Der Verteidiger von Markus Braun, Alfred Dierlamm, ist nicht zimperlich. Das hat er seit dem Start des Wirecard-Prozesses vor genau zwei Monaten schon mehrfach unter Beweis gestellt. Seine heutige Verbal-Attacke übertrifft allerdings alles, was der Anwalt mit Kanzlei in Wiesbaden bisher im Gerichtssaal in der JVA München Stadelheim zu Protokoll gegeben hat: "Herr Bellenhaus ist ein professioneller Lügner. Seine Einlassungen zeigen: Er lebt in einer Lügenwelt", sagt Dierlamm zum Auftakt der Verhandlung. Da haben sich die Anwesenden auf ihren Plätzen gerade erst eingerichtet.
Eigentlich haben Bellenhaus und Braun durchaus etwas gemeinsam: Beide haben über Jahre für Wirecard "gebrannt", und beide sitzen seit inzwischen zweieinhalb Jahren in der JVA Stadelheim in Untersuchungshaft. In den vergangenen Wochen hat allerdings Bellenhaus, der ehemalige Wirecard-Statthalter in Dubai, Braun schwer belastet und den Zahlungsdienstleister als "Krebsgeschwür" bezeichnet. Braun sei nicht das Opfer, zu dem er sich jetzt mache, vielmehr sei er der Kern des Konzerns gewesen und habe deswegen logischerweise auch von den manipulierten Zahlen und dem erfundenen Geschäft gewusst. Bellenhaus gilt als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft.
Braun-Verteidiger attackiert Kronzeugen: Ein Leben in "Lügenwelt"
Die Strafprozessordnung sieht vor, dass die Verteidiger nach der Vernehmung eines Mitangeklagten die Möglichkeit zur Stellungnahme haben. Von dieser Möglichkeit machen sowohl die Verteidiger von Markus Braun auch die Verteidigerin des dritten Angeklagten, Ex-Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa, ausführlich Gebrauch. Über mehrere Stunden zeichnen sie von Bellenhaus das Bild eines unglaubwürdigen Kronzeugen, der bis heute in einer "Lügenwelt" lebe.
- Zum Artikel: Wirecard - Chronik eines Skandals
Nach den Worten von Braun-Verteidiger Dierlamm könne Bellenhaus "Beweismittel vernichten und unterdrücken und dann behaupten, es habe alles seine Richtigkeit". Zudem habe Bellenhaus Spuren beseitigt "und alles vernichtet, was zur Wahrheit führt". "Er hat mehrfach gezeigt, dass er sich bei der Beantwortung von Fragen primär Gedanken darüber macht, was zu seiner Storyline passt, und was der Fragende hören möchte", kritisiert Sabine Stetter, die Verteidigerin von Stephan von Erffa.
Gelöschte Daten, verschwundene USB-Sticks
Als Belege führen sowohl Stetter als auch Dierlamm an, dass Bellenhaus unter anderem für ihn belastende Kommunikations- und Abrechnungsdaten gelöscht haben soll, unmittelbar bevor er sich nach dem Wirecard-Zusammenbruch Ende Juni 2020 bei der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge angeboten habe. Auch ein USB-Stick mit relevanten Daten sei angeblich verschwunden. "Das zeigt: Es geht Herrn Bellenhaus nicht um echte Aufklärung, sondern um strafrechtlichen Profit durch falsche Verdächtigungen", schließt Sabine Stetter ihren gut zweistündigen Vortrag.
Oliver Bellenhaus nimmt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe kommentarlos und schweigend hin. Sein Verteidiger Nicolas Frühsorger signalisiert im Gegensatz dazu mit seinem wiederholten ungläubigen Kopfschütteln, dass er mit Dierlamms und Stetters Ausführungen überhaupt nicht einverstanden ist. Mehr ist dazu von ihm nicht zu vernehmen.
Markus Braun will "zwei bis drei Stunden" sprechen
Markus Braun will sein nun zwei Monate andauerndes Schweigen in der kommenden Woche brechen. Seit Prozessbeginn Anfang Dezember hat der frühere Wirecard-CEO kein Wort zur Sache gesagt. Am Ende des heutigen Verhandlungstages kündigt er auf Nachfrage von Richter Markus Födisch an, er werde zunächst zwei bis drei Stunden sprechen und – wenn gewünscht – auch schon erste Fragen beantworten. Der nächste Prozesstag ist am kommenden Montag. "Zwei bis drei Stunden? Das halte ich doch für optimistisch", macht Födisch sofort klar. Der Richter hat viele Fragen zu Brauns Rolle im Wirecard-Skandal.
Die Staatsanwaltschaft München I wirft Braun, Bellenhaus und von Erffa in ihrer Anklage unter anderem vor, über Jahre die Wirecard-Bilanzen falsch dargestellt zu haben. Bandenmäßiger Betrug und Untreue stehen ebenfalls in der Anklageschrift. Mit einem Ende des Prozesses wird nicht vor 2024 gerechnet.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!