NSU-Prozess


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340. Verhandlungstag, 25.1.2017 Gezerre um psychiatrisches Gutachten, ahnungslose Staatsschützer und eine Ente

Zschäpes Verteidigung knabbert offensichtlich noch an dem Gutachten von Prof. Saß und ergeht sich in Kleinkrieg und Verzögerungstaktiken. Zuvor beginnt der Prozesstag mit einer Groteske Loriot'schen Stils.

Von: Eckhart Querner

Stand: 25.01.2017 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

25 Januar

Mittwoch, 25. Januar 2017

Es geht um einen Brief Zschäpes, den sie aus ihrer Haft an einen Insassen der JVA Bielefeld schickte. Ein Nebenkläger-Vertreter erklärt, bislang sei nur der Text in Augenschein genommen worden, nicht aber die grafischen Elemente im Brief, von denen Zschäpe gesprochen habe. Gemeint ist die Darstellung einer Ente. Der Anwalt der Nebenklage verlangt, man müsse die Ente in Augenschein nehmen. Der Vorsitzende Richter Götzl nimmt den Faden auf: "Durch Verlesen (des Briefes) wird die Ente nicht eingeführt, nur durch Augenscheinnahme." Die Bundesanwaltschaft sekundiert: "Wir treten der Augenscheinnahme der Ente nicht entgegen." Verteidigerin Sturm dagegen, ganz ernst, sieht dadurch Persönlichkeitsrechte der Angeklagten verletzt.

Einmal in groteske Parallelwelten eingetaucht, ist der weitere Verlauf dieses 340. Verhandlungstages keine Überraschung mehr. Die Befragung des psychiatrischen Gutachters Prof. Saß geht heute weiter. Gestern hatte Beate Zschäpes Wahlverteidiger Borchert den Gutachter mit nicht gerade überzeugenden Fragen versucht, aus der Fassung zu bringen. Heute versuchten sich die Alt-Verteidiger der Hauptangeklagten daran.

Pflichtverteidigerin Sturm fängt bei der Befragung des renommierten Gutachters ganz von vorne an: Wie sich vor Beginn des Prozesses seine Gutachtertätigkeit angebahnt habe und wie er nach Beauftragung durch das Gericht vorgegangen sei, will sie wissen.

Auf Krawall gebürstet

Saß' Antworten sind kühl und knapp, lassen Nachfragen offen, wirken dadurch provokant. Sturm: "Haben Sie sämtliche Akten gelesen?" – "Blatt für Blatt nicht…" – "Da möchte ich Sie unterbrechen." – Saß: "Ich möchte meinen Satz zu Ende führen!" Sturm verweigert das, worauf sich der Vorsitzende Richter einschaltet: Jeder hier dürfe seinen Satz zu Ende führen. 

Inzwischen erinnert die Szene an den Loriot'schen Entendialog in der Badewanne: Es folgt ein Verbalscharmützel zwischen Götzl und Sturm. Götzl: "Fakt war, dass Sie ihn unterbrochen haben." – "Fakt ist, dass Sie mich in meiner Konzentration gestört haben." Sturms Konzentration ist nun tatsächlich so stark gestört, dass sie laut und abgehackt redet, total erregt ist, sogar Wörter verstümmelt. Und schließlich um zehn Minuten Unterbrechung bitten muss, damit sie sich wieder konzentrieren könne.

Peinlicher Streit

Diese Auseinandersetzung ist unnötig vom Zaun gebrochen und wirkt peinlich. Die Realsatire zeigt, wie blank die Nerven bei der Zschäpe-Verteidigung liegen. Denn Saß' Gutachten macht nachvollziehbar, dass Zschäpe offenbar voll schuldfähig ist und in ihrer Zeit im Untergrund nicht das Hascherl war, das sie im Nachhinein gerne gewesen wäre: machtlos den Interessen der beiden Uwes ausgeliefert.

Nach der Pause – Sturm hat sich wieder im Griff – schält sich heraus, worauf die Altverteidiger hinauswollen, nämlich die Glaubwürdigkeit des Sachverständigen und seines Gutachtens in Zweifel ziehen. Der Weg dahin: Einblick in seine handschriftlichen Notizen erhalten, in jene Beobachtungen, die er an jedem Verhandlungstag gemacht hat: Zschäpes emotionale Reaktionen auf Zeugenaussagen,  ihr "vermeintlich als Desinteresse aussehendes Verhalten", wie Saß es nennt. Nach eigenen Angaben war der Gutachter an mehr als der Hälfte der bisherigen Verhandlungstage im Saal. Seine Notizen belaufen sich auf beachtliche 773 Seiten. Sturm und ihre Kollegen Heer und Stahl verlangen nun, dass Saß mit Hilfe seiner Notizen für jeden von den Verteidigern verlangten Verhandlungstag schildert, welche Beobachtungen er dort in Bezug auf Zschäpe gemacht hat.

Kein Vorteil für Zschäpe

Eigentlich liegt das zumindest vorläufige Gutachten Saß' ja längst vor. Darin hat der Psychiater seine Beurteilung der Hauptangeklagten zusammengefasst. Warum also verlangen die Zschäpe-Anwälte das Hinzuziehen der Gutachter-Notizen? Ein verzweifelter Versuch, den Prozess zu verzögern? Der Hauptanklagten dürfte das kaum einen Vorteil bringen.

Die Bundesanwaltschaft macht klar, dass die Forderung der Zschäpe-Verteidiger nicht vom Fragerecht gedeckt sei. Oberstaatsanwalt Weingarten: "Es geht nicht, den Sachverständigen mit Hausaufgaben nach Hause zu schicken, um dann erneut Fragen zu stellen." Ob der Senat das Hinzuziehen der Gutachter-Notizen erlaubt, ist freilich noch offen.

Staatsschutz in Jena offenbart Abgründe

Zum heutigen Verhandlungstag gehört auch die Aussage des Zeugen Klaus K., der ab 1994 beim Staatsschutz in Jena arbeitete. Der Polizeibeamte hat nach eigenen Aussagen rechte Konzert-Veranstaltungen "abgesichert", die der Angeklagte Ralf Wohlleben organisierte. Auf die Frage eines Anwalts der Nebenklage, ob der Zeuge auch für die Überwachung der rechten Szene-Musik und ihrer Texte zuständig gewesen sei, antwortet dieser: "Damals wurden Lieder noch nicht überwacht." An ausländerfeindliche Texte habe er keine Erinnerung. Da muss sich niemand mehr wundern, warum in den 90er-Jahren die rechte Szene in Jena so stark war.


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