NSU-Prozess


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NSU-Prozess Nebenklage erhebt schwere Vorwürfe gegen Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft

Im NSU-Prozess sind am Dienstag vor dem Oberlandesbericht in München die Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt worden. Dabei hat Opferanwältin Antonia von der Behrens die Ermittlungsbehörden erneut heftig kritisiert.

Von: Thies Marsen

Stand: 05.12.2017 | Archiv

Eingang des Bundesamt für Verfassungsschutz in Berlin | Bild: picture-alliance/dpa | Achim Baumgarten

Es sind schwere Anschuldigungen, die Nebenklage-Anwältin Antonia von der Behrens gegen Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft erhebt: Diese hätten die Aufklärung des NSU-Komplexes und damit auch den Münchner NSU-Prozess bewusst behindert, hätten Erkenntnisse zurückgehalten und ihre schützende Hand über Neonazis gehalten. Der Verfassungsschutz habe auf diese Art das Verfahren am Münchner Oberlandesgericht massiv beeinflusst, "indem er Informationen zurückgehalten hat, vernichtet hat und über seine zeugen auch gesteuert hat, was Gegenstand der Ermittlungen und in der Hauptverhandlung wird."

Auffällig verwirrte Geheimdienstmitarbeiter

Dass Geheimdienste und Polizei Hunderte von Akten mit NSU-Bezug vernichtet haben, ist längst erwiesen. Auch die zahlreichen V-Leute, die im Münchner Verfahren als Zeugen vorgeladen waren, haben zur Aufklärung der Affäre wenig bis nichts beigetragen. Das gelte auch für Verfassungsschutzbeamte, kritisiert Opferanwältin von der Behrens. So habe etwa ein einstiger hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter aus Thüringen sich vor Gericht derart verwirrt gegeben, dass eine sinnvolle Befragung gar nicht möglich gewesen sei. Und auch die Bundesanwaltschaft habe wenig dafür getan, Licht ins Dunkel der NSU-Affäre zu bringen, so von der Behrens: "Das dient nach unserer Auffassung ganz klar dazu, den Verfassungsschutz zu schützen, aber auch insgesamt das Ausmaß rechtsextremer Strukturen in Deutschland nicht sichtbar werden zu lassen."

Mörderische Ideologie

Der NSU sei eben kein abgeschottetes Trio gewesen, sondern habe ein breites Unterstützerumfeld gehabt und in einem noch breiteren ideologischen Umfeld agiert, ergänzte Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann. Dies habe von lokalen Kameradschaften über das Musiknetzwerk Blood and Honour bis hin zu NPD-Funktionären gereicht. "Alle politischen Gruppen, die über einen Zeitraum von 15 Jahren die heute bekannten Mitglieder des NSU umgeben haben, teilten im Kern an einem Punkt die gleiche Ideologie", so Hoffmann. "Nämlich die Behauptung, in Deutschland befände man sich in einer Art Notwehrsituation und um das deutsche Volk zu retten wäre im Grunde alles - auch Gewalt - erlaubt. Da sehen wir: Das ist tatsächlich eine mörderische Ideologie."

Nachbar "SS-Siggi"

Insbesondere am Tatort Dortmund gebe es klare Hinweise auf örtliche Unterstützer, betont Antonia von der Behrens, die den Sohn des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubaşık vertritt: "Dortmund ist nach Nürnberg und München die Stadt mit den meisten Ausspähnotizen zu potentiellen Tatorten. Dann ist auffällig, dass der Tatort, der Kiosk von Mehmet Kubaşık in der Nordstadt liegt, einer Hochburg der Neonazis."

Und in der selben Straße wohnte Siegfried - "SS-Siggi" - Borchardt, der eine Zentralfigur der militanten Kameradschaftsszene in Dortmund ist. Übrigens ist erst vor wenigen Tagen bekannt geworden, dass Borchardt Informant des Verfassungsschutzes gewesen sein soll. Unabhängig davon ist sich Opferanwältin Antonia von der Behrens sicher: Die diversen Geheimdienste hatten derart viele Spitzel im Umfeld des NSU, dass sie mehr über die untergetauchten Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gewusst haben müssen, als sie bis heute zugeben wollen. Um dieses Wissen zu vertuschen, seien später systematisch Akten vernichtet worden.

Vieles bleibt im Dunkeln

Leider hätten auch die Richter des Münchner Oberlandesgerichts nicht alles getan, um die Hintergründe des NSU aufzuklären: "Sie haben die These vom abgeschotteten Trio nicht wirklich in Frage gestellt und sie haben die grundsätzlichen Fragen unserer Mandanten - wie wurden die Tatorte ausgewählt, warum wurde Mehmet Kubaşık als Opfer ausgewählt, wie groß war das staatliche Mitverschulden - als nicht tat- und schuldrelevant bezeichnet und sind dem nicht nachgekommen." Die Bilanz der Nebenkläger fällt deshalb bitter aus: Vieles in der NSU-Affäre liege bis heute im Dunkeln, und werde wohl nie aufgeklärt werden können.


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