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Felipe

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Fußball-Talente - in Deutschland gestrandet

Sie versprechen die große Fußball-Karriere in Europa, doch in Wahrheit geht es ihnen nur ums Geld. Wie skrupellose Spielervermittler ahnungslose Fußball-Talente in deutschen Amateurligen versauern lassen.

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Felipe hat einen Traum: raus aus den ärmlichen Verhältnissen seiner brasilianischen Heimat, als Profi-Fußballer in Europa den Durchbruch schaffen. Mit seinem Können Geld verdienen, die Familie stolz machen. Doch jetzt sieht seine Realität so aus: Brandenburg, 6. Liga, 140 Zuschauer am Spielfeldrand. Ein lauer Kick an einem zugigen März-Nachmittag. Felipe steht nicht auf dem Platz, sondern kauert in eine Decke gehüllt am Spielfeldrand. Er schaut anderen brasilianischen Spielern zu, gleich mehrere versuchen heute Tore zu schießen. Felipe kann das nicht: Er geht an Krücken. Aber das ist gerade nicht sein größtes Problem.

Schulden beim Favela-Boss

Felipe, aufgewachsen in der Nähe von Rio de Janeiro, hat sich beim örtlichen Favela-Boss Geld geliehen – viel Geld. Damit hat er einen Spielervermittler bezahlt, der ihn in Deutschland groß raus bringen wollte. Doch kaum in Deutschland angekommen merkt Felipe, dass er abgezockt wurde. Sein Vermittler meldet sich plötzlich nicht mehr. Ohne Geld und Deutschkenntnisse ist er aufgeschmissen und landet gemeinsam mit anderen gestrandeten Fußballern in einer Wohnung, in der er auf dem Boden schläft.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Aber Felipe gibt nicht auf. Auf eigene Faust findet er schließlich eine Mannschaft, in der er Fußball spielen kann. Der Amateurverein hilft ihm, zahlt wenigstens etwas Geld. Felipe hofft, dass doch noch alles gut wird. Dass bessere Vereine ihn verpflichten. Doch dann: Bei einem Spiel bricht er sich das rechte Schien- und Wadenbein. Seine Zukunft als Fußballspieler? Ungewiss. Bald läuft sein Visum ab. Und er hat weder Geld für den Rückflug, noch um seine Schulden beim Favela-Boss zu bezahlen.

Spieler auf dem Abstellgleis

Felipe ist kein Einzelfall. In ganz Deutschland gibt es zahlreiche brasilianische Spieler, die über Spielervermittler nach Deutschland kamen – sie alle hatten wie Felipe andere Ziele. Der Amateurverein sollte lediglich als Sprungbrett dienen, schon nach wenigen Monaten sollte der Wechsel zu einem höherklassigen Verein folgen. Doch meist verschwindet wenig später der Vermittler. Die Spieler landen auf dem Abstellgleis.

Wie viele Fußballer über Spielervermittler nach Deutschland kamen und dann in Amateurligen "abgestellt" wurden, ist unklar. Eine Analyse von BR Data hat ergeben, dass besonders Fußballer aus Japan und Brasilien nach Deutschland kommen. Zahlen des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) bestätigen das. So gab es allein in der vergangenen Saison deutschlandweit 191 Transfers aus Brasilien nach Deutschland, aus Japan sogar 226. Insgesamt waren laut BFV letzte Saison 818 Brasilianer und 701 Japaner in den verschiedenen deutschen Ligen aktiv.

"Er wurde verarscht, betrogen, ausgenutzt"

Einer dieser Japaner ist der 18-jährige Nori. Auch er hatte den Traum von einer Fußballkarriere in Deutschland. Sein Spielervermittler stellte ihm Probetrainings bei namhaften Vereinen wie Werder Bremen oder 1860 München in Aussicht. Knapp 7.000 Euro ärmer ist Nori schließlich in Deisenhofen bei München gelandet. Er hat keinen Spielerpass, darf also am regulären Spielgeschehen nicht teilhaben.

Vom Traum übrig: ein bisschen Mittrainieren bei einem Zehntligisten. Und das auch nur, weil der Trainer dort Mitleid hatte.

"Er wurde verarscht, betrogen, ausgenutzt auf gut Deutsch. Ich finde es Wahnsinn, dass im Amateurbereich inzwischen so viel Geld und Kriminalität dahinter ist. Das so viele Schlupflöcher ausgenutzt werden und letztendlich 16-, 17-, 18-Jährige so um ihr Geld erleichtert werden. Das es schon da so zugeht ist für mich unvorstellbar." Dai Tatai, Trainer FC Deisenhofen III

Glück im Unglück

Nori hat Glück, dass er in Deutschland überhaupt jemanden gefunden hat, der ihm hilft. Denn sonst scheint sich niemand für Fußballer wie ihn zuständig zu fühlen. Gegenüber dem BR sagt DFB-Vizepräsident Rainer Koch, dass in solchen Fällen staatliche Stellen verantwortlich seien, nicht der DFB. Doch auch das Innenministerium sieht sich nicht zuständig, verweist auf Landesbehörden. Dort allerdings scheint die Problematik nicht mal bekannt.

Nur ein Beinbruch

Zurück zum Brasilianer Felipe, der vor den Toren Berlins mit gebrochenem Bein einer ungewissen Zukunft entgegenblickte: Auch er hat Glück gehabt. Er fand eine Familie, die ihn aufnahm und unterstützte. Anderen Brasilianern erging es weniger gut. Visum abgelaufen, illegal im Land, kein Geld, keine Wohnung. In einem Fall wandte sich die Mutter eines Fußballers im brasilianischen Fernsehen verzweifelt an die Öffentlichkeit. Eine Hilfsorganisation ermöglichte schließlich den Rückflug. Der Fall liegt mittlerweile beim Staatsanwalt. Das ist aber eher die Ausnahme. Betrogene Spieler trauen sich häufig nicht nicht, Anzeige zu erstatten – sei es aus Angst oder Scham.