Es ist wohl das zentrale Ergebnis der zwölften Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) und ein Versuch des Gremiums, nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden: Die 164 Mitglieder der WTO haben sich nach tagelangem Ringen auf eine Vereinbarung zur Produktionsausweitung von Corona-Impfstoffen geeinigt: Regierungen sollen nun Patente von Pharmafirmen vorübergehend leichter umgehen und somit Menschenleben retten können.
Bundesregierung gibt sich zufrieden
Unternehmen in armen Ländern sollen in die Lage versetzt werden, Impfstoffe gegen Covid-19 künftig selbst zu produzieren. Sie können nun Verfahren nutzen, die auch etablierte Impfstoffproduzenten anwenden. Später will die WTO entscheiden, ob auch Patente auf Arzneien und Diagnostika in der Corona-Pandemie ausgesetzt werden.
Die Bundesregierung begrüßte den Durchbruch vom frühen Freitagmorgen. Regierungen könnten damit gegen den Willen von Pharmafirmen etwa Zwangslizenzen für die Produktion von Covid-19-Impfstoffen erteilen, ohne den Schutz geistigen Eigentums generell infrage zu stellen, wie der deutsche Staatssekretär Udo Philipp sagte. Zwangslizenzen waren auch vorher möglich, aber sie gehen nun in Teilbereichen etwas weiter.
Hilfsorganisationen üben Kritik an reichen Ländern
Doch nicht alle sind mit dem Beschluss zur Aussetzung der Patente auf Corona-Impfstoffe einverstanden. Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" zeigten sich enttäuscht. "Die Maßnahmen werden weder gegen Pharmamonopole vorgehen noch einen erschwinglichen Zugang zu lebensrettenden medizinischen Hilfsmitteln gewährleisten", hieß es in einer Mitteilung. Der Verein forderte hingegen, dass Patente auf Arzneien und Diagnostika sofort ausgesetzt werden sollten. "Regierungen müssen sicherstellen, dass lebensrettende medizinische Produkte so entwickelt, produziert und verteilt werden, dass alle Menschen weltweit diese erhalten können, wenn sie sie benötigen."
Oxfam machte für die Ausklammerung der Arzneien und Diagnostika die EU, Großbritannien, die USA und die Schweiz verantwortlich. Das Verhalten der reichen Länder in der WTO sei "äußerst beschämend", kritisierte die Hilfsorganisation. Von der ursprünglichen Forderung nach Aufhebung der Patente sei durch viele Auflagen wenig übrig geblieben. Mit dem getroffenen Beschluss habe die WTO dem Versuch, eine strauchelnde Institution und obszöne Unternehmensgewinne zu retten, Vorrang vor der Rettung von Menschenleben gegeben, meinte Melinda St. Louis von Public Citizen. Besonders die EU habe eine echte Aufhebung von Patentrechten blockiert.
Pharmahersteller warnen vor rückläufigen Innovationen
Der Pharmaverband IFPMA reagierte ebenfalls wenig erfreut. Es sei ein gefährliches Signal an die Wissenschaft. Volle Patentrechte seien nötig, um Innovationen hervorzubringen. Die deutsche Pharmaindustrie gab zu bedenken: "Hier wird das Patentrecht politisch instrumentalisiert, statt die Probleme anzugehen, die wirklich existieren", sagte der Präsident des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller, Han Steutel. Die Produktion der Corona-Impfstoffe sei nicht mehr das Problem. Vielmehr gebe es ein Überangebot.
Durch Lockerungen des Patentschutzes würde höchstens noch mehr auf Halde produziert, so Steutel. Unternehmen investieren oft jahrelang in die Erforschung von Medikamenten und Impfstoffen. Nur ein Bruchteil ist erfolgreich. Die Firmen verdienen dann überwiegend über den Lizenzschutz .
WTO-Chefin Okonjo-Iweala: Haben Leben auf der ganzen Welt verändert
Die Welthandelsorganisation selbst sprach von einer guten Einigung. Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala sagte zum Abschluss der Konferenz in Genf, die WTO habe seit langem nicht mehr so viele multilaterale Ergebnisse erzielt. Das Paket werde das Leben der Menschen auf der ganzen Welt verändern. Die Resultate zeigten, dass die WTO auf die Herausforderungen der Zeit reagieren könne.
Es war tatsächlich das erste Mal seit Jahren, dass die WTO wieder ein Abkommen zustande brachte. Die Organisation drohte in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Der damalige US-Präsident Donald Trump wollte austreten. Als auch diese Konferenz zu scheitern drohte, setzte WTO-Chefin Okonjo-Iweala am Mittwoch eine Verlängerung durch. "Sie reisen nicht mit leeren Händen nach Hause", sagte die 68-Jährige Nigerianerin bei Sonnenaufgang am Freitag.
Auch Vereinbarung zu Fischereisubventionen
Neben den Patentrechten für Corona-Impfstoffen beschäftigte sich die WTO noch mit dem Thema Fischfang. Hier einigten sich die Beteiligten auf ein Abkommen, mit dem Subventionen für illegale und unregulierte Fischerei verboten werden sollen. Bei anderen Subventionen, die zur Überfischung beitragen, soll allerdings noch einmal nachverhandelt werden. Über das Fischereiabkommen wurde seit mehr als 20 Jahren verhandelt.
Zudem verlängerten die Minister eine Vereinbarung, keine Zölle auf den grenzüberschreitenden digitalen Handel - etwa auf Streamingdienste - zu erheben. Angesichts drohender Hungersnöte stimmten die Handelsminister zu, sich stärker für die Ernährungssicherheit einzusetzen. So sollen etwa Exportrestriktionen für Lebensmittel vermieden werden. Außerdem verabschiedeten sie einen Fahrplan für Reformen der WTO.
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