NSU-Prozess


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Warten auf Verteidiger-Plädoyers NSU-Prozess: Verschleppung aus der zweiten Reihe

Der NSU-Prozess befindet sich in der Schlussphase. Doch weiterhin verzögern die Verteidiger den Beginn ihrer eigenen Plädoyers. Für ihre Schlussworte sind noch rund sechs Verhandlungstage vorgesehen. Danach könnte das Urteil fallen.

Von: Thies Marsen

Stand: 17.04.2018 | Archiv

Die Angeklagte Beate Zschäpe sitzt am im Gerichtssaal im Oberlandesgericht neben ihrem Anwalt Mathias Grasel. Vor dem Oberlandesgericht wird am 17.04.2018 der Prozess um die Morde und Terroranschläge des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) fortgesetzt. | Bild: dpa-Bildfunk/Peter Kneffel

Seit knapp fünf Jahren läuft vor dem Oberlandesgericht in München der NSU-Prozess. Seit mehr als einem Jahr ist die Beweisaufnahme offiziell geschlossen, längst befindet sich das Verfahren in seiner Schlussphase: den Plädoyers. Doch diese Phase zieht sich. Bundesanwaltschaft und die Anwälte der NSU-Opfer haben ihre Schlussvorträge schon vor Monaten gehalten.

Das einzige, was jetzt noch aussteht, sind die Plädoyers der Verteidigung und die Schlussworte der Angeklagten - dann könnte das Oberlandesgericht sein Urteil gegen Beate Zschäpe und Co. fällen. Heute könnte es - mal wieder - losgehen gehen mit den Verteidigerschlussworten. Allerdings verzögert seit mehr als zwei Monaten ausgerechnet die Verteidigung systematisch den Beginn der eigenen Plädoyers.

Nebenklage-Anwalt: Bei Wohlleben reicht es nicht zu mehr

Es ist im Wortsinne die zweite Reihe der Anklagebank, die den NSU-Prozess seit bald sieben Monaten immer wieder mit neuen Anträgen blockiert: Ralf Wohlleben und André E. - angeklagt wegen Beihilfe zum Mord, beziehungsweise zum versuchten Mord und als Unterstützer der Terrorgruppe NSU. So soll Wohlleben unter anderem die Waffe geliefert haben, mit der neun Migranten ermordet wurden.

"Dass er die Waffe geliefert hat, daran gibt es keinen Zweifel. Sein Glück ist, dass es für mehr nicht reicht. Wenn man ideologischen Hintergrund sieht, seine Verteidigungslinie, seine völkische Thesen - dann kann man auf die Idee kommen, dass er eine andere Rolle im NSU gespielt hat, mehr Richtung Mittäterschaft. Aber so rettet ihn quasi die Beihilfe vor einer lebenslangen Freiheitsstrafe."

Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier

Keine Zweifel an Gesinnung von Wohlleben und E.

Der Neonazi Ralf Wohlleben hat schon mit der Wahl seiner Anwälte deutlich gemacht, dass er sich ideologisch treu geblieben ist - darunter sind eine Ex-NPD-Funktionärin und der Ex-Chef der inzwischen verbotenen Wiking Jugend. Auch der Mitangeklagte André E. macht wenig Hehl aus seiner neonazistischen Gesinnung: Unter anderem hat er sich das Symbol der SS-Totenkopfverbände tätowieren lassen - und die Worte "Die Jew Die" (Stirb Jude stirb). Nicht nur Opferanwalt Alexander Hoffmann sieht in André E. mehr als nur einen Unterstützer des NSU-Kerntrios.

"Er war mit ihnen sehr eng verbunden, sowohl im Privaten als auch in der politischen Arbeit. Er hat viele Unternehmungen mit ihnen gemacht. Bei ihm würde ich davon ausgehen, dass - wenn man nachdrücklich in diese Richtung ermittelt hätte - er wegen Mitgliedschaft angeklagt wäre."

Opferanwalt Alexander Hoffmann

Späte Verhaftung von E.

Keiner war bis zum Auffliegen des NSU im November 2011 so nah dran an der Terrorzelle wie André E. Dennoch hob der Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen ihn vor Prozessbeginn auf. André E. lebte also die ersten vier Jahre des Prozesses in Freiheit - bis zum Plädoyer der Bundesanwaltschaft, die im vergangenen September überraschenderweise für ihn dasselbe Strafmaß forderte wie für Ralf Wohlleben: zwölf Jahre. Um zu verhindern, dass er untertaucht, wurde André E. daraufhin sofort in Haft genommen. Seine Verteidigung reagierte mit über 20 Befangenheitsanträgen.

"Die Verteidigung schien mir die vier Jahre immer sich abzuducken, mit der ein bisschen irren Hoffnung, man würde ihren Mandanten übersehen. Dann stellte sich heraus, dass dem nicht so war. Nun waren sie konfrontiert mit einer sehr schwierigen Situation. Es kamen Befangenheitsanträge - das war alles logisch und nachvollziehbar und auch vorhersehbar."

Opferanwalt Alexander Hoffmann

E. holt sich neuen Anwalt

Mehr als diese Ablehnungsanträge hatte die Verteidigung von André E. allerdings nicht zu bieten. Auch die Anwälte von Ralf Wohlleben setzten zuletzt nur noch auf Destruktion. Sie stellten wiederholt beinahe gleichlautende Beweisanträge, bis das Gericht ihnen ganz offiziell bescheinigte, ihnen würde es nur noch um Verschleppung gehen. Und neuerdings hat sich André E. aus der Gefängniszelle heraus einen neuen Anwalt gesucht: den Karlsruher Strafverteidiger Daniel Sprafke, der zuletzt islamistische Terrorverdächtige vertreten hat. Vergangene Woche tauchte Sprafke erstmals beim NSU-Prozess auf - äußerte sich aber bisher nicht zu seiner Prozesstaktik.

Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder stellt Sprafke Beweisanträge oder sein Mandant erklärt sich nach fünf Jahren Schweigen bereit, im Prozess auszusagen. Allerdings ist mehr als fraglich, ob André E. dadurch tatsächlich entlastet werden könnte. Sein neuer Anwalt stellte vergangene Woche erst einmal mehrere Befangenheitsanträge, die Verhandlung wurde mal wieder vertagt. Dabei könnte es eigentlich ganz schnell gehen im NSU-Prozess: Für die noch ausstehenden Verteidigerplädoyers sind rund sechs Verhandlungstage vorgesehen. Danach könnte das Urteil fallen. Könnte.


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