-Interviewreihe herauszuhören. Das Energiesystem muss völlig umkrempelt werden, die Handelsbeziehungen werden sich verändern und damit wird ein Strukturwandel einhergehen. Ein Strukturwandel aber bedeutet immer auch Unsicherheit und wirtschaftliche Rückschläge. Die meisten Experten waren aber durchaus zuversichtlich, dass Deutschland die Herausforderungen meistern kann.

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