"Preisexplosion", "Gasschock", "Pleitewelle": Es vergeht kaum ein Tag ohne neue Schreckensmeldungen aus der Wirtschaft. Hier die Bäckerei, die für ihren Strom statt 6.000 Euro pro Monat plötzlich 18.000 Euro zahlen muss. Dort die Verzinkerei, die ohne Gas einen wirtschaftlichen Totalschaden befürchtet. Nur zwei Fälle einer langen Kette von betroffenen Unternehmen.
Nahezu alle Handwerksbetriebe in Bayern kämpfen derzeit mit gestiegenen Energiekosten. Betroffen sind zuvorderst jene, die Lebensmittel verarbeiten wie Bäckereien oder Metzgereien und nun teilweise ein Vielfaches für Strom, Gas oder Öl ausgeben müssen. Doch die Folgen ziehen sich durch sämtliche Branchen.
Ein Schreiner beispielsweise kann seine Maschinen nicht einfach abstellen und keine Möbel mehr produzieren. Ebenso sind Kfz-Betriebe oder Lackierereien auf Energie angewiesen. Stromintensive IT-Server müssen genauso betrieben werden wie Trockner auf Baustellen. Und wer die Friseurin oder Kosmetikerin besucht, sitzt vermutlich ungern bei 17 Grad im Geschäft. Dazu kommen bei vielen Gewerken unerlässliche Fahrten zu Kunden – egal wie hoch die Spritpreise steigen.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!
Europäische Perspektiven
BR24 wählt regelmäßig Inhalte von unseren europäischen öffentlich-rechtlichen Medienpartnern aus und präsentiert diese hier im Rahmen eines Pilotprojekts der Europäischen Rundfunkunion.
- Zum Artikel: "EBU-Projekt Europäische Perspektiven"
Wie lassen sich Arbeitsläufe verbessern, um Energie zu sparen?
Stattdessen fragt sich der Textilreinigermeister ständig, wo sich Abläufe noch weiter optimieren ließen: Wann sollten die Maschinen wie stark ausgelastet werden, wann wird geheizt, was lässt sich kombinieren? "Es geht immer noch irgendwo etwas", sagt der Tüftler in ihm. Dann müsse der Kunde eben auch mal eine Woche länger auf sein Teil warten. Für die meisten sei das übrigens kein Problem, wenn sie es vorher wüssten.
Erst vor kurzem hat Sterr seine Dampfpressen um ein kleines Detail ergänzt. Diese Maschinen verwendet er, um große Stoffbahnen schnell zu glätten. Werden sie gerade nicht genutzt, bekommen sie nun eine Stoffhaube übergestülpt, die an einen riesigen Eierwärmer erinnert. Auf diese Weise müssen sie nach einer Pause weniger stark aufgeheizt werden. Der tägliche Ölverbrauch von insgesamt 120 Liter im Betrieb sei dadurch immerhin um acht Liter gesunken – oder, wie Sterr es ausdrückt: "Schon wieder irgendwo acht Liter gespart."
Erste Metzgereien wollen bald für immer schließen
Wer mit Verbänden, Unternehmen und Fachleuten spricht, hört jedoch auch: Nicht alle Firmen sind gleichermaßen betroffen, beim Ausmaß geht die Schere auseinander. Während etwa Betrieb A noch von alten Verträgen profitiert, Betrieb B wiederum nur eine moderate Preiserhöhung von seinem Versorger erhalten hat, muss Betrieb C bereits eine satte Preissteigerung verkraften.
Bei manchen Fleischereien beispielsweise habe sich der Strompreis inzwischen verfünffacht, berichtet Lars Bubnick, Geschäftsführer des Landesinnungsverbands. Weil den Metzgereien nichts anderes übrig bliebe, als die Kosten umzulegen, werde es auch für viele Kundinnen und Kunden nun teurer. Vor allem aber hätten mittlerweile erste Betriebe angekündigt, Ende Oktober oder November für immer zu schließen. "Betriebsinhaber, die in fünf Jahren sowieso keinen Nachfolger finden, tun sich das jetzt nicht mehr an", sagt Bubnick.
Kommt die Pleitewelle im Handwerk? Bisher schwer abzusehen
Ob dies die ersten Anzeichen der viel zitierten Welle von Geschäftsaufgaben oder Insolvenzen ist, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen. So bestätigt es auch der Bayerische Handwerkstag auf BR24-Nachfrage.
Zwar wurden nach Angaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) im August 26 Prozent mehr Insolvenzen angemeldet (718 Fälle) als vor einem Jahr, was sich auch in den kommenden Monaten fortsetzen könnte. Doch diese Zahl liegt noch immer deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau von 2019. Von einer "drohenden Pleitewelle" kann laut IWH nicht gesprochen werden.
Andererseits ist die Statistik nur begrenzt aussagekräftig. Denn wer sein Geschäft einfach aufgibt, ohne einen Insolvenzantrag zu stellen – und das ist bei kleinen Handwerksbetrieben eher die Regel als die Ausnahme –, findet sich in den offiziellen Zahlen nicht wieder. Ohnehin fällt der Blick in Glaskugel im Moment so trüb aus wie zu Hochzeiten der Corona-Krise. "Die Prognose-Unsicherheit ist beträchtlich", sagt Gebhard Stadler, Volkswirt bei der Bayerischen Landesbank. Weil sich die Rahmenbedingungen durch den Krieg und politische Entscheidungen ständig ändern – wer weiß da schon, wo die Preise in ein paar Monaten stehen?
Textilreiniger zu Energiekosten: "Jammern auf hohem Niveau"
Richard Sterr kennt zumindest die aktuellen Preise genau, er kann sie ohne zu zögern bis auf die Nachkommastelle nennen. Statt 37,8 Cent für den Liter Öl zahlt er heute 1,51 Euro – vier Mal so viel, innerhalb von zwei Jahren. In ein paar Monaten läuft auch der aktuell noch günstige Stromvertrag aus.
Sterr betreibt gemeinsam mit seiner Schwester eine Wäscherei und Reinigung in München, ein Familienbetrieb seit 1932. Zudem ist er Präsident des Bayerischen Textilreinigungsverbandes und spricht täglich mit ratlosen Kolleginnen und Kollegen. Trotzdem will er nicht einfach in den Kanon der Klagen einstimmen, der derzeit aus vielen Branchen erklingt.
Ja, die Energiekosten würden auch bei ihm etwa zehn Prozent der Gesamtkosten ausmachen, erklärt er. Andererseits seien es aber eben auch "nur" zehn Prozent. "Es wird alles heiß geredet gerade", sagt Sterr. Natürlich müsse man die Situation im Blick behalten. "Aber es ist immer noch Jammern auf sehr hohem Niveau. Es geht anderen Leuten viel schlechter als uns hier in Deutschland."