NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 243. Verhandlungstag, 10.11.2015

Nachdem zu Beginn der Woche angekündigt worden war, Beate Zschäpe wolle über ihren Anwalt Mathias Grasel eine Erklärung verlesen lassen und sich damit zum ersten Mal im Prozess selbst äußern, wird diese Erklärung am heutigen Verhandlungstag verschoben.

Von: Eckhart Querner, Holger Schmidt, Tim Aßmann, Matthias Reiche

Stand: 10.11.2015 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Grund für die Verschiebung ist zunächst der (erneute) Antrag von Zschäpes Altverteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Wolfgang Sturm auf Entbindung von ihrem Mandat. Grund für den Antrag sei die mangelnde Kommunikation mit Zschäpe: Von deren Bereitschaft, diese Woche auszusagen, hätten die drei nichts gewusst. Es folgt ein erneuter Befangenheitsantrag der Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben gegen den gesamten Senat - wieder begründet mit mangelhafter Verteidigung Zschäpes, die auch die Wohlleben-Verteidigung negativ beeinflusse. Der Prozess wird unterbrochen und auf kommenden Dienstag vertagt.

Zeugen:

  • keine

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Eckhart Querner, BR)
Zuschauer- und Presseempore komplett gefüllt. Zschäpe kommt herein, mit offenen Haaren, karierter Bluse, das übliche Rückwärtsgehen. Gespräch mit Grasel, solange die Kameras im Saal sind. Wie immer in den letzten Monaten würdigt Zschäpe ihre bisherigen Anwälte Sturm, Stahl und Heer keines Blickes.

(Holger Schmidt, SWR)
Relativ großer, aber kein übermäßiger Andrang.
Zschäpe in karierter Bluse, Gespräch mit Grasel. Drei Altverteidiger bleiben sitzen.
Gleich Beginn. Erwartung: zunächst ein Antrag der Altverteidiger.

(Tim Aßmann, BR)
9.48 Uhr, Beginn.
Richter Manfred Götzl stellt Anwesenheit fest.
Wolfgang Heer will unbedingt Antrag stellen, Götzl zunächst etwas bekanntgeben. Es kommt zum Disput zwischen beiden. Götzl erteilt Heer nicht das Wort.
Götzl erklärt, er wolle Informationen bekannt geben, die Heer vielleicht erstmal zur Kenntnis nehmen solle. Heer beanstandet.
Herbert Diemer (Vertreter der Bundesanwaltschaft) findet, der Vorsitzende dürfe erstmal seine Bekanntgabe machen.
Heer: Möchten Antrag im Sinne ordnungsgemäßer Verteidigung einbringen. Mandantin nicht ordnungsgemäß verteidigt. Wir fragen uns warum Sie sehenden Auges in eine Revision hinein laufen möchten?
Götzl: Momentan wird Ihnen das Wort nicht erteilt.
Heer will Beschluss.
Diemer: Herr Rechtsanwalt Heer, ich kann Sie überhaupt nicht verstehen. So habe ich Sie noch gar nicht kennengelernt in der ganzen Zeit. Der Antrag ist aufschiebbar.
Heer: Zu Ihrer etwas unsachlichen Anmerkung sage ich jetzt mal nichts.
Dieser Antrag ist der Länge nach überschaubar, wird 15 Minuten dauern, duldet im Interesse unserer Mandantin keinen Aufschub.
Pause bis 10.15 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
10.18 Uhr, es geht weiter.
Beschluss: Verfügung bestätigt, Heer nicht das Wort zu erteilen. Der Vorsitzende bestimmt den Zeitpunkt, zu dem dem Antragssteller Zeit und Gelegenheit gegeben wird, seinen Antrag zu stellen.

Götzl: Am 31. August rief mich Rechtsanwalt Hermann Borchert an, Zschäpe wolle sich schriftlich in der Hauptverhandlung äußern, Vorbereitung werde noch dauern. Am 30. September rief Mathias Grasel an, kündigte für 12. Oktober eine Erklärung an. Später Mitteilung, Erklärung komme erst am 11. oder 12. November. Am 28. Oktober teilte er mit, keine Notwendigkeit, andere zu informieren. Ich teilte mit, dass ich aus Fairnessgründen informieren werde, wenn Zeitpunkt feststehe. Heer wollte informiert werden. Habe Heer an Grasel verwiesen. Gestern rief mich Borchert an und teilte mit, Erklärung könne über Grasel morgen abgegeben werden.
Grasel: Es werden Fragen des Senats im Anschluss an die Erklärung beantwortet. Fragen der Nebenklage werden nicht beantwortet.

(Matthias Reiche, MDR)
Zschäpe lehnt sich zurück, mit verschränkten Armen und betrachtet den zwei Plätze rechts von ihr sitzenden Rechtsanwalt Heer wie ein merkwürdiges Insekt.

(Tim Aßmann, BR)
Antrag Heer: Aufhebung der Bestellungen (also Entpflichtung von Heer, Stahl, Sturm).
"Spiegel online" hatte über Gerüchte berichtet, dass Grasel im Namen von Zschäpe Erklärung abgeben werde. Senat führte vor dem Saal längeres Gespräch mit Grasel. Ich bat den Vorsitzenden in Pause um Ankündigung, falls Zschäpe sich erklären wolle, Götzl verwies mich an Grasel.
Heer schildert nun, dass er noch einmal um Informationen bat und das Gericht darauf verwies, Götzl sei im Urlaub. Er wandte sich an Michaela Odersky (Richterin im NSU-Prozess), Antwort abermals: Ist im Urlaub.
Dann gestern Bericht, Zschäpe werde sich über Grasel erklären.
Heer zitiert nun verschiedene Medienberichte von gestern.
Demonstrative Missachtung des Instituts der Verteidigung, Senat flüchtete sich in den Vorwand, der Vorsitzende sei abwesend, obwohl dieser an dem betreffenden Tag das Verfahren anderweitig bearbeitete.
Götzl war informiert, keinesfalls durfte er uns die Information vorenthalten, wusste, dass wir in strategische Abstimmungen zwischen Grasel und Zschäpe nicht eingebunden werden. Senat kann nicht einerseits erklären, Zschäpe sei ordnungsgemäß verteidigt und uns andererseits über solche Absprachen uninformiert lassen. Verteidigung ist eingeschränkt und erheblich behindert. Unsere Verteidigerbestellungen sind nur noch Fassade und dienen nur noch dem Schein der Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Verteidigung. Unsere Bestellungen sind daher aufzuheben und die Folgen für das Verfahren sind daher hinzunehmen.

RA Olaf Klemke (Wohlleben-Verteidigung): Haben erheblichen Beratungsbedarf.
Pause bis 11.35 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
11.43 Uhr.
Klemke: Antrag: Für drei Stunden unterbrechen. Möchten Ablehnungsgesuch gegen den Senat stellen.
Sturm: Möchte Antrag von heute Morgen weiter begründen. Der Vorsitzende räumte ein, dass seit dem 31. August Kontakt zu einem Rechtsanwalt besteht, der laut Aktenlage in diesem Verfahren nicht Verfahrensbeteiligter war. Weder Vollmacht noch Vermerk des Vorsitzenden bei Akte. Nach unseren Informationen hat Hermann Borchert erst heute die Verteidigung gegenüber dem Senat angezeigt. Der Vorsitzende wäre verpflichtet gewesen, uns unverzüglich zu informieren.
Pause bis 14.45 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
14.52 Uhr, es geht weiter.
RA Nicole Schneiders (Wohlleben-Verteidigung) verliest: Wohlleben lehnt [es folgt Aufzählung der Namen des ganzen Senats] wegen Befangenheit ab. Begründung: Zschäpe nicht mehr ausreichend verteidigt, kann nicht sachgerecht verteidigt werden.

RA Wolfram Nahrath (Wohlleben-Verteidigung): Gegenvorstellung zu Beschluss vom 13. Oktober: Nicht ausreichend berücksichtigt, dass Heer, Stahl, Sturm erklärten, sie seien zu sachgerechter Verteidigung nicht mehr in der Lage. Nahrath zitiert nun die entsprechenden anwaltlichen Erklärungen von Heer, Stahl und Sturm, wonach ihnen Verteidigung nicht mehr möglich sei. Nahrath erwähnt auch noch Zschäpes Strafanzeige gegen Heer, Stahl und Sturm und moniert, dass die Anzeige im Senatsbeschluss nicht erwähnt worden sei. Sachgerechte Verteidigung, wenn Vertrauen nicht mehr besteht, ist ausgeschlossen.

Nahrath und danach Klemke lesen einfach die gesammelten Anträge und Beschlüsse zum Verteidigerstreit aus den vergangenen Monaten bis inklusive heute vor, um so zu untermauern, dass Zschäpe nicht mehr ausreichend verteidigt sei.

Klemke: Ablehnung ist als begründet zu erklären. Antragsteller hat Grund zur Annahme, dass Richter ihm gegenüber Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit ihm gegenüber beeinflussen kann. Indem die Richter zuließen, dass die Anwälte diametral entgegengesetzte Strategien verfolgen, haben sie - sinngemäß schlechte Verteidigung - in Kauf genommen. Richtern ist sachgerechte Verteidigung von Zschäpe völlig gleichgültig. Wohlleben muss fürchten, dass die abgelehnten Richter ähnliche Maßstäbe an seine Verteidigung anlegen. Wohlleben kann nicht mehr davon ausgehen, dass die abgelehnten Richter ihm und seiner unvoreingenommen gegenüber stehen.

Götzl zu Justizwachtmeister: Wie lange brauchen Sie, um den Antrag zu kopieren?
Antwort: 40 Minuten.
RA Herbert Reinecke (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags auf die Kölner Keupstraße): Mir würden die letzten sechs Seiten reichen.
Klemke: Antrag ist unteilbar.
Pause bis 16.25 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
16.29 Uhr, es geht weiter.
Diemer: Könnten heute zum Entpflichtungsantrag Stellung nehmen, wenn Sie das möchten. Dann wäre das heute mal erledigt.
RA Doris Dierbach (Nebenklage-Anwältin der Eltern des ermordeten Halit Yozgat): Würde gerne zu beiden Anträgen Stellung nehmen.
Götzl: Dann bitte!
Dierbach: Entpflichtungsantrag: Im Kern: Vorsitzender habe sie nicht informiert, sondern auf Grasel verwiesen. Daraus ergebe sich, dass auch Senat Verhältnis als zerrüttet betrachte.
Rücknahme der Bestellung ist vom Standpunkt einer vernünftigen und besonnenen Mandantin zu beurteilen. Danach sinngemäß: Hier nicht gegeben, denn sonst könnte Mandantin Verfahren so einfach zum Platzen bringen. Es läge an Zschäpe, ihre Verteidiger zu informieren, hätte das in der Hand. Wenn sie das unterlässt, ergibt sich daraus keine Verpflichtung für den Senat, das zu tun. Ob die Verteidigung den Pflichtverteidigern zuzumuten ist, ist nicht entscheidend. Ablehnungsgesuch von Wohlleben ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Diemer: Ich wundere mich ein bisschen über die Reihenfolge. Wollten doch zur Entpflichtung auch was sagen.
Anette Greger (Vertreterin der Bundesanwaltschaft): Antrag auf Entpflichtung ist abzulehnen. Widerruf der Bestellung hätte zu erfolgen, wenn wichtiger Grund vorliegt. Verweigert der Angeklagte die Kommunikation mit dem Verteidiger, ist dies nach geltender Rechtsprechung kein ausreichender Grund für eine Entpflichtung.

RA Bernd Max Behnke (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut): Namens meines Mandanten darf ich erklären, dass ich mich den Ausführungen von Frau Oberstaatsanwältin Greger und Frau Bliwier anschließe. Frau Dierbach, Entschuldigung.

Stahl: Es geht nicht darum, dass wir mit überraschender Situation umgehen müssen. Dem Auftrag der Verfahrenssicherung wurde von unserer Seite versucht, ernsthaft nachzukommen. Auch wenn Mandant Kommunikation verweigert, ist Strafverteidigung möglich. Hier sieht die Sache allerdings anders aus. Wir drei sind ja gegen den erklärten Willen von Frau Zschäpe weiterhin Verteidiger und sind dann auch dazu berufen, hier weiterhin ordnungsgemäß verteidigen zu müssen und darauf angewiesen, vom Gericht beachtet zu werden. Wenn der Senat die drei Verteidiger Heer, Stahl und Sturm mehr oder weniger kaltstellt und die Strategie mit dem vierten abstimmt, dann werden wir in gewisser Weise außen vorgehalten. Er nimmt damit Einfluss, hat Informationsvorsprung und das ist das, was wir hier rügen. Laufen Gefahr in einer Art Blindflug prozessuale Maßnahmen zu ergreifen, die der Mandantin nicht nutzen.

Götzl: Wir werden die Hauptverhandlung unterbrechen und am kommenden Dienstag fortsetzen. Morgen und übermorgen entfällt. Fortgesetzt wird am 17. November um 9.30 Uhr.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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