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Zehnter Todestag Stieg Larsson: Schriftsteller, Nazigegner

Vor zehn Jahren starb der schwedische Journalist und Schriftsteller Stieg Larsson, dessen posthum veröffentlichte Millenium-Triologie weltweit für Furore sorgte. Was kaum einer weiß: Stieg Larsson war eigentlich Journalist, der sich vor allem mit Neonazis und Rassisten beschäftigte. 1995 gründete er die Stiftung Expo, zu der auch ein gleichnamiges antifaschistische Magazin gehört. Bis zu seinem Tod im November 2004 fungierte Stieg Larsson als dessen Herausgeber. Heute wird Expo von Daniel Poohl geleitet. Der BR hat mit Daniel Poohl über Stieg Larssons antifaschistisches Vermächtnis gesprochen.

Von: Thies Marsen

Stand: 12.11.2014 | Archiv

Der Schriftsteller Stieg Larsson (2004) | Bild: picture-alliance/dpa

BR: Wann und wie haben Sie Stieg Larsson kennengelernt?

Daniel Poohl: Ich hab im Jahr 2001 angefangen, für Expo zu arbeiten. Stieg war einer der ersten die ich dort traf. Und eine der ersten Sachen, die ich für Expo gemacht habe, war, dass ich mich in eine neue rechtsradikale Partei eingeschmuggelt habe, die sogenannten Nationaldemokraten. Das war eine Abspaltung der Schwedendemokraten. Stieg schrieb damals mit einem Kollegen an einem Buch über die Nationaldemokraten und brauchte möglichst schnell Informationen über diese neue Partei. Stieg hat diese Aktion maßgeblich geleitet und so haben wir uns kennengelernt, indem wir bis spätabends zusammen gehockt sind, Zigaretten geraucht haben und uns über meine Aufgabe unterhalten haben.

Als Sie sich damals in diese kleine Nazipartei eingeschmuggelt haben, sind Sie mit einer Delegation der sogenannten Nationaldemokraten auch nach Deutschland gereist.

Ja, wir sind damals auch zu einem Treffen mit Rechtsextremisten nach Dresden gefahren und danach weiter in die Tschechische Republik. Das war eine gute Möglichkeit, die Partei genauer kennenzulernen. Und als ich wieder zu Hause war, konnte ich das erlebte analysieren und einordnen – das ist etwas was ich von Stieg gelernt habe. Ich war ja ziemlich neu in dem Geschäft.

"Stieg hat mir geholfen die Puzzlestücke zusammenzufügen und all die Dinge, die ich in dieser kurzen Zeit in der Partei erlebt habe, in einen politischen Kontext zu stellen."

'Expo'-Chefredakteur Daniel Poohl

Haben Sie von stieg Larsson auch gelernt, wie man sich in gefährlichen Situationen verhält? Es gab ja von Beginn an Angriffe und Anschläge gegen Expo. Und sich in einen Nazipartei einschmuggeln, kann ja auch durchaus gefährlich werden

Ja, natürlich konnte das gefährlich sein, darüber haben wir die ganze Zeit diskutiert. Stieg hatte da viel Erfahrung, darüber haben wir damals immer diskutiert und leider müssen wir darüber heute bei Expo immer noch diskutieren.

Stieg wird oft beschrieben als Workaholic, der sich tagsüber gegen die extreme Rechte engagierte und nachts seine Bücher geschrieben hat. Wie haben Sie ihn gesehen?

Expo-Chefredakteur Daniel Poohl

Er hat manchmal viel gearbeitet, aber ich glaube, es ist ein Fehler, wenn man das Bücherschreiben bei ihm als Arbeit betrachtet. Ich glaube, das war einfach ein Hobby, das hat er zum Spaß gemacht, so wie andere Leute Briefmarken sammeln oder Fußball schauen am Wochenende – das war keine Arbeit für ihn. Er ging abends nach Hause und machte etwas, das ihm Spaß machte und das war das Schreiben und offenbar war er da ziemlich begabt, ein Krimigenie.

Was bedeutete es für das Magazin Expo, als Stieg vor zehn Jahren starb?

Schon bevor er starb hat er hat sehr viel Verantwortung abgegeben an sehr junge Leute wie mich. Und weil er das so gemacht hatte, konnte eine junge Generation das weiterführen, was er begonnen hatte. Es war für Stieg immer wichtig, Expo am Leben zu halten. Und für uns war es immer wichtig, sicherzustellen, dass das, was Stiegs aufgebaut hat, erhalten bleibt und ausgebaut wird.

Wenn man Stieg Larrsons Bücher liest, spürt man auch ein bisschen die Unterschiede in der antifaschistischen Arbeit zwischen Schweden und Deutschland. Es scheint dort zum Beispiel ein durchaus positives Bild der schwedischen Geheimdienste durch. In Deutschland dagegen machen  Antifaschisten immer wieder schlechte Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz, sie werden regelmäßig als linksextremistisch eingestuft - so ist es auch dem deutschen Partnermagazin von Expo schon ergangen, dem Antifaschistischen Infoblatt.

Alle Länder sind anders. In manchen Staaten sind es vor allem linke Gruppen, die antifaschistische Arbeit machen. Wir haben es geschafft, Brücken zu bauen zu fast allen politischen Richtungen. Das hat viele Gründe, vor allem historische.

"Schon während des Zweiten Weltkrieges  gab es in Schweden Nazigegner nicht nur bei den Linken, sondern auch bei den Liberalen. Jedes Land hat einen anderen politischen Kontext und der bestimmt, wie du deine Arbeit machen kannst."

'Expo'-Herausgeber Daniel Poohl

Das Expo-Magazin hat inzwischen sogar Sponsoren wie den Großkonzern Vattenfall. Offenbar wird Eure Arbeit bis hinein in die Mitte der Gesellschaft akzeptiert.

Ja, und das liegt wirklich an der Arbeit, die Stieg geleistet hat. Aus seiner Sicht, und ich sehe das genauso, bedeutet Antifaschismus, für Demokratie zu kämpfen. Und du kannst dafür in fast allen politischen Spektren Verbündete finden – außer natürlich bei den extrem Rechten selbst. Und es ist wichtig, Verbindungen herzustellen, um ein Bollwerk für demokratische Ideen zu schaffen. Dafür hat sich Stieg eingesetzt und wir haben jetzt die Möglichkeit, da weiterzumachen.

Trotzdem haben die rechtspopulistischen Schwedendemokraten bei den Wahlen im vergangenen September ihre Stimmenzahl verdoppelt, auf 12,9 Prozent.

Das ist sehr komplex. Manche glauben, Schweden sei nun einfach eines der letzten Länder, wo jetzt auch Rechtspopulisten im Parlament sitzen. Wir hatten aber schon mal 1991 eine rechtspopulistische Partei namens „Neue Demokratie“, die es ins Parlament schaffte. Die Partei implodierte bei den Wahlen 1994, das war eine große Niederlage für Nationalisten in Schweden. Das war wohl einer der Gründe, warum die Schwedendemokraten lange wenig Erfolg hatten. Jetzt haben sie es geschafft. Vielleicht ist es eine gute Gelegenheit, Stieg zu zitieren. Ich erinnere mich, wie er einmal gesagt:

"Die Leute wählen die Schwedendemokraten aus dem selben Grund, warum sie die Sozialdemokraten wählen: Sie mögen ihre Politik. Wir müssen einfach realisieren, dass diese politischen Parteien existieren, weil sie Ideen kanalisieren, die in der Gesellschaft existieren: Und diese Ideen basieren auf diversen Ausformungen von Rassismus und Intoleranz."

'Expo'-Chefredakteur Daniel Poohl

Wie haben Sie bei Expo an den zehnten Todestag von Stieg Larsson erinnert?

Wir haben nichts Großes veranstaltet. Freitagnachmittag haben wir uns kurz im Büro zusammen gehockt und über Stieg gesprochen. Und ich habe einen Artikel veröffentlicht, in dem ich schreibe, dass wir ihn vermissen und dass wir alles tun werden, um sein Vermächtnis bei Expo zu bewahren. Ich habe aber auch geschrieben, dass einige der Vorstellungen, die heute über Stieg kursieren, ziemlich verstörend sind. Die Vorstellung, er sei ein Menschen gewesen, der nie geschlafen hat, ein Computergenie, eine brillante Persönlichkeit in jeder Sekunde seines Daseins. Einerseits wird so die wahre Person Stieg Larsson zum Verschwinden gebracht, und andererseits wird so eine falsche Vorstellung davon kreiert, wie gesellschaftliche Veränderungen vonstatten gehen. Dass da einzelne brillante, außergewöhnliche Persönlichkeiten alleine Veränderungen hervorbringen können. Ich glaube nicht, dass das so ist. Stieg war jemand, der Leute um sich haben wollte, er wollte nicht im Scheinwerferlicht stehen. Er war jemand, der auf viele verschiedene Arten mit anderen Leuten zusammengearbeitet hat. Und ich denke, das ist wichtig, nicht nur wenn wir an Stieg erinnern, sondern auch, wenn wir versuchen zu verstehen, wie wir diese Welt verbessern können. Das kannst Du nicht alleine machen, das musst Du mit anderen Leuten zusammen machen.


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