In der Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) waren zuletzt 282 Lieferengpässe aufgelistet. Damit liegt die Zahl niedriger als vor zwei Jahren, als es mehr als 400 solche Meldungen gab. Doch wirklich entspannt sei die Lage nicht, heißt es von den Apothekerverbänden. Besonders bei einigen Wirkstoffen, nach denen viele Patienten von sich aus in der Apotheke fragen, gibt es Probleme.
Schwierigkeiten bei Erkältungsmitteln
Vor allem Arzneien, die insbesondere Kindern gegen Erklärungsbeschwerden gegeben werden, seien derzeit häufig knapp, berichtet Alexander von Waldenfels vom Vorstand der Bayerischen Landesapothekerkammer. Codein-Tropfen, die bei Husten verordnet werden, seien derzeit nicht zu bekommen. Auch bei Produkten mit dem schleimlösenden Wirkstoff Acetylcystein, kurz ACC, gebe es Lieferschwierigkeiten. Ebenso der schleimlösende Wirkstoff Ambroxol sei knapp. "Das ist ein echtes Liefersroblem gerade jetzt im Bereich der momentanen Erkältungswelle", sagt der Schlierseer Apotheker.
Beim Wirkstoff Paracetamol, der vor allem gegen Schmerzen und als Fiebersenker eingesetzt wird, dauern die Lieferprobleme bereits seit dem Sommer an. Hier gebe es vor allem bei Säften immer noch Schwierigkeiten, erklärt von Waldenfels – also bei Darreichungsformen, die vor allem Kindern gegeben werden. Das Gleiche gelte für den Wirkstoff Ibuprofen, der ebenfalls gegen Schmerzen und als Fiebersenker eingesetzt wird.
Probleme auch bei Antibiotika
Ein Ende der Engpässe bei solchen Erkältungsmitteln, die Patienten ohne Rezept in der Apotheke kaufen können, sei nicht in Sicht, erklärt der Kammer-Vorstand. Große Hersteller hätten angekündigt, dass die Schwierigkeiten bis mindestens Ende des Jahres andauern.
Noch keine echten Ausfälle, aber eine verringerte Lieferbarkeit gebe es bei dem häufig verordneten Antibiotikum Amoxicilin, erklärt von Waldenfels: "Das sind erste Vorboten, wenn bestimmte Stärken, bestimmte Größen lange nicht lieferbar sind. Da muss man hellhörig sein und schauen, was passiert."
Krebsmedikament Tamoxifen wieder lieferbar
Entspannung gibt es beim Wirkstoff Tamoxifen, bei dem Lieferprobleme im Frühjahr für viel Unruhe gesorgt hatten. Das Medikament wird vor allem zur Behandlung von Brustkrebs-Patientinnen eingesetzt. Ab Februar hatte es hier einen Versorgungsengpass gegeben. Davon ist offiziell die Rede, wenn die Versorgung von Patientinnen und Patienten gefährdet ist, weil auch beispielsweise durch einen Wechsel auf Präparate anderer Hersteller ein Wirkstoff nicht mehr geliefert werden kann.
Ein Versorgungsengpass ist also noch deutlich kritischer als ein Lieferengpass, bei dem in der Regel einzelne Hersteller bestimmte Dosierungen oder Darreichungsformen eines Wirkstoffs nicht an die Apotheken liefern können.
Empfehlungen an Patienten
Apotheker wie Alexander von Waldenfels aus Schliersee empfehlen vor allem chronisch kranken Patienten, sie sollten das Risiko eines kurzfristigen Engpasses im Kopf haben.
Wer ein bestimmtes Präparat regelmäßig braucht, sollte nicht warten, bis die letzte Packung leer ist, und sich dann erst ein neues Rezept in der Arztpraxis holen, sagt von Waldenfels. Mit zwei bis drei Wochen Vorlauf zu planen, sei klüger, um unangenehme Überraschungen zu vermeiden.
Unterschiedliche Einschätzung zu Gegenmaßnahmen
Um Lieferengpässen entgegenzuwirken, sind in den vergangenen Jahren verschiedene politische Maßnahmen ergriffen worden. So ist es für Apotheken inzwischen leichter, auf Medikamente anderer Hersteller auszuweichen, auch wenn Patienten wegen eines Rabattvertrags ihrer Krankenkasse grundsätzlich auf einen bestimmten Produzenten festgelegt sind. Außerdem gibt es beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte regelmäßige Treffen, bei dem Vertreter von Apothekern, Ärzten, Industrie und Politik über aktuelle Lieferengpässe und mögliche Gegenmaßnahmen beraten.
Nach Einschätzung von Industrieverbänden wird aber von Kassen und Politik nicht genug gegen den Kostendruck getan, der ihrer Meinung ein Hauptgrund für viele Lieferengpässe ist. Weil die Hersteller den gesetzlichen Krankenkassen teilweise hohe Rabatte gewähren müssen, um den Zuschlag für Lieferverträge zu bekommen, gebe es bei vielen Wirkstoffen nur noch sehr wenige Hersteller, kritisiert etwa der Industrieverband Progenerika. Bei Paracetamol-Säften beispielsweise konzentriere sich die Versorgung inzwischen im Wesentlichen auf einen einzigen Produzenten.
Konzentration auf wenige Wirkstoff-Hersteller
Die Krankenkassen sehen allerdings andere Probleme als Grund für viele Lieferschwierigkeiten. Der Dachverband der Betriebskrankenkassen betont, es gebe nicht nur in Deutschland, sondern auf dem gesamten Weltmarkt inzwischen eine Konzentration auf wenige Wirkstoff-Hersteller, von denen ein Großteil seinen Sitz an kostengünstigen Standorten in Asien hat. Mit Änderungen an den deutschen Rabattverträgen lasse sich daran nichts ändern, argumentieren die Kassen. Wichtig wäre nach Ansicht des Kassenverbandes vor allem eine bessere Logistik in der Arznei-Versorgung und eine vorausschauende Vorratshaltung.
- Zum Artikel: "Arznei-Lieferengpässe: Kassen fordern mehr Planung"
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Erste Publikation des Artikels: 01. November 2022