NSU-Prozess


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436. Verhandlungstag, 26.6.2018 Die Tage sind gezählt

Bereits am kommenden Dienstag werden Beate Zschäpe und drei ihrer vier Mitangeklagten Gelegenheit zum letzten Wort im NSU-Prozess haben. Danach ist das Gericht an der Reihe: Innerhalb von elf Tagen muss es sein Urteil sprechen. Das Mammutverfahren könnte also nach über fünf Jahren bereits übernächste Woche enden.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 26.06.2018 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: BR / Jutta Müller

26 Juni

Dienstag, 26. Juni 2018

Beate Zschäpe will nach Angaben ihres Verteidigers Mathias Grasel etwa fünf Minuten sprechen, Ralf Wohlleben und Holger G. planen einminütige Schlussworte, Carsten S. kalkuliert mit ein, zwei Minuten. Nur André E. will gar nicht von seinem Recht als Angeklagter auf das letzte Wort Gebrauch machen. Als das Gericht am Dienstagnachmittag seinen Plan bekannt gibt, dass die Angeklagten am kommenden Dienstag noch einmal Gelegenheit bekommen sollen, im Prozess zu sprechen, beginnen sofort die Spekulationen, wann das Gericht sein Urteil fällen wird.

Spekulationen über Urteilstermin

Theoretisch könnte es dies nach einer gewissen Pause noch am selben Tag tun. Das erscheint aber höchst unwahrscheinlich, denn schließlich wird das Gericht den Nebenklägern ermöglichen wollen, zum Urteil nach München zu kommen. Ein paar Tage Vorlauf sind dafür unerlässlich. Auf der anderen Seite muss der Senat spätestens am elften Tag nach Verhandlungsende urteilen - spätestens also übernächste Woche. Da sind vom 10. bis 12 Juli am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag drei Verhandlungstage angesetzt. An einem dieser Tage dürfte das Urteil fallen. Ob sich der Vorsitzende Manfred Götzl in irgend einer Weise nach dem Spielplan der Fußball-WM richtet? Am Dienstag und Mittwoch sind die Halbfinals angesetzt, Donnerstag wäre spielfrei, zumindest an diesem Tag bestünde die Chance, dass die Nachricht über das Urteil nicht zur Nebensache würde.

Ist die Beweisaufnahme endgültig abgeschlossen?

Dass vieles anders kommt als zunächst erwartet, zeigt auch der heutige Verhandlungstag. Obwohl die Verteidiger ja bereits vergangene Woche ihre Plädoyers beendet hatten, eröffnet das Gericht wieder die Beweisaufnahme. Im Zeugenstand: ein inzwischen pensionierter Brandgutachter des Bayerischen Landeskriminalamtes. Zschäpe hatte ja eingeräumt, ihre letzte Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt zu haben, um Beweismittel nach dem Selbstmord ihrer Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu vernichten. Weil sich im Nachbarhaus eine alte hochbetagte Frau aufhielt und zu diesem Zeitpunkt gewöhnlich zwei Handwerker im Haus arbeiteten, wirft die Anklage Zschäpe nicht nur schwere Brandstiftung vor, sondern versuchten Mord in drei Fällen.

Heer schießt ein Eigentor

Wolfgang Heer und Anja Sturm, zwei der drei sogenannten Altverteidiger, erhoffen sich durch den Sachverständigen Entlastung ihrer Mandantin. Doch es kommt anders. Die Mauer zwischen beiden Gebäuden hätte zwar aufgrund ihrer Stärke wie eine Brandschutzmauer gewirkt, so der Experte, das Nachbarhaus sei aber trotzdem kurz davor gestanden, in Flammen aufzugehen. "Und das kann ich beweisen", fügt er an. Denn der rund um das Gebäude führende Dachüberstand, an dem die Dachrinne befestigt ist, bestand aus Holz. "Fünf Minuten später hätte auch das andere Haus gebrannt, das wurde nur verhindert, weil die Feuerwehr schnell vor Ort war." Der Schluss, der daraus zu ziehen ist: Die alte Nachbarin befand sich objektiv in Gefahr und kam nur nicht zu Schaden, weil die Feuerwehr schnell eingriff. "So deutlich hat das in diesem Prozess noch niemand formuliert", sagt in der Mittagspause der Verteidiger eines anderen Angeklagten, "das war wieder ein echtes Eigentor, das Heer geschossen hat".

Andere Verteidiger sauer

Heer scheint das ganz anders zu sehen. Unverdrossen streitet er mit Richter Götzl, um mehr Zeit für seine Anträge. Auch Zschäpe, so der Anwalt, dem die Hauptangeklagte schon lange das Vertrauen entzogen hat, solle überlegen können, ob sie das Gericht nicht doch wegen Befangenheit ablehnen möchte. Schon wieder eine Überraschung. Denn seit langem ist bekannt, dass Zschäpe keine Befangenheitsanträge mehr stellen will und nichts von Heers Verteidigungsstrategie hält. Weshalb es Hermann Borchert, einem der beiden Verteidiger, die das Vertrauen von Zschäpe genießen, zu bunt wird. "Einen solchen Antrag wird es nicht geben", geht Borchert sofort dazwischen - eine Aussage, die die Hauptangeklagte auf Nachfrage des Gerichts bestätigt.

Altverteidiger scheinen zerstritten

Heer und seine Kollegin Sturm stehen inzwischen allein auf weiter Flur. Sogar Wolfgang Stahl, der dritte im Bunde der sogenannten Altverteidiger, hat sich von beiden offensichtlich entfernt. Als Heer und Sturm nach Erstattung des Gutachtens Zeit erbitten, um in einem Beratungszimmer ihre Fragen an den Sachverständigen abzustimmen, bleibt Stahl demonstrativ im Gerichtssaal sitzen, signalisiert damit völliges Desinteresse an der Strategie seiner Kollegen. Das Zerwürfnis innerhalb des Anwaltstrios, das jahrelang zusammengehalten hat, ist nicht mehr zu übersehen - auch das eine überraschende Wendung im NSU-Prozess.


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