NSU-Prozess


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212. Verhandlungstag, 23.06.2015 Eiszeit auf der Anklagebank

Als Beate Zschäpe den Gerichtssaal betritt wird es mucks mäuschenstill. Die Angeklagte bleibt an ihrem Platz stehen, wechselt einige Worte mit ihrem Verteidiger, Wolfgang Heer. Ihre beiden anderen Anwälte, Wolfgang Stahl und Anja Sturm würdigen sie keines Blickes.

Stand: 23.06.2015 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

23 Juni

Dienstag, 23. Juni 2015

Nachdem das Gericht alle im Saal Anwesenden gebeten hat, sich zu setzen, nutzt Zschäpe ihr langes, gewelltes Haar wie einen Vorhang und schirmt sich gegenüber den Blicken von Heer und Sturm ab. Die Stimmung ist eisig. Dem Gericht hatte sie in einem vierseitigen Brief vom letzten Donnerstag angekündigt, "etwas" aussagen zu wollen. Wer darauf am 212. Verhandlungstag gewartet hat – die Besuchertribüne ist bis auf den letzten Platz besetzt -, der wird enttäuscht. Auch heute schweigt sich die Hauptgeklagte gegenüber der Schwurgerichtskammer aus. Wie das Gericht über den Antrag, ihre Verteidigerin, Anja Sturm, zu entpflichten, entscheidet, wird frühestens Ende der Woche feststehen.

Trio-These wackelt

Das Augenmerk der Prozessbeobachter lag heute ganz klar auf dem Verhalten des Verteidiger-Trios und Beate Zschäpe. Doch die Aussagen des angehörten Zeugen sind in ihrer Brisanz nicht zu unterschätzen. Der damals 16-Jährige hatte nach einem Überfall auf einen Edeka-Markt in Chemnitz im Dezember 1998, die Täter mit ihrer Beute verfolgt. Sowohl die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft als auch verschiedene Zeugenaussagen von Mitarbeiterinnen des Supermarktes gingen von zwei Tätern aus. K. schilderte das heute anders.

Er sprach von drei Tätern. Zwei hätten vor dem Eingang des Edeka-Marktes gewartet und ein dritter sei mit der Kassenlade herausgestürmt. K. hätten die drei Personen verfolgt. Eine Person "mit heller Stimme" habe "Halt! Stehenbleiben!" geschrien und anschließend drei Schüsse abgefeuert. Eine Patrone sei an seinem Kopf vorbeigesaust, eine in Brusthöhe und eine dritte in der Außenwand des Supermarktes eingeschlagen. Ob es sich bei der Person mit heller Stimme um eine Frau oder um einen Mann gehandelt hat, konnte er nicht sagen.

Nun ist die spannende Frage, ob es sich um Beate Zschäpe gehandelt hat oder ob ein weiterer Mann mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am Tatort war. Sollte Ersteres der Fall sein, dann würde das die Anklage untermauern, wenn nicht sogar erweitern. Sollte Zweites zutreffen, dann sind sich einige Vertreter der Nebenklage sicher, handelt es sich beim NSU nicht um ein Trio, sondern um einen größeren Personenkreis, der der Zelle direkt zuzuordnen wäre. Zwei Freunde von K. waren damals ebenfalls vor dem Supermarkt gestanden. Es ist davon auszugehen, dass nun nach ihnen gesucht wird, um auch sie noch vor dem OLG zu vernehmen. Die Trio-These – seit heute steht sie auf wackligen Beinen.


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