NSU-Prozess


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Plädoyers im NSU-Prozess Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe als Mittäterin

Nun also doch: Womit viele schon nicht mehr gerechnet hatten, ist eingetreten: Im NSU-Prozess haben die Plädoyers begonnen. Die Staatsanwaltschaft sieht Beate Zschäpe in mehreren Fällen schwer belastet. Ihr Motiv: Rechtsextremismus.

Von: Thies Marsen

Stand: 25.07.2017 | Archiv

Die Angeklagte Beate Zschäpe kommt am 25.07.2017 in den Verhandlungssaal im Oberlandesgericht (OLG) in München (Bayern) und setzt sich zwischen ihre Anwälten Hermann Borchert (l) und Mathias Grasel. Vor dem Oberlandesgericht wurde der Prozess um die Morde und Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) fortgesetzt. | Bild: Peter Kneffel/dpa

Einer der umfassendsten Rechtsterrorismus-Prozesse in der deutschen Geschichte ist heute in die Endphase eingetreten – nachdem sich die Verhandlung zuletzt monatelang dahin geschleppt hatte und auch der heutige Prozesstag mal wieder mit Unterbrechungen und Verzögerungen begonnen hatte. Erleichterung bei Nebenklage-Anwalt Bernd Behnke:

"Endlich geht’s los und endlich bekommt sie vorgehalten, was sie immer und immer wieder bestritten hat, nämlich ihre Teilnahme an ganz erheblichen Straftaten, zum Beispiel an zehn Mordanschlägen."

Bernd Behnke, Nebenklage-Anwalt

Grundsätzliche Anmerkungen der Bundesanwaltschaft

Zunächst war die Bundesanwaltschaft an der Reihe. Bundesanwalt Herbert Diemer nutzte den Auftakt seines Plädoyers zu einigen grundsätzlichen Anmerkungen: Er räumte ein, dass das große politische und öffentliche Interesse an dem Verfahren nicht immer habe befriedigt werden können, doch sei es unzutreffend, dass der NSU-Prozess seine Aufgabe nur teilweise erfüllt habe. So sei es eben nicht Aufgabe des Münchner Verfahrens, auch die möglichen Fehler staatlicher Behörden aufzuklären – dafür seien vielmehr die diversen Untersuchungsausschüsse zuständig.

Kritik von Vertretern der Nebenklage

Die Ausführungen der Bundesanwaltschaft stießen umgehend auf Kritik von Vertretern der Nebenklage. So monierte Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der die Tochter des Dortmunder Mordopfers Mehmet Kubaşık vertritt, dass die Bundesanwaltschaft drängende Fragen als nicht verfahrensrelevant einstufe – etwa: wie die Opfer konkret ausgewählt wurden, wie groß das Netzwerk des NSU war und wer bei den Morden und Anschlägen geholfen hat.

"Gamze Kubaşık ist bewusst heute nicht hier, weil sie sagt, dieses Plädoyer des Generalbundesanwalts will sie nicht verfolgen. Der Generalbundesanwalt ist aus ihrer Sicht mitverantwortlich dafür, dass der gesamte NSU-Komplex nicht aufgeklärt wurde, dass es möglicherweise weitere Tatbeteiligte gibt, die in Dortmund beispielsweise frei herumlaufen, denen sie jeden Tag auf der Straße begegnen kann und ist dafür verantwortlich, dass zahlreiche Informationen auch an uns nicht weitergegeben wurden."

Sebastian Scharmer, Anwalt

Nebenkläger und Bundesanwaltschaft halten Zschäpe für schuldig

Weitgehend einig dürften sich Nebenklage und Bundesanwaltschaft aber darin sein, dass sich die Tatvorwürfe gegen die Hauptangeklagten Beate Zschäpe in über vier Jahren Prozess weitgehend bestätigt haben. Sie sei Mitgründerin des NSU gewesen und auch Mittäterin, betonte Oberstaatsanwältin Annett Greger in ihren Ausführungen. Zschäpe sei mitverantwortlich für die drei Bombenanschläge und zehn Morde, die die Terrorgruppe verübte. Sie sei zwar nicht an den Tatorten gewesen, dennoch sei ihre Rolle essentiell für den NSU gewesen - als Stabilitätsfaktor der Gruppe. So sieht das auch Nebenklage-Vertreter Bernd Behnke:

"Also, das ist deutlich geworden, dass sie Täterin, Mittäterin in diesem Falle, ist, dass sie sich zwar in der Aktion zurück gehalten hat, aber dass die ganze Struktur ringsherum um Böhnhardt und Mundlos von ihr aufgebaut und letztendlich abgesichert wurde und auch betrieben wurde."

Bernd Behnke, Nebenklage-Anwalt

Motiv: Rechtsextremismus

Motiv für die Verbrechen des NSU sei rechtsextremistische Ideologie gewesen, führte die Bundesanwaltschaft aus. Ziel des NSU sei es gewesen, ein freies freundliches Land in seinen Grundfesten zu erschüttern, und – Zitat: "einem widerwärtigen Naziregime den Weg zu bereiten".

Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft wird voraussichtlich rund 22 Stunden dauern, also mehrere Prozesstage. Ob die Anklagevertreter ihre Ausführungen bis zur Sommerpause, die Mitte nächster Woche beginnt, beenden können, muss sich zeigen. Denn kaum hatten die Plädoyers heute begonnen, folgte die nächste Verzögerung:

Verhandlungsfähigkeit Wohllebens wird überprüft

Die Verteidigung des mutmaßlichen NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben erklärte, ihr Mandant sei nicht mehr in der Lage, den Ausführungen zu folgen. Woraufhin der Vorsitzende Richter Manfred Götzl den Gerichtsarzt verständigte, um die Verhandlungsfähigkeit Wohllebens zu überprüfen.

Schon vergangene Woche hatten mehrere Verteidiger moniert, ihre Mandanten seien möglicherweise nicht in der Lage, den Ausführungen der Bundesanwaltschaft über einen längeren Zeitraum zu folgen und hatten deshalb verlangt, das Plädoyer mitzuschneiden bzw. zu protokollieren – dem hatte das Oberlandesgericht jedoch heute eine Absage erteilt.


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