Sonntagmorgen, acht Uhr, vor der Lorenzkirche in Nürnberg: Es ist der 4. Mai 2025. Eine Menschenmasse versammelt sich, tausende Fahnen in Rot und Weiß wehen im Wind. Immer wieder brausen Fangesänge auf, es ist der 125. Geburtstag des 1. FC Nürnberg. Die Anhänger sind zusammengekommen, um den größten Fanmarsch der Vereinsgeschichte zu beschreiten.
Gut zwei Stunden hat die Fanszene für den Marsch eingeplant. Vorneweg fährt ein roter Bus mit offenem Verdeck. Von dort oben winken ehemalige Spieler und Clublegenden, wie zum Beispiel das Tor-Phantom Marek Mintal der Ex-Keeper Raphael Schäfer. Sie beide waren dabei, als der FCN seinen letzten großen Titel holte, den Pokalsieg 2007. In Erinnerung an die glorreichen Zeiten des ruhmreichen Clubs haben die Fans eine kleine Trophäensammlung dabei, die sie stolz der Menge präsentieren.
Der FCN - Ein Verein mit Höhen und Tiefen
Dass die sportlichen Hochzeiten des 1. FC Nürnberg weit in der Vergangenheit liegen, ist kein Geheimnis. Neun Meistertitel hat der Club auf dem Konto, viermal holte man den DFB-Pokal. Allein fünf deutsche Meisterschaften gewannen die Nürnberger in den "Goldenen 20er Jahren" des vergangenen Jahrhunderts. Das letzte Mal reckten sie die Meisterschale 1968 in die Luft, ehe es in der darauffolgenden Saison als amtierender Meister direkt in die 2. Liga ging. Ein historischer Abstieg, der in seiner Art bis heute einzigartig ist.
Ebenfalls ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat sich der Abstieg im Jahr 1999. Zu diesem Zeitpunkt ist der Club längst als Fahrstuhlmannschaft über die Grenzen Frankens hinaus bekannt. Und doch wähnte man sich am letzten Spieltag vor dem Heimspiel gegen den SC Freiburg in Sicherheit, bestand auf Tabellenplatz zwölf doch nur noch eine theoretische Gefahr, abzusteigen. Es kam, wie es kommen musste, der FCN ging direkt runter in Liga zwei. Die vorher bereits groß angekündigte Klassenerhaltsfeier entwickelte sich zu einem Desaster. Das Ergebnis waren fliegende Bierbecher und wütende Fans an Stelle von Jubel-Arien.
Im Video: XXL-Fanmarsch für den 1. FC Nürnberg
BR24 vor Ort: XXL-Fanmarsch in Nürnberg
Der Clubfan: Treu und leidensfähig
Geschichten wie diese sind es, die zeigen, warum der Clubfan als besonders leidensfähig beschrieben wird. Obwohl der Verein seine Anhänger schon durch so manches Tal der Tränen getrieben hat, die Liebe der Fans zu ihrem FCN ist seit jeher ungebrochen. Beim Fanmarsch erzählen die meisten: "Clubfan sein, das sucht man sich nicht aus." Und trotz aller Widrigkeiten, immer wieder betonen die Fans, wie viel ihnen der Club bedeutet. Einer sagt: "Ich bin Christ, das heißt: Gott steht an erster Stelle. Kurz danach kommt aber schon der Club."
"Liebe, Glaube, Leidenschaft", so lautet das Motto der Clubfans, deren Hingabe und Liebe zum Verein an mancher Stelle durchaus religiöse Züge annimmt. Nur folgerichtig hat der Club bereits einen Tag vor dem offiziellen Jubiläum die Feierlichkeiten mit einem eigenen FCN-Gottesdienst in der Kirche St. Sebald eingeläutet. Fahnenschwenker, Fangesänge und "Die Legende lebt" begleitet von der Kirchenorgel. Die Fans lieferten Bilder, die wohl in sämtlichen Rückblicken der kommenden Jahrzehnte zu sehen sein werden. "Wahnsinn, was hier passiert ist", resümiert FCN-Sportvorstand Joti Chatzialexiou. "Gänsehaut", sagen viele Teilnehmer beim Verlassen der Kirche.
"Eigentlich wussten wir schon immer, dass die Leute verrückt sind nach ihrem Club", sagt Ex-Torhüter Raphael Schäfer im Gespräch mit BR24. Andreas Köpke, der in den 90er Jahren beim FCN im Tor stand und nach dem vor dem Jubiläumsspiel der Block 4 der Nordkurve im Max-Morlock-Stadion benannt wurde, pflichtet ihm bei: "Die ganze Stadt ist Club-verrückt. (...) Es gibt Kinder, die werden beim Verein angemeldet, die können sich gar nicht wehren." In der Tat ist das Dasein als Clubfan meist einem familiären Erbe geschuldet. So sagt ein treuer Anhänger im Fanmarsch: "Der Club ist mein Leben. Mein Vater hat mich damals mitgeschleppt. Seitdem bin ich Fan. Das wird mal nicht mehr los."
XXL-Graffiti zum 125. Jubiläum des 1. FC Nürnberg
Auf dem Weg zum Stadion führt der Weg über die Regensburger Straße. Vor einer Hausfassade bleiben viele Fans stehen, machen Fotos, Selfies, blicken staunend nach oben. An der Wand prangt ein riesiges FCN-Graffiti: ein Geschenk der Fanszene an den 1. FC Nürnberg zum 125. Geburtstag. "Wahnsinn", sagt ein Mann, "fantastische Arbeit". Es sollte nicht der einzige Hingucker an diesem Tag bleiben.
Denn auch im Max-Morlock-Stadion soll an diesem Tag Historisches geschehen: Die größte Fan-Choreografie der Vereinsgeschichte, über alle Ränge soll sie gehen. 15 Minuten vor Anpfiff gibt ein Capo der Nürnberger Ultras noch einmal die Anweisungen durch. Dann erklingen die ersten Töne der Vereinshymne "Die Legende lebt". Knapp 50.000 Fahnen in den Gründungsfarben Rot und Weiß werden in die Höhe gehalten, in Gold erscheinen die Wörter "125 Jahre 1. FC Nürnberg" auf Nordkurve und Gegengerade. Flankiert wird das ganze mit Bildern aus der langen und bewegten Club-Historie. So laut wie an diesem Tag wurde die Legende wohl nur selten gesungen. Egal, wie das Heimspiel gegen die SV Elversberg ausgehen wird. Mit diesen Fans im Rücken hat der Club an seinem Jubiläumstag bereits gewonnen.
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