Große Visionen und am Ende ein Scheitern – die DTM unter dem früheren Formel 1-Piloten Gerhard Berger hatte zwar über die vergangenen zwei Jahre viel Aufmerksamkeit, am Ende allerdings kein Geld mehr. Nun springt der ADAC zu Hilfe und kündigt eine Art Neuaufbau des deutschen Motorsports an.
ADAC erwirbt Namensrechte der Rennserie
Die Gelben Engel, wie die Helfer des ADAC seit jeher genannt werden, sollen in ihrer Kernausrichtung vor allem liegengebliebene Autos wieder in den Stand versetzen, dass diese zumindest bis in die Werkstatt kommen. Außerdem hilft der ADAC mit seiner Hubschrauberstaffel bei Unfällen und Transporten von Schwerverletzten.
Dass der größte europäische Automobilclub nun im übertragenen Sinne zum Lebensretter des deutschen Motorsports wird und der DTM quasi auf der Intensivstation das Leben rettet und damit mindestens 26 Rennfahrzeugen ab dem kommenden Jahr wieder eine Perspektive geben will, passt optimal ins selbst gegebene Leitbild des ADAC. Denn der Automobilclub hat die Namensrechte für die Rennserie erworben.
Berger führt DTM aus tiefer Krise
Doch ganz so einfach ist auch die Motorsportwelt nicht. Natürlich ist es für den Sport, in dem Hunderte Menschen arbeiten, von dem teilweise Hersteller und Forschungsprojekte Daten für ihre Entwicklungen erhalten, wichtig, dass dieser eine Zukunft hat.
Aber der Einfachheit halber ein Überblick des Geschehens in Reihenfolge: Die DTM hat in ihren fast 40 Jahren, als sie einst als Deutschen Tourenwagen Meisterschaft gestartet war, schon viel erlebt. Die Ausstiege der Hersteller Mercedes (2018), Audi und BMW (beide 2020) stürzten die DTM in eine tiefe Krise, doch fand sie mit Gerhard Berger einen Funktionär, der Markenrechte und das dahinterstehende Unternehmen ITR kaufte und weiterentwickelte – und die DTM gänzlich von einer Prototypenserie hin zu einer Serie mit sogenannten GT3-Fahrzeugen wandelte. Es war die vierte "Geburt“ der Rennserie seit ihrer Gründung 1984.
Konkurrenz für ADAC-Rennserie
Genau dadurch wurde Berger mit seinem Projekt im Motorsport zu einer Konkurrenz – unter anderem für den ADAC, der mit gleichen Autotypen eine nahezu identische Serie betrieben hat. Diese Konstellation spitzte sich in den vergangenen zwei Jahren zunehmend zu – beide Serien kannibalisierten sich, warben sich gegenseitig Teams, Fahrer, Partner, teilweise sogar das eigene Personal ab.
An ein Miteinander der Serien, so wie es in der Vergangenheit mit gemeinsam durchgeführten Rennwochenenden, zu denen teilweise über 100.000 Besuchern kamen, war nicht zu denken. Despektierlich sprach die eine Seite von "denen am Ostbahnhof“ (die DTM-Organisation ITR zog unter Berger von Stuttgart nach München). Die andere Seite bezeichnete die Konkurrenz ebenso wenig wertschätzend als die "Gelben Heilsbringer“.
Berger verliert mit Mateschitz wichtigen Unterstützer
Dabei belebte die Konkurrenz der beiden Motorsportveranstalter durchaus die Entwicklung und Kreativität im Motorsport. Die DTM unter Berger wurde auf fünf Säulen gestellt, die neben der Historie (DTM Classic) auch die Zukunft (DTM electric) und Jugend (eSport) auf ihre Plattform nahm. Die Teilnehmeranzahl im DTM-Feld wuchs ebenso wie die Zahl der Hersteller. Die DTM etablierte sich europaweit. Ein Kniff, der Bergers Vorgängern mit viel Geld aus der Herstellerkasse nie gelungen war.
Doch am Ende war dennoch nicht genug Geld in Bergers ITR-Kasse und er ging auf Investorensuche. Corona und die Wirtschaftskrise verschärften das Problem des österreichischen Unternehmers zusehends – und im Herbst starb Bergers stets hilfsbereiter und kreativer Geldgeber im Hintergrund: Dietrich Mateschitz. Der Red-Bull-Eigentümer hielt Berger stets die Treue. Auch, weil Berger es war, der ganz zu Beginn das inzwischen sechsfache Formel 1-Weltmeisterteam von Red Bull in die Königsklasse brachte.
Nächste Krise folgt
Sportlich merkte man davon zunächst nicht viel. Im Oktober feierte man in Hockenheim ein historisches Saisonfinale, bei dem zehn Piloten zumindest theoretische Chancen auf den Titel hatten. Berger verfolgte diese spannenden Rennen allerdings nicht auf der Tribüne. Er war nicht angereist - offiziell wegen einer Corona-Erkrankung. Meister wurde Sheldon van der Linde im BMW, der erste Titelträger aus Südafrika in der DTM-Geschichte. Schon damals konnte man beim genauen Hinsehen, Anzeichen einer neuen Krise erkennen, die nun nach Bekanntgabe des Kaufs der DTM-Markenrechte durch den ADAC, Sinn ergeben.
Ende der DTM schien eingeläutet
Einen Kalender für 2023 gab es keinen, Verträge mit dem Personal liefen teilweise Ende September, also mit Saisonende bereits aus – keiner von ihnen beschäftigte sich mit dem Gedanken, im Folgejahr wieder dabei zu sein. Anschließend ging die DTM bis Ende November auf Tauchstation. Nichts war von denen "vom Ostbahnhof“ zu hören, zu sehen, zu lesen - bis zur Nachricht Ende November, dass zum Jahresende alle Mitarbeiter gekündigt werden. Das Ende der DTM schien eingeläutet.
Der ADAC unterdessen gab 2022 ganz den "Strahlemann“ – trotz weniger eingeschriebener Autos in seinem GT Masters als in den Vorjahren - und auch mit deutlich weniger Teilnehmern bei seinen Rahmenserien wie der GT4 und der Formel 4-Meisterschaft. Unruhe bei den Verantwortlichen? Keineswegs. Stets wurde auf "die andere Serie“ verwiesen, was diese so macht und "wie lange es in der DTM noch so gehen würde“.
Kehren vor der eigenen Tür: Fehlanzeige. Themen hätte es ausreichend gegeben, ob im Sportlichen als auch in der Vermarktung. Große neue Partner konnte man beim ADAC ebenfalls nicht präsentieren. Der Unterschied zu Bergers DTM ist nur: Wenn beim ADAC Motorsport das Budget durch externe Gelder nicht gedeckt ist, dann hilft der Verein. Auf diese Weise lässt sich manche Krisenzeit überstehen.
Probleme nicht gelöst
Gelöst sind die Probleme dadurch jedoch nicht – und wahrscheinlich war es diese Erkenntnis, die auf ADAC-Seiten zum Handeln führte. So umschreibt es zumindest der Leiter für Motorsport Thomas Voss bei der Pressekonferenz zur Übernahme der DTM-Markenrechte. Die Übernahmeverhandlungen seien "geprägt von der Einsicht, dass es in dieser Konkurrenzsituation nicht weitergehen könne“.
Sieben Wochen vor seinen Worten vom 8. Dezember sei das konkrete Angebot zur Übernahme der DTM durch den ADAC deshalb gemacht worden – relativ genau zu dem Zeitpunkt, als der ADAC mit seiner Rennserie das Saisonfinale ebenso in Hockenheim ausgetragen hat. Auffällig zu dem Zeitpunkt: Es gäbe etwas zu verkünden, man solle das Wochenende abwarten. Gesagt, noch nicht einmal angedeutet wurde bis zum Ende der Meisterfeier am Sonntagabend nichts. Nur die Häme gegenüber der DTM war plötzlich seltener zu hören.
Bei der großen Bekanntgabe war der ADAC dann freilich umso lauter. Die Rollen waren dabei klar verteilt: Dass es der einen Seite, der von Gerhard Berger, am Ende vor allem ums Geld ging, klang in Gesprächen rund um die Verkündung immer wieder durch. Dass es der anderen Seite, der des ADAC, um die Verantwortung gegenüber dem deutschen Motorsport ging, das zumindest stellten die "Gelben Heilsbringer“ mit ihrer Präsentation des - Zitat - "Deals“ so dar.
Verkaufssumme wird verschwiegen
Die 18 Millionen Euro, die Berger für den Verkauf sehen wollte, die wurden "definitiv nicht gezahlt“. Dass es aber "auch nicht nur Hunderttausend Euro sind“, sei auch klar, hieß es von Seiten des ADAC. Kolportiert wird ein Millionenbetrag ausgezahlt über mehrere Jahre, den Berger erhalten soll – in Gesamthöhe von acht bis neun Millionen. Offiziell schweigen sich alle Beteiligten aus.
Deutlich und vollmundig sprechen die neuen DTM-Verantwortlichen dagegen zu ihren Vorhaben. Vielmehr müsse der Fokus auf die Zukunft des deutschen Motorsports gelegt werden – und plötzlich wird der sonst so bürokratische, eher wenig kreative ADAC visionär und präsentierte ein durchaus schlüssiges Konzept.
Dabei wird aus zwei Meisterschaften quasi eine – die DTM bleibt als professionelle Rennserie bestehen. Das hauseigene ADAC GT Masters fährt zwar weiter mit den gleichen Fahrzeugen wie die DTM, wird aber dennoch abgewertet und auf Nachwuchs- bzw. Bezahlfahrer-Niveau herabgestuft und mit einer Prototypenserie zusammengelegt. Ein Experiment, welches international von privaten Betreibern durchaus erfolgreich bereits gibt.
Neuausrichtung kommt nicht überall gut an
Doch glücklich ist man darüber nicht überall: Die teils massive Kritik an dieser Neuausrichtung prasselt seitdem im Stundentakt auf den ADAC vor allen Dingen von Fahrern, Teams und auch Partnern aus diversen Serien ein.
Und auch sonst setzt der ADAC großzügig den Rotstift ein: Die DTM electric gibt es nicht mehr, auch wenn ADAC-Motorsportpräsident Ennser vehement versucht, diese Entwicklungsplattform der Industrie als Spielfeld anzupreisen. Aktiv wird sie dennoch nicht weiterbetrieben. Und: Von eSport war bei der Übernahme auch keine Rede mehr. Offenbar ist die Erkenntnis gereift, dass der Hype nach der kontaktlosen Corona-Zeit sein Ende gefunden hat.
Nachwuchsserien besser einbinden
Außerdem will der ADAC Nachwuchsserien in seinem Programm wieder besser einbinden – und streicht im gleichen Zuge die deutsche Formel 4 als am besten geeignete Einstiegsserie. Auch wenn die neuen DTM-Betreiber in Gelb ihre nationale Formel 4-Serie ad acta gelegt haben, ein eigenes Team bringt der ADAC dennoch an den Start. Um den Widerspruch aufzulösen, bedient man sich eben bei den französischen Nachbarn und schickt die potentiellen deutschen Nachfolger von Vettel, Hülkenberg und Schumacher einfach in Frankreich Erfahrungen sammeln.
Vielleicht gelingt auch dort ein Coup, wie er den "Rettern“ aus dem Münchner Westen mit der DTM-Übernahme und ihrem eifrig aus dem Boden gestampften Motorsportkonzept nun gelungen ist. Vor allem aber sitzen diejenigen, die in den vergangenen drei Jahren gern Kritik geübt haben, nun selbst hinter dem Steuer und müssen beweisen, dass sie all die Aufgaben verantwortungsvoll und wirtschaftlich solide umgesetzt bekommen. Denn fest steht auch: einen sechsten Anlauf in der DTM-Geschichte wird es sicherlich nicht geben.
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