NSU-Prozess


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Dimensionen eines Mammutprozesses NSU - Das größte Rechtsterrorismusverfahren der Geschichte

Am 438. Verhandlungstag, nach mehr als fünf Jahren Dauer, soll im NSU-Prozess das Urteil gesprochen werden. Die Dimensionen des größten Rechtsterrorismusverfahrens der deutschen Geschichte sprengen die Vorstellungskraft.

Von: Thies Marsen

Stand: 10.07.2018 | Archiv

Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe am 03.05.2013 im Oberlandesgericht in München | Bild: picture-alliance/dpa

Die außergewöhnliche Dimension des NSU-Verfahrens zeigt sich schon allein daran, dass so manche Zuschauerin, die den Prozess in seiner Spätphase zum Beispiel als interessierte Jurastudentin verfolgt hat, zu Beginn des Verfahrens noch die Schulbank drückte:

"Ich kann mich da kaum noch dran erinnern - ich war zwölf, 13, da."

Zuschauerin im NSU-Prozess

30.000 Besucher im NSU-Prozess

Mehr als fünf Jahre ist es her, dass der NSU-Prozess eröffnet wurde. Fast 30.000 Zuschauer und Journalisten haben die Verhandlung seither besucht - an insgesamt 437 Verhandlungstagen. Eine Zahl, die auch Prozessbeteiligte wie Opferanwalt Hardy Langer stutzig macht.

"Wir haben auch im Kollegenkreis mal gerätselt: Gab es schon mal einen einzelnen Durchgang eines Prozesses mit so viel Hauptverhandlungstagen?"

Opferanwalt Hardy Langer

Nun sind auch alle mal froh, dass es langsam zum Schluss kommt. Alle - das bedeutet im Fall des NSU-Prozesses: fünf Richter plus ein Ergänzungsrichter, drei Bundesanwälte, 14 Verteidiger für die fünf Angeklagten. Dazu - und das ist das Besondere in diesem Verfahren - eine große Anzahl an Nebenklägern: 93 Angehörige der NSU-Mordopfer sowie Menschen, die durch die Anschläge der Terrorgruppe verletzt wurden, die sich von insgesamt rund 60 Anwälten vertreten ließen.

"Ich denke, allen Beteiligten war bewusst, dass es sich bei diesem Verfahren um ein Verfahren mit ungewöhnlich großem Ausmaß handeln würde, dass es sicherlich weit länger dauern würde als so der Durchschnitt auch eines Staatsschutzverfahrens dauert, was der Vielzahl der Anklagevorwürfe geschuldet ist, was dem Umstand geschuldet ist, dass es sehr viele Nebenkläger dabei gibt."

Andrea Titz, langjährige Sprecherin des Oberlandesgerichts

Rätselhafte Prognosen vor Beginn des Mammutverfahrens

Zehn rassistische Morde, drei Bombenanschläge, bei denen Dutzende Menschen teils schwer verletzt wurden, 15 brutale Banküberfälle, bei denen nicht nur Hunderttausende Euro erbeutet, sondern auch Bankangestellte und -kunden angeschossen und traumatisiert wurden - die dem NSU zur Last gelegten Straftaten sind derart umfangreich, dass man sich von, heute aus betrachtet, über so manche Prognose aus der Anfangsphase des Prozesses wundert.

War es tatsächlich ernsthaft zu erwarten, dass - wie manche glaubten - sich dieser Tatkomplex in ein paar wenigen Monaten aufarbeiten ließe? Allein die Prozessakten sollen sich inzwischen auf über 25.000 Seiten belaufen. 600 Zeugen und Sachverständige wurden vernommen - teils tagelang. Dennoch ist eine der am häufigsten gestellten Fragen zum Prozess: Warum bitte dauert das so lange? Und natürlich: Was das wieder kostet?

"Ich denke, das ist der falsche Ansatzpunkt für ein solches Verfahren. Der Rechtsstaat, Rechtsstaatlichkeit kostet etwas. Natürlich ist das ein ungewöhnlich teures Verfahren, ein ungewöhnlich aufwändiges Verfahren. Aber wichtig ist und erforderlich ist, dass der Sachverhalt so weit wie möglich, so gut wie möglich aufgeklärt wird und die Kosten dafür - denke ich -, die kann man nicht irgendwie gegenrechnen."

Andrea Titz

Mehr als 27 Millionen Euro Gesamtkosten

Trotzdem hat das Münchner Oberlandesgericht jüngst eine Kostenrechnung vorgelegt: etwa eine Million Euro hat allein der Umbau des Gerichtssaals A 101 gekostet - wobei dort parallel seit Jahren noch ein weiteres Terrorverfahren stattfindet, das allerdings von der Öffentlichkeit kaum beachtet wird. Die Kosten für Sicherheitseinrichtungen, technische Geräte, Büromaterial, Sanitäter, Reinigung etc. belaufen sich auf weitere 1,7 Millionen.

Pflichtverteidiger und Opferanwälte erhielten bis Ende April dieses Jahres rund 23 Millionen Euro ausgezahlt - plus rund eine Million für einen privaten Sicherheitsdienst. Gesamtkosten bis Mai 2018 also rund 27 Millionen Euro - wobei die Gehälter für die Justiz-Beschäftigten inklusive Richter und Bundesanwälte ebensowenig eingerechnet sind wie etwa die der Polizisten, die Beate Zschäpe und Co. an jedem Prozesstag von der Justizvollzugsanstalt im Münchner Südosten zum Gerichtssaal im Zentrum eskortierten.

Diese Fahrten immerhin werden den Angeklagten - und auch den Steuerzahlern - in Zukunft erspart bleiben. Allerdings: Auch wenn die Angeklagten nach dem Urteil von der U-Haft in eine normale Gefängniszelle wechseln - die Kosten dafür trägt weiter der Staat, also wir alle. Wer möchte sich das ernsthaft sparen?


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