Die Volksrepublik China stützt ihre strategisch wichtigen Branchen bis zu viermal so stark wie westliche Länder das tun, etwa durch vergünstigte Kredite und Steuererleichterungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Prognos-Studie im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft vbw. Was das für bayerische Unternehmer bedeutet, wurde am Donnerstag bei einer Konferenz der vbw deutlich.
Stahlproduzent China verdirbt Preise
Welch ein Dilemma: Einerseits verkauft Tanja Jursa als Chefin des Stahlwerks Annahütte Max Aicher in Ainring Spezialstahl an die chinesische Autoindustrie. Andererseits verdirbt China als weltgrößter Stahlproduzent ihr die Preise: "In China wird eine Milliarde Tonnen Rohstahl produziert im Jahr. Interessant dabei ist, dass ein Drittel dieser Menge im Staatsbesitz ist. Wenn der Stahl in China keinen Absatz findet, entstehen Überkapazitäten. Die werden zu Dumpingpreisen in den Export gegeben", sagt Jursa dem BR. Selbst Strafzölle der EU hätten die Chinesen bislang nicht daran gehindert, so Jursa.
Bayern verliert durch chinesische Subventionen
Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, sieht in den kommenden Monaten deshalb eine schärfere Zollpolitik der EU gegenüber China kommen: "Das könnte sich hochschaukeln. Aber in der Stärke, die Europa besitzt, wird es eher eine Verhandlungsstrategie zur Folge haben. Die EU ist ziemlich gut aufgestellt. Es gibt schon viele Akten zu solchen Beschlüssen, die kommen nun zur Abstimmung in die Parlamente", betont er.
Im Länderprofil des bayerischen Wirtschaftsministeriums heißt es fürs erste Halbjahr 2022: Beim Einkauf von Waren made in China gab es ein Plus mit über 40 Prozent zum Vorjahr, während bayerische Exporte nach China leicht zurückgingen. Sprich Autos und Fahrräder, Maschinen und chemische Produkte. Die Volksrepublik – mit über 42 Milliarden Euro Handelsvolumen weltweit wichtigster Partner - kauft also immer weniger Waren aus Bayern. Das ist kein neues Phänomen, sondern schon seit 2019 zu sehen. Schuld daran sind auch Wettbewerbsverzerrungen durch chinesische Subventionen. Laut Studie verliert Deutschland durch chinesische Subventionen massiv. Allein bei Medizingeräten betrage der Wertschöpfungsverlust sechs Milliarden Euro.
"Die Sorge ist sehr groß. China versucht, die internationalen Märkte durch Subventionspolitik zu verschieben. Das ginge zu Lasten der bayerischen Unternehmen. Umgekehrt ist es so, dass wir China brauchen ohne Wenn und Aber. Das ist eine sehr vertrackte Situation." Bertram Brossardt, Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft
Teils bieten chinesische Unternehmen ihre Waren um 30 Prozent billiger an als ihre westliche Konkurrenz. Die Dimensionen sind gigantisch, sagt Tanja Jursa. Indien als Nummer zwei der globalen Stahlbranche produziert 118 Millionen Tonnen jährlich – selbst vom staatlichen Volumen in China nur ein Drittel.
Schutzzölle stören China teilweise nicht
Damit diese Masse, zu Dumpingpreisen angeboten, den europäischen Markt nicht völlig überschwemmt, hat die EU sogenannte Safeguards eingeführt. Das heißt: Wenn China seine von der EU festgelegte Einfuhrquote pro Quartal erfüllt hat, fallen zusätzliche Zölle von 25 Prozent an. Dazu sagt Tanja Jursa vom Stahlwerk Annahütte Max Aicher: "Das Problem ist, dass diese 25 Prozent die Unternehmen in China teilweise nicht stören und trotzdem der Stahl in Europa anlandet."
Und nicht nur da. Tanja Jursa berichtete beim vbw-Kongress von einem ihrer Projekte in Dubai, wohin das Stahlwerk Annahütte Max Aicher hochwertigen Stahl für die arabische Bauindustrie verkauft. Wenn nun Chinesen dort bauen, sei es nicht nur üblich, dass sie ihre eigenen Arbeiter mitbrächten.
"Was sie auf jeden Fall mitbringen, ist ihr eigener Stahl. Deshalb finden wir teils weltweit keine gleichen Bedingungen vor. Wir erleiden durch staatliche chinesische Subventionen Nachteile im Wettbewerb." Tanja Jursa, Stahlwerk Annahütte Max Aicher
Die Chefin des bayerischen Stahlwerks fordert: "Wir müssen Paroli bieten. Momentan ist die EU wie ein offener Supermarkt. Wir müssen China etwas entgegensetzen und unsere Abhängigkeiten reduzieren." Die Frage ist nur – wie.
Welthandelsorganisation wäre gefordert
Michael Böhmer von der Prognos AG, Autor der Studie zu den Effekten der chinesischen Subventionspolitik auf Deutschland, sieht keine einfache Lösung. Idealerweise sollte die Welthandelsorganisation WTO, wo China seit 2001 Mitglied ist, wettbewerbsverzerrende Subventionen verhindern. Doch dem ist nicht so. Die WTO ist so uneins und träge, dass die Zahl bilateraler Freihandelsabkommenden in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen hat.
Denn die WTO hat sich als Instrument gegen Missstände nicht bewährt. Das liegt auch an den Regeln. So muss im Fall eine Klage vor der WTO der Kläger eine verbotene Subvention nachweisen. Böhmer fordert deshalb eine Umkehr der Beweislast – so dass der Beschuldigte den Nachweis seiner Unschuld führen muss. Im Falle Chinas sei es außerdem oft schwer zu identifizieren, wer überhaupt die Quelle der Subvention ist. Zum Beispiel kann die Quelle Stadt, Provinz oder Staat sein, wenn private Unternehmen mit Dumpingpreisen aufwarten. Solche Unterstützungen können laut Böhmer vergünstigte Kredite, Steuererleichterungen oder auch verbilligte Pacht von Land sein. Und direkte Finanzspritzen.
Auf die WTO setzt Böhmer als Lösung nicht. Auch Bertram Brossardt glaubt daran nicht, schon allein, weil China in der WTO mit abstimmt. Brossardt verspricht sich einiges an Dynamik von der EU. Er sieht in den kommenden Monaten eine schärfere Zollpolitik gegenüber China kommen. Ein neuer Handelskrieg? Brossardt: „Das könnte sich hochschaukeln. Aber in der Stärke, die Europa besitzt, wird es eher eine Verhandlungsstrategie zur Folge haben. Die EU ist ziemlich gut aufgestellt. Es gibt schon viele Akten zu solchen Beschlüssen, die kommen nun zur Abstimmung in die Parlamente.“
EU kann sich nicht von China abkoppeln
Im nächsten halben Jahr werde die Abwehr von Wettbewerbsverzerrung ein großes Thema in Europa, sagt Brossardt voraus. Eine Abkopplung von China, wie in den USA derzeit betrieben, sei wegen der gegenseitigen Abhängigkeiten nicht möglich. Es sei allerdings sinnvoll, sich parallel andere Märkte zu erschließen, etwa in Südostasien, Afrika oder Lateinamerika.
"Wenn meine Stahlindustrie verschwindet und die chinesische größer wird, dann hat das Implikationen für die militärische Power eines Landes. Und wer ist weiter voran: Die Chinesen oder die Amerikaner? Und da haben wir es nicht mehr mit einem Positiv-Summen-Spiel zu tun, wo alle profitieren können. Sondern mit einem turnierartigen Rennen, wo einer vorn liegt und alle anderen hinten. Und das verändert schon die Weise, wie man über den Welthandel nachdenken muss." Professor Gabriel Felbermayr, WIFO
Der prominente Ökonom Gabriel Felbermayr, Direktor des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung WIFO, ist überzeugt: Noch haben die Europäer einen Trumpf in der Hand – den starken Binnenmarkt und Hightech. Doch Felbermayr sagt auch: Mit dem Jahr 2022 habe sich der Charakter der Weltwirtschaft grundlegend verändert.
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