NSU-Prozess


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122. Verhandlungstag, 2.7.2014 Verdacht auf Falschaussage - der Zeuge Enrico T.

Zeugen mit merkwürdigen Erinnerungslücken sind leider Alltag im NSU-Prozess. Bisher blieb das folgenlos. Das wird sich nach diesem Verhandlungstag ändern.

Von: Tim Aßmann

Stand: 02.07.2014 | Archiv

Tim Aßmann | Bild: BR

02 Juli

Mittwoch, 02. Juli 2014

Enrico T. kam zum zweiten Mal in den Münchner Gerichtssaal. Mit dabei: Ein Rechtsanwalt als sogenannter Zeugenbeistand. Eine Reihe von Opferanwälten begann Enrico T. mit Fragen zu löchern. Die Kölner Rechtsanwältin Edith Lunnebach kitzelte schließlich aus ihm heraus, dass er nach seiner Aussage vor Gericht am 28. April (siehe auch Tagebucheintrag 108 vom 28.4) zu einem Freund in die Schweiz fuhr, der ebenfalls Zeuge im Prozess ist. Dieser Mann soll jene Ceska-Pistole verkauft haben, mit der neun von zehn Morden begangen wurden, die dem NSU zugerechnet werden. Auch Enrico T. soll im Zusammenhang mit der Beschaffung der Ceska stehen. Der Besuch in der Schweiz, kurz nach seiner Vernehmung in München, sei eine „Kurzschlussreaktion“ gewesen, sagte Enrico T. nun im Zeugenstand. Trotzdem will er sich mit seinem Freund nicht über den Prozess unterhalten haben. Das glaubte ihm niemand im Gerichtssaal. Anwältin Lunnebach bezichtigte Enrico T. der Lüge. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl redete ihm ins Gewissen und erinnerte den Zeugen an seine Wahrheitspflicht. Ohne Erfolg.

Das Gericht belogen?

Enrico T. machte zunächst auch falsche Angaben dazu ob, wann und wie oft bei ihm sogenannte Schiesskugelschreiber gefunden wurden, mit denen man auch scharfe Munition verschießen kann. Nur bei einer der zwei Waffen wusste T. noch woher er sie hatte. Wie er an die zweite kam wollte ihm nicht mehr einfallen. Auch das nahmen ihm die Prozessbeteiligten mehrheitlich nicht ab. Die Bundesanwaltschaft stellte einen Antrag auf Protokollierung der fraglichen Passagen wegen Verdachtes der uneidlichen Falschaussage. Darauf stehen empfindliche Strafen. Sein heutiger Auftritt vor Gericht wird für Enrico T. definitiv Konsequenzen haben.

Jugendfreund von Böhnhardt

T. war einst ein Freund von Uwe Böhnhardt, gehörte mit ihm zu einer Jugendclique, die gleichzeitig auch Diebesbande gewesen sein soll. Offenbar im Streit um Diebesgut zerbrach die Freundschaft. Gegen Enrico T. laufen auch Ermittlungen wegen eines Kindsmordes 1993 in Jena. Damals war ein neunjähriger Junge ermordet worden. Nahe der Leiche wurde ein Bootsmotor gefunden, der Enrico T. gehörte. Er beteuert das Boot sei ihm wenige Tage vor der Tat gestohlen worden.


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