NSU-Prozess


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125. Verhandlungstag, 9.7.2014 "Und dann ist er einfach ausgerissen"

Acht Jahre Altersunterschied sind für Kinder Welten. Zwischen Jan und Uwe Böhnhardt liegen acht Jahre. Aus dem einen ist ein Familienvater geworden, der als Kraftfahrer sein Geld verdient. Aus dem anderen mutmaßlich ein Terrorist, der mordend durch Deutschland zieht. Wie konnte das passieren? Erklärungsversuche von Jan Böhnhardt, heute Zeuge im NSU-Prozess.

Von: Mira Barthelmann

Stand: 09.07.2014 | Archiv

Mira Barthelmann | Bild: BR

09 Juli

Mittwoch, 09. Juli 2014

"Wo er klein war, da war er klein. Als ich mit 18 ausgezogen bin, kam er mich besuchen. Und dann ist er irgendwann einfach ausgerissen." Drei kurze Sätze. Sie klingen vielleicht banal. Aber sie beschreiben in ihrer Einfachheit, wie sich das Leben von Uwe Böhnhardt innerhalb von einem Jahrzehnt komplett verändert hat. Und sie geben Einblick darin, wie ein Familienmitglied das miterlebt haben will. Es handelt sich um Jan, den acht Jahre älteren Bruder von Uwe Böhnhardt, der eines der drei mutmaßlichen Mitglieder des NSU war.

Ein gutes, brüderliches Verhältnis

Der Zeuge beschreibt seinen jüngeren Bruder zunächst als klein und aufgeweckt. Kein Musterschüler. Die Probleme in der Schule begannen erst später. Das Verhältnis zwischen den Brüdern war gut. Der heute 44-jährige Kraftfahrer zog dann aus der elterlichen Wohnung aus und gründete eine Familie. Uwes Probleme mit seinen Lehrern wurden größer, er verließ die Schule schließlich. Trost und Unterschlupf suchte er bei seinem älteren Bruder Jan. "Aber das war dann zu viel. Ich hatte ja auch Frau und Kind, und er war das fünfte Rad am Wagen. Er hat sich dann eine andere Gruppe gesucht. Na, den Uwe Mundlos und die Beate."

"Er hat sie nicht geschlagen, sie ihn auch nicht"

Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe

Beate Zschäpe und sein Bruder Uwe waren ein Paar. Die Familie habe zunächst nicht gewusst, dass Zschäpe der rechten Szene angehörte. An ihrer Kleidung und Frisur sei das jedenfalls nicht abzulesen gewesen. Man habe sogar gehofft, dass der Schulabgänger sich durch seine Freundin wieder von der rechten Szene entfernen würde, in die er zuvor "reingerutscht" war. "Er kam dann mit Stiefeln an. Ich hab gemerkt, dass er anders gesinnt ist. Zu mir hat er gesagt, er möchte in die rechte Szene. Er wollte wohl irgendwo dazugehören." Die Stiefel musste er, wenn er seinen Bruder besuchte, immer ausziehen. Zschäpe und sein Bruder Uwe hätten sich richtig gut verstanden: "Wie halt ein Paar so um sich springt. Er hat sie nicht geschlagen. Und sie ihn auch nicht."

Waffen als Wanddekoration

Und welches Verhältnis hatte er denn zu Waffen, will der Vorsitzende Richter Manfred Götzl von Jan Böhnhardt wissen. Die prompte Antwort des Zeugen: "Ein gutes. Er hat sich ein Gewehr gekauft. Und dann hing es an der Wand. Und er war stolz drauf. Dann wurde es ihm wieder weggenommen, ohne dass er es benutzt hat." Waffen seien damals frei verkäuflich gewesen. Der Zeuge kann am Verhalten seines Bruders also nichts Verwerfliches finden. Er beschreibt den Alltag von Uwe nach dessen Abbruch seiner Lehre wie folgt: "Lange schlafen, rumlaufen, rumlungern in der Stadt. Wenn er bei mir war, haben wir was gegessen. Er hat mit meiner Tochter gespielt. Im Garten der Eltern wollte er nicht arbeiten. Weder er noch ich hatten dazu Lust."

Uwe Böhnhardt enterbt

Und dann war Uwe auf einmal weg. Untergetaucht. Seine Eltern hätten ihm nur erklärt, dass er sich nicht stellen wolle. Auch ein von den Eltern eingeschalteter Anwalt habe ihn nicht dazu bekehren können. Ihm hätten schwere Strafen gedroht. Weswegen? Das habe Jan Böhnhardt nie gefragt. Auch, ob sein Bruder im Untergrund finanziell unterstützt worden sei, wisse er nicht. "Meine Eltern haben mir gesagt, dass sie ihn enterbt haben. Damit sie keine Probleme bekommen."

"Ihn hat es ja selbst angekotzt"

Uwe Böhnhardt ist seit zweieinhalb Jahren tot. Seine Leiche wurde am 4. November 2011 in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach gefunden. Jan Böhnhardt ließ im Zeugenstand keinerlei Gefühlsregungen erkennen. Mit der rechten Szene habe er nie etwas zu tun gehabt. Warum sein kleiner Bruder sich mit Mundlos und Zschäpe zu einem radikalen Trio zusammenschloss? Wieder ein Versuch für eine Erklärung: "Ihn hat es ja selbst angekotzt, weil er arbeitslos war. Das hat ihn auch genervt."


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