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Neonazis im Retro-Chic

Auf dem rechten Auge hellwach Neonazis im Retro-Chic

Stand: 20.11.2014

In einem Auge spiegeln sich die wutverzerrten Gesichter von Neonazis | Bild: colourbox.com; picture-alliance/dpa; br; montage:br

Wenn mal wieder ein Zeitungs- oder Online-Artikel über Neonazis illustriert werden muss, dann greifen die Kolleginnen und Kollegen aus den Bildredaktionen gern zu Symbolbildern: Glatzkopf von hinten, Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, grüne Bomberjacken. Da weiß jeder sofort, was und wer gemeint ist. Dabei haben Neonaziexperten jahrelang versucht, diese Klischees aus den Köpfen zu kriegen. Denn Neonazis kommen nicht alle immer nur als Skinheads daher.

Von: Thies Marsen

Neonazis sind vielseitig - und haben längst alle möglichen subkulturellen Codes für sich vereinnahmt – ob Gothic, HipHop, Metall oder sogar Punk. Doch plötzlich stylen sich Neonazis wieder genauso, wie es dem medialen Klischeebild entspricht. Und sie führen sich auch genauso auf – zuletzt zu bewundern bei den jüngsten Hooligan-Aufmärschen in Köln und Hannover, wo – im Wortsinne! – "Nazi-Glatzen" die Sau rausließen.

Die Szene pflegt einen neuen Stil

Neonazis scheinen also neuerdings wieder auf ihren alten Style zu setzen: Der Skinhead-Look. Aber warum? Eigentlich ist es doch seit langem erklärtes Ziel der Szene, akzeptierter Teil der Gesellschaft zu werden. Während etwa die NPD dabei vor allem auf Anzug und Krawatte und eine "seriöse Radikalität" setzte, eigneten sich andere Teile der Szene, vor allem die selbsternannten "freien Nationalisten", praktisch jeden Style an, der ihnen unter die Finger kam. Am Ende sogar den ihrer ärgsten politischen Gegner: der Antifa. Neofaschisten formierten sich plötzlich als "Schwarzer Block", kopierten fast eins zu eins die Parolen und Abzeichen der Antifa und bezeichneten sich selbst als "Autonome Nationalisten". Für Außenstehende war es in der Folge manchmal ziemlich schwer zu erkennen, wer bei Demonstrationen nun Nazi war und wer Gegendemonstrant. Unumstritten war diese Strategie allerdings nie. Der einstige NPD-Chef Udo Voigt polterte gar: „Spruchbänder mit englischen Texten zeigten ein von uns nicht gewolltes Erscheinungsbild, ganz zu schweigen davon, dass es für mich als Nationalisten unwürdig ist, die Kommunistenfaust oder Aktionsformen der Antifa zu übernehmen.“

Hooligan-Aufmarsch mit Münchner Stadtrat

Die Skinhead-Meute bei den Hooligan-Aufmärschen in Köln und Hannover scheint der NPD dagegen gut zu gefallen – dort waren zahlreiche Funktionäre der Partei anwesend, bis hin zum Münchner Stadtrat Karl Richter. Man versucht offensichtlich wieder Anschluss zu finden an diese Jugendkultur sogenannter Fußballfans. Eigentlich auch ein Retro-Phänomen. Denn schon in den 1980er Jahren gab der damalige Neonaziführer Michael Kühnen die Parole aus, sich unter Fußballfans zu mischen. Die Gewaltbereitschaft der Hooligans, ebenso wie ihr Vereinsfanatismus lassen sich eben durchaus gut in eine faschistische Ideologie integrieren. Und dazu passt auch der militaristische Skinhead-Look, sagt Robert Andreasch von der antifaschistischen Dokumentationsstelle aida in München: „Sich als breitschultrige, brutal aussehende Masse zu formen, das geht sehr gut mit den Bomberjacken, die einen als Schläger erscheinen lassen oder die medial schon mit dem Bild des bösen Schlägers, Kriminellen und Gefährlichen verknüpft sind.“ Und der Skinheadlook wirkt noch dazu wie die optische Antithese zu den erklärten neuen Feinden der Neonazis – zu den Dschihadisten und Salafisten mit ihren Bärten und langen Haaren.

Der Neonazi sieht wieder aus wie einer

Dabei war es eigentlich schon ein ziemlicher Kulturbruch, als Neonazis, die jahrzehntelang eher Bundfaltenhosen und Seitenscheitel bevorzugten, sich in den 80er Jahren plötzlich die Skinheadsubkultur zu eigen machten. Schließlich war das eigentlich der Stil schwarzer, aus der Karibik stammender Jugendlicher. Doch diese feindliche Übernahme, die in England ihren Ausgang nahm, hat der Neonaziszene einen ungeahnten Modernisierungsschub verpasst. Plötzlich hatten die vormals altbackenen Kameraden Anschluss an die Jugendkultur. Vor etwa zehn Jahren dann begannen insbesondere deutsche Neonazis das Repertoire zu erweitern, seitdem können Neonazis ebenso als Hipster wie als Punks daherkommen, es herrscht Stilpluralismus.

Und zu diesem Pluralismus gehört eben neuerdings auch, dass Neonazis wieder mit Glatze, Bomberjacke und Tattoo rumlaufen. Doch der Retrotrend ist und bleibt nur eine Komponente der Neonaziszene, die längst für jeden einen Style im Angebot hat. Am Ende gilt: Wichtig ist nicht, wie der Schädel außen ausschaut, sondern was drin ist.