Fass mit Atomzeichen
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Ein Fass mit der Aufschrift "Back to sender" und einem Atomzeichen steht vor einem Haus bei Salzgitter in der Nähe vom Schacht Konrad.

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AKW-Abschaltung: Unvermeidlich oder "völliger Unsinn"?

Die drohende Gas-Knappheit hat eine hitzige Debatte über die Laufzeit von Atomkraftwerken ausgelöst. Laut CSU-Chef Söder wäre eine Verlängerung möglich. Die Bundesregierung winkt ab, die Betreiber verweisen auf mehrere Hürden. Die wichtigsten Fakten.

In Deutschland laufen bis zum Ende des Jahres noch drei Atomkraftwerke. Sie stehen in der Nähe von Landshut (Isar 2), in Niedersachsen (Emsland) und in Baden-Württemberg (Neckarwestheim 2). Zusammen haben sie eine Leistung von knapp 4,3 Gigawatt. Das heißt, wenn sie bei voller Leistung laufen, könnte man damit rund zwei Millionen Backöfen aufheizen, drei Millionen Staubsauger laufen lassen oder auch 500 Millionen energiesparende LED-Birnen erleuchten. Das ist ziemlich eindrucksvoll. Leider aber ist das nur ein Bruchteil des in Deutschland benötigten Stroms.

Die noch verbleibenden drei Atomkraftwerke decken lediglich rund fünf Prozent des Strombedarfs. In Deutschland wird jetzt darüber diskutiert, ob es sinnvoll und möglich ist, diese Atomkraftwerke noch länger laufen zu lassen, um Kraftwerke zu ersetzen, die mit Erdgas Strom erzeugen. So könnte mehr Erdgas für andere Anwendungen zur Verfügung stehen, wenn es in Folge des russischen Einmarsches in der Ukraine knapp würde - beispielsweise, um damit im kommenden Winter zu heizen oder für Produktionsprozesse in Industrie und Gewerbe.

Die wichtigsten politischen Argumente für und gegen eine Laufzeitverlängerung, die Haltung der Betreiber und die größten Hürden für einen Weiterbetrieb im Überblick:

Söder und Lindner für Verlängerung AKW-Laufzeiten

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) setzt sich zum Beispiel vehement für den Weiterbetrieb ein. Anfang der Woche sagte er in München: "Wir werden im Winter ab dem 1. Januar neben einem echten Gasproblem noch eine zusätzliche Stromlücke erhalten. Es gibt keine Argumente, außer rein ideologischen Basta-Argumenten, die Kernkraft nicht zu verlängern." In einem BR-Interview beklagte der CSU-Chef, es sei "völliger Unsinn", die Kernenergie nicht weiterlaufen zu lassen.

Ähnlich argumentiert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Er betonte im ZDF, ihn befriedige es nicht, "dass wir die klimaschädliche Kohle verlängern, die Möglichkeiten der Kernenergie aber nicht einmal in Erwägung ziehen".

Habeck gegen längere Laufzeiten bei Atomkraftwerken

SPD und Grüne halten dagegen wenig von längeren Laufzeiten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagt, sein Ministerium habe das prüfen lassen. Fazit: "Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen."

Ein AKW-Weiterbetrieb wäre mit "sehr hohen wirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken" verbunden, heißt es in einer gemeinsamen Untersuchung von Wirtschafts- und Umweltministerium. Dem gegenüber stehe nur "ein kleiner Beitrag zur Energieversorgung". Man müsste mindestens für drei bis fünf Jahre verlängern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Bis 2028 stünden aber, wie es heißt, "andere Möglichkeiten" zur Verfügung, um eine ausreichende Stromversorgung zu gewährleisten.

Scholz: Halte mich mit der Frage nicht lange auf

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beruft sich auf die "ziemlich einheitliche" Aussage von Experten, wonach die Brennstäbe, also der Antrieb der Atomkraftwerke, für die verbleibenden Meiler nur bis Ende des Jahres reichen. "Die Argumente der Fachleute, die gegen eine Verlängerung sprechen, sind bisher nirgends widerlegt worden", sagte er kürzlich in einem Interview. Daher halte er sich mit der Frage "nicht lange auf".

Viele Experten sind der Meinung, dass es lediglich möglich wäre, die Atomkraftwerke jetzt mit reduzierter Leistung laufen zu lassen, um sie dann noch ein paar Monate Anfang 2023 weiterbetreiben zu können. Die Strommenge die dabei erzeugt würde, ließe sich dadurch aber nicht groß vermehren – sie könnte nur über einen längeren Zeitraum verteilt, also gestreckt werden.

Söder: Isar-2-Brennstäbe halten länger

Das allerdings sieht Ministerpräsident Söder anders. Dem "Münchner Merkur" sagte er, Isar 2 könne im kommenden Jahr noch sechs Monate Strom liefern, ohne, dass in diesem Jahr die Leistung gedrosselt werden müsse, um die Brennstäbe zu schonen. Das würde reichen, um bis dahin neue Brennstäbe zu bestellen - für einen noch längeren Weiterbetrieb. Der CSU-Politiker beruft sich dabei auf ein "Gutachten des TÜV Süd, das vom bayerischen Umweltministerium in Auftrag gegeben wurde".

TÜV-Gutachten: Weiterbetrieb von Isar 2 technisch möglich

Das Gutachten, das auch BR24 vorliegt, ist bereits mehr als zwei Monate alt. Anfang April hatte die Staatsregierung den TÜV beauftragt, zusammenzuschreiben, wie ein Weiterbetrieb der Blöcke Isar 2 und Gundremmingen C aussehen könnte - letzterer wurde schon Ende vergangenen Jahres stillgelegt. Auf den sechs Seiten des Gutachtens wiederholt der TÜV, was das Umweltministerium bereits im April verbreitet hatte: Die Sicherheit der Anlagen sei gegeben, und ein Weiterbetrieb über Jahresende hinaus wäre technisch möglich. Auch ein Wiederanfahren des stillgelegten Gundremmingen C halten die TÜV-Gutachter für technisch möglich - das fordert aber auch die Staatsregierung nicht.

Bei der Frage der Brennelemente bestätigen die TÜV-Gutachter, was der Kraftwerkssprecher von Isar 2 zuvor gesagt hatte: Der jetzt im Reaktor befindliche Brennstoff würde nach dem Jahreswechsel noch für zweieinhalb Monate reichen. Und es wäre prinzipiell möglich, alte Brennelemente aus dem Lagerbecken zurückzuholen und noch brauchbare Teile davon neu zusammenzusetzen. Damit könnte Isar 2 dann weitere drei Monate lang betrieben werden, ohne auf neue Brennstäbe angewiesen zu sein. Und bis August 2023 könnte man laut TÜV frische Brennelemente besorgen.

Beim Betreiber Eon heißt es allerdings ausdrücklich, dass "wir nicht mehr über frische Brennelemente verfügen, die für einen Betrieb erforderlich wären". Mindestens zwölf, eher 15 bis 24 Monaten dauert es, um neue maßgeschneiderte Brennstäbe auf dem Weltmarkt beschaffen zu können. Hinzu kommen entsprechende Sicherheitsprüfungen.

Branche spricht von rückwärtsgewandter Debatte

Auf viel Gegenliebe stößt das in der Energiewirtschaft aber nicht. RWE-Chef Markus Krebber zum Beispiel, als Betreiber des Atomkraftwerkes Emsland, wundert sich über die Debatte. Er spricht von rückwärtsgewandten Überlegungen. Die Atomdebatte komme zu spät. Brennstäbe müssten genau zum Reaktortyp passen. "Wir müssen die neuen Technologien an Bord bringen und nicht Diskussionen führen, ob irgendwas einen Monat länger läuft", so Krebber.

RWE-Chef verweist auf Sicherheitsaspekte

Der RWE-Chef verweist darüber hinaus auf Sicherheitsaspekte. So wurden beispielsweise aufwändige Sicherheitsprüfungen auf ein Ende der Atomkraft zum Jahreswechsel 2022/2023 ausgerichtet. Bei einem Weiterbetrieb würden also bald sehr umfangreiche Prüfungen anstehen, die ein Herunterfahren der Kraftwerke erfordern.

Auch Eon, mit seiner Atomsparte Preussen Elektra (Isar 2), und EnBW (Neckarwestheim 2) sprechen sich nicht offen für den Weiterbetrieb aus. Sie verweisen auf die Position der Bundesregierung. Eon aber mit dem Hinweis, "dass ein Weiterbetrieb von Isar 2 unter gewissen Voraussetzungen möglich wäre, aber einen gewissen zeitlichen Vorlauf benötigt".

Herausforderungen beim Personal

Hinzu kommen Herausforderungen beim Personal zum Betrieb der Anlagen, bei der Wartung und auch bei den Aufsichtsbehörden und Sachverständigen. Alle Beteiligten haben sich bei der Disposition ihrer Beschäftigten auf ein Ende im Dezember 2022 eingestellt.

Ähnliche Einschätzung wie im Herbst 2021

Die drei Betreiber bleiben damit bei ihren Einschätzungen aus dem vergangenen Jahr. Da hatte es beispielsweise bei RWE geheißen: "Das Kapitel Kernenergie ist für RWE abgeschlossen". Jetzt müssten die Erneuerbaren, genauso wie das Stromnetz, schneller ausgebaut werden.

Und auch EnBW ist da deutlich: Man habe nach dem Ausstiegsbeschluss eine langfristige Strategie für den Rückbau ausgearbeitet und seitdem umgesetzt. Die Frage nach einer Laufzeitverlängerung und weitere, Zitat, hypothetische Fragestellungen stellten sich deshalb für EnBW nicht.

Und auch bei Preussen Elektra war die Aussage für alle drei damals noch laufenden Reaktoren, darunter Isar 2 in Niederbayern, eindeutig: Eine Verlängerung der Laufzeit sei keine Option.

Komplexe rechtliche Situation

Auch rechtlich wären für einen Weiterbetrieb zahlreiche Probleme zu lösen. Es müsste zum Beispiel das Atomgesetz neu geregelt werden, das die Abschaltung der letzten Atomkraftwerke zum 31. Dezember 2022 vorsieht. Hinzu kommen die Verträge, die die Bundesrepublik mit den Betreibern geschlossen hatte. Darin wurde unter anderem finanzielle Fragen geklärt. Sei es bei der Zwischen- und Endlagerung, als auch bei den Entschädigungen für den Ausstieg.

Kohlekraftwerke offenbar einfachere Lösung

Noch ist die Debatte darüber nicht vorbei. Auch die Befürworter eine Laufzeitverlängerung haben dabei unterschiedliche Ziele: Während beispielsweise der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) die Atomkraftwerke lediglich ein paar Monate länger laufen lassen möchte, plädiert Söder für einen Weiterbetrieb bis bis 2025.

Allerdings scheint es wahrscheinlich, dass sich - auch angesichts der großen restlichen Herausforderungen bei der Energieversorgung - eine viel naheliegendere und einfachere Lösung als die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken durchsetzen wird, um Erdgas bei der Stromerzeugung einzusparen: der Weiterbetrieb und das Wiederhochfahren von stillgelegten Kohlekraftwerken. Auch diese erzeugen eindrucksvolle Strommengen. Allerdings auch große Mengen Kohlendioxid.

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