NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 119. Verhandlungstag, 05.06.2014

An diesem Prozesstag geht es zentral um den Anschlag in der Kölner Probsteigasse. Am 19. Januar 2001 kam ein Mann in den Lebensmittelladen von Djawad M., einem Deutsch-Iraner. Der Kunde behauptete, kein Geld dabei zu haben und ließ seinen Einkaufskorb im Laden, um angeblich welches zu holen.

Von: Tim Aßmann, Mira Barthelmann, Holger Schmidt und Paul-Elmar Jöris

Stand: 05.06.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

M. verwahrte den Korb, doch der Kunde kam nie zurück. Der Korb enthielt eine präparierte Christstollen-Dose. Diese explodierte, als die älteste Tochter des Inhabers, Mashia M., sie berührte. Sie überlebte den Anschlag, erlitt aber schwerste Verbrennungen. Der Laden wurde durch die Explosion völlig zerstört. Angehört werden heute der Inhaber des Ladens sowie seine Frau und die jüngste Tochter, die auch im Laden war, als besagter Kunde im Laden war. Die Identität des Täters bleibt offen, es gibt keine eindeutigen Hinweise, dass Mundlos oder Böhnhardt als Täter in Frage kommen.

Zeugen:
Djawad M. (Vater des Anschlagsopfers Mashia M.)
Soheila A. (Mutter von Mashia M.)
Mashid M. (Schwester von Mashia M.)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Tim Aßmann, BR)
Beginn 9.47 Uhr.
Familie M. (Köln, Probsteigasse) als Nebenkläger wieder anwesend, Zuschauer- und Pressetribüne knapp zur Hälfte gefüllt (jeweils 19 Personen).

Der Zeuge Djawad M. kommt und bittet auf Nachfrage von Richter Manfred Götzl darum, mit Farsi-Dolmetscher vernommen zu werden, der auch schon mit dabei ist und nun neben dem Zeugen sitzt. RA Edith Lunnebach (Anwältin der Nebenkläger-Familie M.) sitzt auch neben dem Zeugen.

Djawad M., 62 Jahre alt, momentan arbeitslos, nach Explosion war der Laden kaputt und danach nicht mehr (jetzt erzählt er alles auf Deutsch ohne Dolmetscher, gut verständlich).
Die Fragen des Vorsitzenden werden nun vom Dolmetscher übersetzt. Er wird ab jetzt auch die Antworten übersetzen.

M: Es war also ein paar Tage vor Weihnachten. Gegen 17 oder 18 Uhr kam ein Herr in meinen Laden rein, mit einem weißen Hemd, einer Jeanshose, er war schmächtig gebaut, hatte lockige, ziemlich lange Haare. Er hatte einen Korb in der Hand, kam in den Laden, wollte sich ein paar Sachen holen, war kurz vor Feierabend, wollten gerade schließen. Er hat eine Runde gedreht und eine Flasche "Jack Daniels" eingesteckt und Chips, wenn ich mich nicht irre. Waren ungefähr 55 D-Mark in seinem Korb. Er kam zur Kasse und sagte: "Tut mir leid, Portemonnaie vergessen, aber ich wohne hier um die Ecke." Ich hatte den Mann bis dato noch nie gesehen. Hatten eigentlich Stammkunden. Kannten auch die Schulkinder aus der Gegend. Er hat sich ein bisschen komisch verhalten. Hat Runde gedreht und ist weggerannt. Bin ihm hinterher, aber er ist weggerannt. Meine Tochter war hinten und ich habe aber nicht so richtig in Erinnerung, dass sie nach vorne kam. Aber sie meinte jedenfalls, dass sie den Mann auch gesehen habe. Der Mann ist dann jedenfalls weg. Bis 18 Uhr, 18.30 Uhr haben wir gewartet. Dann haben wir geschlossen. Der Mann kam auch nicht am Tag danach. Dann haben wir den Korb nach hinten in unseren Aufenthaltsraum gebracht. Vor der Explosion war auch mein Sohn neugierig und wollte gucken, was da alles drin ist. Meine Tochter, die verletzt wurde durch die Explosion, wollte die Dose auch öffnen. Am fraglichen Tag war ich beim Großhandel. Meine Tochter ist mit uns zum Laden gefahren. Wir waren also zu fünft. Meine jüngste Tochter und mein Sohn waren auch dabei. Und meine Frau. Wir sind zum Laden gefahren.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
M: Der Sohn ist dann gleich weitergefahren zur Schule. Und wir waren gerade dabei, den Laden fertig zu machen für den Verkauf, weil wir hatten in der Regel den Laden schon um 7 Uhr geöffnet für die Schulkinder, die immer bei uns eingekauft haben. Ich kann nur von Glück sprechen, dass die Explosion stattgefunden hat, bevor die Kunden im Laden waren. Unsere Kunden sind in der Regel Deutsche gewesen. Und als meine Tochter halt eben mit der Vorbereitung fertig war, ist sie nach hinten in unseren Aufenthaltsraum gegangen, um sich für die Schule zurechtzumachen. Sie war neugierig. Sie wollte unbedingt wissen, was in der Dose ist. Dann hat sie sie geöffnet und sich dann runtergebeugt zu der Schublade, um nach einem Spiegel zu greifen.
Das war ein Riesenknall, sehr laut. Ich konnte erst mal nicht einordnen, woher dieser Knall kommt, ob er bei uns ist oder in der Nachbarschaft. Auf einmal kam meine Frau zu mir und sagte: "Pass auf, das ist bei uns. Da ist alles dunkel und Rauch und unsere Tochter ist hinten im Raum." Ich bin dann ins Zimmer gerannt, meine Frau hinterher. Die Haare waren fast komplett verbrannt, es war dunkel, die Decke brannte. Dann habe ich meine Tochter aufgehoben.
Mit Hilfe meiner Frau habe ich meine Tochter hinter zum Auto gebracht. Nach ein paar Minuten kam die Feuerwehr, Polizei. Ich gehe davon aus, dass der Hilferuf von Nachbarn kam. Ab dieser Zeit hat man uns verboten, den Laden zu betreten. Meine Tochter wurde in einen Krankenwagen gelegt und meine jüngste Tochter wurde mit einem Streifenwagen abgeholt. Meine Frau und ich standen einfach hilflos da und wussten nicht, was wir tun sollten. Danach fingen eben die polizeilichen Vernehmungen an. Bis 14, 15 Uhr waren die polizeilichen Vernehmungen und anschließend sind wir ins Krankenhaus gefahren.

(Holger Schmidt, SWR)
Götzl: Wie war die Verfassung Ihrer Tochter?
M: Wir sind erstmal nicht reingelassen worden, habe noch in Erinnerung, alle Haare verbrannt, die Augen waren zu. Ein Luftbeatmungsgerät war angeschlossen und Infusion. Uns wurde gesagt, durch die Explosion wurde das Schwarzpulver eingeatmet, ganz genau weiß ich es nicht, aber das Luftbeatmungsgerät war angeschlossen.
G: Als Sie Ihre Tochter vorgefunden habe, war sie dann ansprechbar?
M (auf deutsch): Sie hat nur ein Wort gesagt: Passen Sie auf Euch auf!
Weiter mit Dolmetscher.

(Tim Aßmann, BR)
M: (Dolmetscher) Komplett bewusstlos war sie nicht, aber sie war in einem sehr schlechten Zustand. Hat nicht lange gedauert, bis Krankenwagen kam und sie abtransportiert wurde.
Götzl: Können Sie noch genauer sagen, wann der Mann mit dem Korb im Laden war?
M: Das war so zwei bis drei Tage vor Weihnachten.
G: Wer war da im Laden?
M: Meine jüngste Tochter. Ich glaube, sie hat hinten Schulaufgaben gemacht. Anschließend war sie vorne, so dass sie nachher gesagt hat: "Jaja. Ich habe den Mann auch gesehen."
G: Was bedeutet nachher?
M: Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern. Wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass sowas passieren kann. Deshalb haben wir nicht alle Details in Erinnerung behalten.
G: Können Sie einordnen, wann Sie mit Ihrer jüngsten Tochter über den Mann gesprochen haben?
M: Nach der Explosion.
G: Genauer?
M: Wir konnten uns nicht mal im Traum vorstellen, dass sowas bei uns passiert. Deshalb, beim besten Willen, kann ich mich nicht erinnern, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass in dem Moment, wo der Mann weggerannt ist und ich hinterher bin, ich meine jüngste Tochter schon gesehen habe. Sie hat sich in dem Bereich zwischen Kasse und Eingangstür aufgehalten.

(Holger Schmidt, SWR)
RA Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe): Es ist mir unmöglich, mit meiner Mandantin vertraulich zu kommunizieren, Frau Lunnebach (M.-Anwältin, die vorne am Zeugentisch sitzt) hört alles mit!
G: Frau Lunnebach, setzen Sie sich doch bitte einfach auf die andere Seite.
Lunnebach: Der Herr Verteidiger überschätzt zwar meine Möglichkeit zu lauschen, aber bitte.

(Tim Aßmann, BR)
M: Ich bin ihm nicht hinterhergerannt in dem Sinne, aber sein Verhalten war suspekt, deshalb war ich neugierig und ich bin ihm hinterhergegangen. Ich habe nur gesehen, dass der Herr nach rechts abgebogen ist.
G: Sind Sie aus dem Laden raus?
(Der Dolmetscher bekommt jetzt von Götzl nochmal genau seine Rolle erklärt: "Sie sind nur mein Sprachrohr oder das des Zeugen.")
M. erklärt nun auf Deutsch (ob er den Laden verlassen hat oder nicht, lässt sich von der Pressetribüne aus nicht klären).

(Holger Schmidt, SWR)
Götzl: Herr Dolmetscher, Sie sind nur das Sprachrohr für mich. Sonst nichts. Ihre Initiative in allen Ehren, aber Sie übersetzen nur meine Fragen und seine Antworten und sonst nichts. Wenn es Schwierigkeiten gibt, werde ich die bereinigen!
G: Was meinen Sie mit suspektem Verhalten?
M: Wir hatten ja überwiegend Stammkunden, wenn jemand kein Geld hatte, haben wir vertraut und die Ware so gegeben, aber der Mann ist bei uns reingekommen, hat sich Sachen genommen und so wie er sich da aufgeführt hat, das war nicht normal.
Ich sah ihn zum ersten Mal. Das hat mich nachdenklich gemacht. Habe eine kurze Zeit gedacht, ich gebe ihm die Ware und er bringt mir das Geld später. Aber er bestand darauf und sagte, er lasse das hier und komme gleich wieder.
G: Sie sagten, Sie haben den Mann noch nie gesehen?
M: Ja, das ist richtig.

(Tim Aßmann, BR)
M: Ich wollte nicht in den Korb schauen, wurde uns anvertraut, nicht unsere Sache, aber auch mein Sohn war sehr neugierig, was da drin ist. An dem Tag ist sie offensichtlich in dem Raum gewesen, um sich zu schminken und dann ist die Explosion.
Götzl: Hat Ihnen Ihre Tochter das so geschildert?
M: Ob sie selbst oder ihre Mutter? Wir wussten, dass sie dort ihre Schminksachen hat und sich öfter dort zurecht gemacht hat.
M: Mann war schmal, dünn, 1.75, vielleicht 1,80 groß, nicht korpulent, schmächtig gebaut mit Wangenknochen. Soweit ich in Erinnerung habe, hatte er Locken. Das Hemd war auf jeden Fall weiß und er hatte eine Jeanshose an.
G: Noch was über dem Hemd?
M: Nein, nur bekleidet mit einem Hemd.
M: Was mich stutzig machte, war dass er, als er Laden verlassen hat, weggerannt ist.
G: Wie schnell?
M: Auf jeden Fall schneller, viel schneller als normal laufen. Ich habe an diesem Abend extra länger gewartet. In der Hoffnung, dass er zurückkommt, aber er ist nie gekommen. Habe den Mann vorher nie gesehen.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Götzl: In den Wochen zuvor? Irgendwelche Besonderheiten?
M: Lassen Sie mich so ein bisschen weiter ausholen. Wir hatten ja viele Stammkunden. Die haben vorbestellt, sich von uns beliefern lassen. Wenn welche nicht da waren, dann hatten wir sogar welche, die haben uns den Schlüssel dagelassen, um dann dort Sachen in der Wohnung abzustellen. Also, so viel Vertrauen gab es da. Wir hatten ein enges Verhältnis zu unseren Kunden.
Dass mir sonst was Besonderes aufgefallen wäre, das ist mir nicht aufgefallen. Ich bin so in der Regel um 3 Uhr in der Früh zum Großmarkt gefahren und dann so um 6 Uhr in der Früh wieder nach Hause und habe meine Frau eingeladen und dann sind wir zusammen zum Laden gefahren, weil wir um 7 Uhr den Laden geöffnet haben.

(Tim Aßmann, BR)
Götzl: Waren Sie den ganzen Tag im Laden?
M: In der Regel bin ich den ganzen Tag da gewesen, aber zwischendurch bin ich mal raus.
G: Wann in der Regel zuhause?
M: So gegen 22 Uhr, 23 Uhr. Hatten auch zusätzlich noch einen Kiosk.
G: Konsequenzen des Anschlags für Sie, auch für Ihre Familie - wie ging es weiter?
M: Lassen Sie mich an dieser Stelle bei meiner Frau ganz herzlich bedanken, weil sie an erster Stelle dafür gesorgt hat, dass meine Tochter am Leben bleibt. Im Krankenhaus war meine Tochter die ganze Zeit benommen von diesen Tabletten mit Morphium. Sie war sehr benommen, konnte ihren Speichel nicht behalten. Es gab dort einen iranischen Arzt, einen Psychologen, der uns sehr nahegelegt hat, dass wir unsere Tochter in den Feiertagen mit nach Hause nehmen, weil sie würde mit diesen starken Medikamenten nicht überleben. Wir sollten versuchen Medikamente peu à peu zurückzufahren und durch Vitamine zu ersetzen.
Wir sind ursprünglich als politische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und wollten hier in Frieden leben. Wir waren sehr beliebt in dieser Gegend, haben nach Explosion soviel Anteilnahme von den Anwohnern erfahren. Sie wollten, dass wir weitermachen, wurden unterstützt usw. Aber meine Frau war nicht in der Lage, nicht nur den Laden, sondern auch die Gegend zu betreten. Sie hat auch die Gegend gemieden. Ich bin im Nachhinein in Anführungszeichen sehr froh, dass Schaden nur uns umfasste und keine anderen Unschuldigen und keine weiteren zu Schaden kamen. Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll. Musste mein Geschäft zuschließen, danach war meine Sorge nur meine Kinder zu unterstützten, was ihre Ausbildung betrifft. Sie zu unterstützen und zu fördern.
G: Geschäft wurde nie wieder geöffnet?
M: Ich wollte schon, aber meine Frau konnte sich nicht damit zurechtfinden.
G: Phantombild erstellt?
M: Es hat eine Explosion stattgefunden, Kind ist zu Schaden gekommen, Sie stehen völlig neben sich und in dieser Situation werden Sie gebeten, ein Phantombild zu erstellen. Ja, das hat es gegeben, aber im Nachhinein stellte sich heraus, dass es nicht dem Täter ähnlich sein sollte. Das Bild hat nicht wiedergegeben, was ich von dem Mann in Erinnerung hatte. Die Haare haben zum Beispiel nicht gestimmt. Hatte in Erinnerung, dass der Täter Locken und ein sehr dünnes, schmales Gesicht hatte.
G: Außer den Haaren weitere Merkmale, die nicht passten?
M: Das Phantombild hat vorne und hinten nicht gepasst. Bin dann zur Kripo, wo man Bilder vorgelegt hat und dort habe ich gesagt: "Ja, hier und da gibt es Ähnlichkeiten, aber ich kann das nicht hundertprozentig sagen."
G: Können Sie präzisieren, was nicht passte?
M: Die Haare haben nicht gestimmt, auf keinen Fall. Die waren glatt. Er hatte aber Locken. Er hatte knochiges Gesicht. Weiß nicht, ob das an mir lag. Wie gesagt: Ich stand neben mir. Ob die Beamten etwas vermasselt haben? Ich weiß es nicht. Als das Bild erstellt wurde, hab ich gesagt: "Das ist nicht das, was ich gesehen habe."

Pause bis 11.15 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 11.22 Uhr.
Der Zeuge und der Dolmetscher werden zur Bildvorlage an den Richtertisch gebeten.
Dolmetscher: Haare des Täters: Im Nachhinein sagt Herr M.: Wellen, keine Locken.
Götzl: Wann hat er das gesagt?
Dolmetscher: Gerade eben.
M. (per Dolmetscher): Also das waren Wellen, keine Locken. Lange Haare, die auch beide Ohren bedeckten. Mit Wellen drin.

Nun wird Phantombild gezeigt mit einem Mann mit blonden Haaren bis über die Ohren. (Es sieht keinem der Uwes auch nur im Ansatz ähnlich.)

M: Könnte so ungefähr passen. Ich glaube, das Malen dieses Bildes habe ich selbst veranlasst.
Was Haare betrifft - passt ungefähr. Was Gesicht betrifft - kann nicht hundertprozentig sagen.

Nun gleiches Bild mit Brille.

M: Nein, Brille war nicht dabei.

Nun anderes Bild. Schmales Gesicht, Haare enger am Kopf.

M: Nein, das können wir vergessen. Kann es nicht sein. Kann sein, dass mir das schon mal vorgelegt wurde.
Götzl: Mehrmals Bild bei der Polizei erstellt?
M: Einmal weiß ich, das ich bei der Polizei war. Ein zweites Mal? Ich kann mich nicht daran erinnern.

Zeuge kann sich wieder setzen.

G: Wissen Sie noch, wann Sie bei der Polizei waren?
M: Das erste Mal unmittelbar nach der Explosion.
G: Noch ein weiteres Mal wegen Phantombild?
M: Wegen Bild kann ich mich beim besten Mal nicht erinnern.
G. hält jetzt vor aus Akten: am 19.1., 15.30 Uhr Bild erstellt.
M: Wie gesagt: Nach der Explosion hat mich die Polizei mitgenommen und mich ungefähr das gefragt, was Sie mich auch gefragt haben und dann haben sie dieses Phantombild erstellt.
G. hält vor aus Protokoll bei Vernehmung damals: "Er war etwa 25 bis 26 Jahre alt, 1.75 bis 1,80 groß, schlank, mittelblonde Haare, im Nacken etwas länger, an den Seiten gelockt."
M: Ja. Also Wellen an den Seiten.
G. hält weiter vor: "Ob die Ohren frei waren, kann ich nicht sagen."
M: Ja, also das kann ich Ihnen auch nicht hundertprozentig sagen.
G: "Keinen Bart und keine Brille".
M: Das ist richtig.
G: "Herausstehende Wangenknochen".
M: Ja.
G: "Weißes Hemd, helle Jeans, nicht ganz weiß."
M: Blaue Jeans.
G: "Keine Jacke."
M: Nein.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Götzl: Vermerke von der Polizei. Vorhalt: 19.1.2001: Gegen 15.30 Uhr wurde auf der hiesigen Dienststelle ein Phantombild erstellt von einer Person, die einen Präsentkorb im Geschäft hinterlassen hat. Sprache?
M: Das war richtig Deutsch. Ja, nach meiner Wahrnehmung war das Deutsch ohne irgendeinen Akzent.
G: Am 19.1.2001 Phantombild Wissen Sie, ob das irgendwo veröffentlich wurde?
M: Ja, ja. Die hatten das schon ausgehängt. Auch an meinem anderen Laden hatten sie ein Bild ausgehängt. Ich habe gehört, dass ein Kunde von uns in diesem Zusammenhang festgenommen wurde.

(Tim Aßmann, BR)
12.09 Uhr.
G. hält vor: Vermerk vom 22.1.: "M. sagte, erstes Phantombild sei verbesserungswürdig."
M: Ja, das ist richtig. Ich war psychisch sehr angeschlagen. Als das Bild stand, passte es nicht überein mit dem, was ich erlebt hatte.
G: Hatten Sie Schwierigkeiten, die Polizeibeamten zu verstehen oder sich verständlich zu machen?
M: Das weiß ich nicht. Vielleicht war auch ein Dolmetscher dabei. Ich weiß es aber nicht.
G. hält vor aus Vermerk der Polizei: "Zeuge war angeschlagen. Gründe: u. a. Erschöpfungszustand."

(Paul-Elmar Jöris, WDR)
Götzl: Vorhalt Protokoll der 2. Fertigung eines Bildes.
M: Kann sich nicht richtig erinnern. Ich kann mich an die Aussagen in diesem Protokoll nicht richtig erinnern.
G: Wo genau aufgehalten zum Zeitpunkt der Explosion?
M: Ich war auf der Straße und dabei, Obst und Gemüse aus Lieferwagen zu entladen. Meine Frau an der Wurst- und Käsetheke, meine jüngere Tochter an der Kasse vor der großen Scheibe.

(Tim Aßmann, BR)
Götzl hält aus Vernehmung vor: "Ich war alleine im Laden. Niemand sonst war da."
M: Zu dem Zeitpunkt, wo der Mann in den Laden rein kam, war meine Tochter nicht da. Sie kam später dazu. Als der Mann ging, hab ich bemerkt, dass sie auch da stand.
G: Hat es im Laden gebrannt?
M: Das ist richtig. Da wo die Explosion war, hat ein Teil der Zimmerdecke gebrannt.
G: Was ist mit dem Brand geschehen?
M: Ich weiß es nicht mehr. Hab nur meine Tochter rausgetragen. Unmittelbar danach kam die Polizei. Die haben uns dann nicht mehr reingelassen.
G: Haben Sie den Brand gelöscht?
M: Nein.
G. hält vor: "Papier hat gebrannt. Decke hat gebrannt."
M: Die Decke ist richtig, das mit dem Papier weiß ich nicht.

Mittagspause bis 13.10. Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 13.18 Uhr mit dem Zeugen Djawad M.
Götzl: Könnten Sie uns bitte die Dose beschreiben?
M: Zuerst wollte ich gar nicht in den Korb schauen. Ging mich nichts an. Später, als ich den Korb nach hinten stellte, habe ich mir die Dose angeschaut. Sah so ähnlich aus wie die, die hier schon auf dem Tisch gelegen hat. (Vorgestern)
Götzl hält vor: "Konnte Tochter erst gar nicht erkennen nach der Explosion."
M: Ja.
G. hält weiter vor: "Sie sagte: Ich bin verbrannt."
M: Ja. Sowas in der Art und sie hat auch sowas gesagt wie: "Passt auf Euch auf."

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
G: Vernehmung, 20.01.2001: "Wir sind dann zusammen nach hinten gegangen. Meine Tochter lag auf dem Bett."
M: Ja, sie lag um die Ecke.
G: "Auf ihr lag etwas Holz oder Ähnliches."
M: Ja, also, der Gips von der Decke und alles mögliche lag auf ihr. Ja, die Haare waren verbrannt.

G: Sie sagte: "Meine Augen, mein Gesicht. Sie sind verbrannt."
M: Ich habe auf dem Bett ein kleines Feuer gesehen. Also, das mit dem Feuer, weiß ich nicht so genau.
G: Jetzt die Vernehmung von: 22.02.2012: "Erzählen Sie nochmal kurz als der Mann bei Ihnen im Geschäft war." "Es war gegen 18 oder 19 Uhr. Ich war mit meiner Tochter im Laden. Sie war in der Küche und hat gelernt für eine Prüfung. Ich glaube, dass sie auch später nach vorne gekommen ist."
M: Ja, das müsste so hinhauen.
G: "Wann haben Sie erfahren, dass Ihre Tochter den Mann gesehen hat?" "Ich dachte damals, dass sie den Mann nicht gesehen hat. Vor ein paar Tagen hat sie mir gesagt, dass sie den Mann auch gesehen hat."

(Tim Aßmann, BR)
Götzl: Wurden Ihnen bei der Vernehmung im Februar 2012 mal Lichtbilder vorgelegt?
M: Ja.
G: Jemanden erkannt?
M: Kann sein, aber hundertprozentig weiß ich nicht, ob ich jemand erkannt habe.

Götzl bittet den Zeugen nun wieder nach vorne.
Lichtbildvorlage. Erst kommen vier Bilder mit Männern, die alle sehr stark dem Phantombild ähneln.
M. ist sich nicht sicher, sagt bei einem Bild mit Brille, es passe ein bisschen zum Täter (vorhin hat er ausgeschlossen, dass der Mann eine Brille trug.)

M: Wissen Sie, wenn der Mann jetzt vor mir stehen würde, würde ich ihn jetzt nicht wiedererkennen.
M: Der Täter sah so ähnlich aus, nur eben ohne Brille.

Nun noch mehr Bilder, die alle dem Phantombild ähneln. Es sind Retuschen, wo einfach zu irgendwelchen Gesichtern, längere, blonde Haare dazu gebastelt wurden, so als wenn der Täter eine entsprechende Perücke getragen hätte. Bei einem sieht das Gesicht Wohlleben sehr ähnlich. Bei einem anderen stutzt der Zeuge kurz. Dieses Gesicht ähnelt aber keinem möglichen NSUler.
Nun kommen weitere Bilder - Ganzkörper - auch eins vom jungen Mundlos in Bomberjacke. Zeuge stutzt, lässt dann übersetzen: Ich glaube auch nicht, dass es dieser Mann sein könnte.
Auch Foto von den Mitangeklagten André E. und Holger G.

M: Bei dem würde ich sagen, von Gesichtskonturen könnte es hinhauen, aber ich habe das Gefühl, dass der Täter etwas mehr Haare hatte. Vielleicht auch ein Tick schmaler.
Holger G. bleibt ganz entspannt.
Nun kommen zwei Mundlos-Bilder. Er erkennt nicht mal, dass es der gleiche Mann ist und sagt: Die sind es nicht. Das Gleiche wiederholt sich mit Böhnhardt.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Bundesanwaltschaft: Herr M., können Sie angeben, welcher finanzielle Schaden am Laden gewesen ist?
M: Also, mein Laden war bei der Allianz versichert. Und die Versicherung hat einen Teil des Schadens übernommen.
Bundesanwaltschaft: Welcher finanzielle Schaden ist entstanden?
M: In Zahlen? Zunächst mal, das Gebäude war komplett versichert. Was den Inhalt meines Laden betrifft, da habe ich eine Summe bekommen, aber die weiß ich nicht.
Bundesanwaltschaft: Mann mit der Dose, waren da noch andere da?
M: Nein, niemand außer ihm.
Bundesanwaltschaft: War der Mann danach in einem anderen Kiosk?
M: Das habe ich nicht gesehen. Ich habe nur gesehen, dass er schnell weggegangen ist.

(Tim Aßmann, BR)
RA Herbert Hedrich (Verteidigung André E.): Was genau meinten Sie mit Weihnachten? Welches Datum?
M: Ich hab Ihre Frage nicht verstanden.
H: Sie haben als zeitlichen Bezugspunkt in Ihren Vernehmungen vom 19.1. und 5.2.2001 jeweils als Zeitpunkt für das Erscheinen des jungen Mannes das Wort "Weihnachten" gebraucht.
M: Ja, ich hab gesagt: Ein paar Tage vor Weihnachten.
H: Welches Datum meinen Sie mit Weihnachten?
M: Ich weiß nicht. Also ich rechne das nach dem Sonnenkalender. Weiß nur, dass es ein paar Tage vor Weihnachten war.
H: Welches Datum verbinden Sie mit dem Wort "Weihnachten" genau?
M: Das weiß ich nicht mehr.
H. hält vor: Im Jahr 2000 war der 24.12., der wird im christlichen Bereich Weihnachten genannt, ein Sonntag. Verbindet sich Weihnachten mit einem Datum für Sie?
M: Nee.
H: Welches Datum ist für Herrn M, Weihnachten?
M: 24.12. müsste es gewesen sein, aber paar Tage früher oder so ist das gelegt worden.

RA Lunnebach beanstandet: Frage beantwortet.
Götzl sieht das auch so.
Offenbar grinst Hedrich nun und Götzl fordert ihn deutlich auf, doch bitte klare Fragen zu stellen.

Hedrich zu M.: Also zwei bis drei Tage vor diesem Sonntag?

Lunnebach beanstandet, Hedrich mache Vorgabe.

M: Nageln Sie mich nicht fest, ob es zwei oder drei Tage vorher war.
Götzl: Die Frage ist damit beantwortet.

Zeuge wird entlassen.
Pause bis 14.15 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 14.21 Uhr mit der Zeugin Soheila A., 58 Jahre alt, Buchhalterin, im Iran Anglistik studiert, später noch Berufsausbildung in Deutschland. (Mutter des Opfers, Frau des vorherigen Zeugen.)
Sie will es auf Deutsch versuchen, bittet aber darum, dass der Dolmetscher neben ihr sitzen bleibt.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Götzl: Einzelheiten zum Ereignis?
A: Aufgrund dessen, dass mein Sohn das Auto mitgenommen hat, ist meine Tochter mit uns gefahren. Wir haben kurz vor 7 Uhr angefangen. Ich bin gleich zur Wursttheke gefahren und habe angefangen, Wurst und Käse zu schneiden. Meine kleine Tochter war in etwa bei mir. Auf einmal war das Licht aus. Ich habe einen dumpfen Knall gehört. Es war noch dunkel. Ich habe ihr Schreien gehört. Ich bin nach hinten gerannt. Es war so dunkel, ich konnte sie gar nicht sehen. Dann kam mein Mann und dann haben wir sie nach draußen getragen und im Hellen habe ich dann gesehen, dass ihr Gesicht von Blut verschmiert war. Schnittwunde vom Ohr über die Nase. So viele Schmutztätowierungen. Da war fast kein Gesicht mehr zu erkennen. Ich habe versucht, das Telefon zu betätigen. Aber es war aus. Dann haben wir versucht, die Nachbarschaft zu bitten, Hilfe zu rufen. Sie konnte noch sprechen. Sie haben ihr eine Spritze gegeben. Sie haben sie dann zum Krankenhaus gebracht. Wir sind zur Polizei gebracht und mehrere Stunden vernommen worden. Dann sind wir ins Krankenhaus gefahren. Dort hat man uns gesagt, dass sie mit dem Hubschrauber nach Köln-Merheim geflogen wurde. Was ich da gesehen habe, war überhaupt kein Gesicht mehr. Ganz geschwollen. Ich habe sie gar nicht mehr erkannt. Sowas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich konnte sie nicht wiedererkennen. Schwierigkeiten auch mit der Atmung, deshalb hat man sie auch intubiert.
Götzl: Dose? Korb?
A: Ein großer Korb. Da war diese Blechtüte drin. Und diese Aldi-Chipstüte, und bei uns hat er einen Whiskey und Kekse drin.

(Tim Aßmann, BR)
A: Korb war fast vier Wochen da. Ich denke immer wieder: die Bombe hätte auch explodieren können, als wir Kundschaft hatten. Es waren in der Zeit viele Leute da.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
A: Es war eine Phase, in der viele Kunden im Laden waren. Von der Berufsschule sind vielleicht 20, 30 Menschen gekommen. Mehr als 99 Prozent Deutsche - unsere Kundschaft. Überhaupt wurde die Straße fast nur von Deutschen bewohnt. Rechtsanwälte, Ärzte. Gute Wohngegend. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass Rechtsradikale nicht in Frage kamen. Ganz am Anfang wurden wir aufmerksam gemacht, aber ich habe gesagt, nein. Der hat zu mir gesagt: Sie kennen diese Leute nicht. Ich habe das trotzdem nicht geglaubt, das war ein Fehler von mir.

(Tim Aßmann, BR)
A: Als Korb abgestellt wurde, war ich nicht zugegen. Es war zwei, drei Tage vor Weihnachten gewesen. Es kann kein Samstag gewesen sein, denn Samstags war ich immer im Laden.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
A: Ich mache mir auch Vorwürfe als Mutter. Das war meine Aufgabe: So etwas dürfte meinen Kindern nicht passieren. Am Tag vorher wollte ich dreimal die Polizei rufen. Und immer sind wieder Kunden gekommen und ich habe es vergessen. Ich hätte es der Polizei übergeben sollen, es hat uns nicht gehört.
Man hatte vor, uns auch wirtschaftlich zu zerstören. Man hätte es auch zu Hause und an unserem Auto machen können. Aber man wollte alles zerstören. Da haben wir jetzt unsere Einkommen verloren. Ich habe schon als MTA gearbeitet. Ich habe bewusst als Selbstständige mit meinem Mann gearbeitet. Wir wollten von niemanden abhängig sein. Ob das ein Fehler war? Man hat mir jede Lebensfreude genommen. So etwas versteht man, wenn man selber Kinder hat.
Götzl: Besonderheiten vorher?
A: Ich habe nur gedacht, dass meine Tochter gesund werden muss. Und deshalb konnte ich überhaupt nicht überlegen. Und nach ein paar Monaten war eine Dame bei uns vom Weißen Ring. Ich habe zu ihr gesagt: Ich weiß gar nicht, was ermittelt wurde. Sie hat mir eine Nummer gegeben. Ich habe eine Frau vom Opferschutz angerufen und sie gefragt: Inwiefern sollen wir uns schützen? Sie hat gesagt: Leider keine Infos. Das war alles. Ich hatte keine Ahnung. Ich habe so viel überlegt: Welches ungewöhnliche Ereignis war bei uns?
Da war mal einer, der wollte uns ein Kamerasystem verkaufen.
Oder diese Dame, die unbedingt darauf bestanden hat, bei uns auf die Toilette zu gehen. Später habe ich Bilder von Frau Zschäpe gesehen. Eine gewisse Ähnlichkeit. Haarlänge, Größe, Klamotten. Es könnte sein.
Ich habe sogar mit Hypnose versucht, mich an mehr zu erinnern. Aber es ging nicht.
Das war kurz nach dem Bekanntwerden des NSU. Meine kleine Tochter M. hat mir dann erzählt, dass sie auch da war, als der Mann die Dose "abgegeben" hat.
G: Wo hat sich Ihre ältere Tochter aufgehalten?
A: Hinten im Aufenthaltsraum. Sie hat uns später erzählt, was sie dort gemacht hat.
G: Dose entspricht das Ihrer Erinnerung?
A: Nein, meiner Erinnerung nach war die kleiner, goldene Sterne und noch irgendein Muster.

(Tim Aßmann, BR)
RA Christina Clemm (Nebenklage-Anwältin der Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße): Haben Sie die Detonation gespürt?
A: Ja. Das Messer, mit dem ich Käse schnitt, flog sechs Meter weit. Ist nicht wichtig. Der psychische Schaden ist viel wichtiger. Wäre mir lieber, dass ich tot wäre und meine Kinder ohne Schaden.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
RA Anja Sturm (Verteidigung Zschäpe): Ihre Tochter sagte gestern, dass man damals dachte, es handelt sich um einen Einzeltäter.
A: Deshalb kommt ein Deutscher nicht in Frage. Deshalb haben wir das ausgeschlossen. Dann haben wir auch ausgeschlossen: Das ist so unangenehm. Wir stehen im Dunklen. Das ist immer noch so. Man denkt, dass man bis heute beobachtet wird. Und dann denkt man: Mit welchen Leute habe ich es zu tun? Rechtsradikale? Unterstützer? Das ist nicht einfach.
S: Gedanken 2001?
A: Sie meinen, wer der Täter sein kann? Ich habe mir den Kopf zerbrochen. Jedes Detail in meinem Leben. Millionen Szenarien mir vorgestellt. Welchen Fehler habe ich wo begangen? Und wenn man dann entdeckt, dass man es mit solchen Leute zu hat. Vor zwei Monaten hatte ich das Gefühl, dass mich jemand vom Auto aus beobachtet. Aber dieses Gefühl, man weiß nicht, mit wem man es zu tun hat. Man muss selber ein Ausländer sein, um so etwas zu verstehen.

Adnan-Menderes Erdal (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße): Oktoberfest?
A: Na, da habe ich gelesen, dass dort wahrscheinlich auch Rechtsradikale am Werk waren.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter mit der Zeugin Mashid M. (Schwester des Opfers), RA Clemm, Anwältin der Familie M., setzt sich neben sie.
27 Jahre, Studentin der Ingenieurswissenschaften.

M: Wir sind, glaube ich, morgens um sechs, halb sieben von zuhause los, erst zum zweiten Laden, dem Kiosk, und dann in die Probsteigasse. Mein Bruder ist von dort direkt in die Schule. Wir sind durch den Hintereingang in den Laden. Meine Mutter hat die Käse- und Wursttheke vorbereitet. Meine Schwester befand sich im hinteren Raum. Ich zunächst auch. Bin dann nach vorne, weil da ein Spiegel war. Plötzlich ein lauter Knall. Feuerfunken und Rauch kamen aus dem Hinterzimmer. Die Tür der Kühltheke für Getränke wurde abgerissen. Waren uns nicht bewusst, was passiert ist, haben fünf Sekunden weiter gemacht. Dann kamen die Schreie meiner Schwester. Meine Mutter ist hin, kam zitternd voller Blut zurück, hat gesagt: "Ruf einen Krankenwagen." Ich bin dann raus, habe gerufen, erst hat aber keiner reagiert. Wurde direkt von der Polizei wie eine Kriminelle mitgenommen und vernommen. Ob wir mit Gas kochen? Habe beschrieben, wie es gewesen ist, aber ich stand natürlich unter Schock. Stunden später wurde ich dann ins Krankenhaus gefahren. und zunächst konnten wir nicht zu meiner Schwester. Meine Mutter wollte zuerst mit mir rein. Ich hab mich nicht getraut. Man hatte uns gesagt, dass sie sehr schlimm aussieht. Ich konnte einfach nicht. Als meine Mutter sie gesehen hatte, ist sie zusammengebrochen, hat geweint.
Polizei hat gesagt, ob wir Feinde hier haben, ob wir eine politische Richtung eingeschlagen, die uns aus unserem eigenen Land gefährlich werden könnte. Ja. Das zu diesem Tag.

Götzl: Dose?
M: Die Dose kam mit einem Mann rein, der zur Weihnachtszeit, nochmal zur Wiederholung: Weihnachten ist der 24.12, reinkam. War gegen sechs. War mit meinem Vater alleine drin. Mann kam rein mit Geschenkkorb, ging durch den Laden, packte einige Sachen rein, ging dann zur Kasse. Ich war zunächst hinten, kam dann nach vorne, um nach Ablaufdatum von Milchprodukten zu schauen. Kam dann zur Kasse. Der Mann legte seine Sachen auf die Kasse. Mein Vater tippte ein. Der Mann griff in die Tasche, Portemonnaie nicht dabei. Er bestand darauf, dass die Sachen im Laden blieben. Er würde doch gleich wiederkommen.
Der Mann ist dann raus. Er ist nach rechts raus in etwas schnellerem Gang. Haben Korb erstmal an Kasse gelassen. Irgendwann stand er dann bei uns hinten. Dann kamen auch die Weihnachtsferien. Ich wollte die Dose auch selber mal öffnen. Sie war rot mit goldenen Sternen. Hab sie nur leicht ziehen wollen, aber dann habe ich gesagt: Nein, das kannst du nicht machen. Habe es dann auch nicht gemacht. Ja. Das zu der Dose.

Götzl: Mann beschreiben?
M: Ja. Bin 2012 zur Kripo für Hypnose. War Mitteltrance. Ist nicht so, dass man klare Dinge sehen kann. Mann war circa 1.80 groß, um die 30, Normalgewicht, mittellange Haare blond, glatt bis gewellt, gingen über die Ohren bis kurz vorm Kinn. Weiß, blass, könnte deutsch sein. Augenfarbe hell. Markantes, knochiges Gesicht. Keine besonderen Merkmale im Gesicht. Kleidung bin ich mir nicht mehr sicher. Der Mann sprach hochdeutsch. Was sarkastisch ist: Er war sehr nett. Er ging wohl davon aus, dass ich vielleicht auch die Dose aufmachen will. Ein Gewissen wird sicher nicht vorhanden sein.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Götzl: Deutsch-Polnisch?
M: Na aufgrund der Haarfarbe: aschblond. Hautfarbe: Helle Hautfarbe. Kein polnischer Akzent. Keiner aus dem Osten.

(Tim Aßmann, BR)
M: Ich glaube, zur Vernehmung habe ich erstmal gesagt, dass ich den Mann nicht gesehen hab. Warum, kann ich nicht erklären. Wahrscheinlich weil ich unter Schock stand. Als das erste Phantombild entstanden ist, haben wir das gesehen und gelacht, weil er einem Kunden ähnelte und ich habe gesagt: Das kann doch gar nicht sein. Habe nicht gesagt, dass ich den Mann auch gesehen habe. Vielleicht weil ich nie gefragt worden bin. Als das Bekennervideo kam, saßen wir im Wohnzimmer und ich weiß nicht, ob ich da oder später bei der Vernehmung in Köln gesagt habe: "Ja, ich war doch auch dabei."
M: Ziel der Hypnose war Erinnerungen aufzufrischen. Idee kam von der Polizei. Für die Hypnose reiste dann eine Psychologin aus Nürnberg an. Beschreibung war dann ähnlich wie schon vor der Hypnose. In den Augen war doch irgendwie ein spezieller Blick (gemeint ist der Mann). Hatte mir von der Hypnose mehr erhofft. Ich hätte mir gewünscht, dass ich den Mann noch besser erkennen kann.

Götzl: "Wie eine Kriminelle mitgenommen." - Wie meinen Sie das?
M: Bin ohne ein Wort mitgenommen worden, saß hinten, war durch Gitter abgetrennt. Polizisten waren nicht wirklich nett. War alles sehr unpersönlich. Hatte dort keine psychologische Betreuung. (Sie war 14.) Man hätte auch informieren können gegebenenfalls: Deine Schwester ist außer Lebensgefahr. Aber das passierte alles nicht.
G: Was sagen Sie zu der Dose, die wir hier hatten?
M: Ähnlich, aber von der Größe her würde ich sie kleiner schätzen. Nicht viel, aber definitiv kleiner.
G: Wann war Ihnen denn klar, dass Sie den Mann gesehen hatten?
M: Relativ zügig als sich die Situation beruhigt hatte. Nicht gleich, aber in den nächsten Tagen. Habe meinem Vater gesagt, dass der Mann auf dem ersten Phantombild vom 19.2. nicht der gesuchte Mann ist.
M: Für mich war eigentlich klar, dass jeder weiß, dass ich da war. Wurde mir erst klar, als meine Mutter sagte: "Du warst da?"
Konkret: "Mama, Papa, Polizei. Ich habe den Mann gesehen. Ich war dabei." Nein das hab ich nicht gesagt, weil ich nicht gefragt wurde. Das Thema war abgehakt. Ich habe es nicht als wichtig gesehen.

Pause bis 16 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 16.05 Uhr mit Mashid M., die nun vorne am Richtertisch steht.
Sie schaut sich nun das zweite Phantombild an. Findet es ähnlich, aber nicht ganz treffend. Nun Vergleich mit dem anderen Phantombild. Das treffe es relativ, sagt die Zeugin, aber bei den Augen fehle noch was. Das Gesicht könnte noch etwas markanter wirken.
Götzl: Sind Ihnen eigentlich Lichtbilder vorgelegt worden?
M: Ja. 2012. Bin gefragt worden, ob beide Männer nicht doch in Frage kommen könnten (beide Uwes). Würde eigentlich ausschließen, aber ganz sicher bin ich mir nicht.
Es gibt keine Merkmale, die ich mit hundertprozentiger Sicherheit beschreiben könnte. Was bleibt, ist ein Gesamtbild. Beschreibung des Gesichtes? Ob‘s jetzt grüne Augen waren oder graugrüne? Solche Details kann ich Ihnen nicht mehr sagen.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
Fortsetzung 16.03 Uhr.
M. vorne bei Götzl.
M: Das ist das Phantombild, das auf meine Anweisungen hin gezeichnet wurde.
G: Lichtbildvorlagen?
M: Es gab Ähnlichkeiten, ich konnte aber niemanden identifizieren. Es gab eine Person, die mir in der Erinnerung ist, doch sehr ähnlich gesehen hat. Merkmale waren natürlich da: Primär waren natürlich bei einem Phantombild die Merkmale sehr deutlich.
G: Presseveröffentlichungen?
M: Das hat nicht so übereingestimmt.
G: Einzelne Lichtbild-Vorlagen. Vorweg: Wie lange hat sich das hingezogen?
M: Ich weiß nicht, ob sich das über mehrere Tage hingezogen hat. Ich habe welche gezeigt bekommen, dann wieder. Das weiß ich nicht mehr genau. Aber, es waren relativ viele Bilder.
G: 13.1.2012.

M. geht nach vorne. Blättert recht schnell durch die Phantombildsammlung.

M: Nr. 14. Da habe ich gesagt, dass das meinen Erinnerungen an den Mann am ehesten entspricht.

Blättert erneut alle durch.

M: Die Nr. 5 würde rein theoretisch auch passen. Das kommt aber vielleicht auch, weil sich dieser Mann auch hier im Raum befindet (Holger G.!!!). Ich kann ihn jedenfalls nicht eindeutig identifizieren. Auffällig ist, dass die meisten hier einen Bart tragen. Der war ja nicht von mir angegeben. Allgemein sind die Bilder recht schlecht erkennbar. Von der Qualität der Bilder sehe ich nicht so viel.

Blättert Lichtbilder durch.

M. (zu Bild 6, Holger G.): Von der Körpergroße, von der Körperform würde das sehr nahe kommen. Zum Gesicht, das habe ich ja vorhin schon gesagt, würde das passen, aber ich kann ihn nicht identifizieren. Mundlos: Würde auch passen. Es gibt ja mehrere Bilder von ihm. Und irgendwie sieht er immer anders aus. André E.: Nein, das ist der nicht.

(Mira-Catherine Barthelmann, BR)
M. (zu Bild von Uwe Böhnhardt): Ja, wenn der längere Haare hätte, dann würde das von den anderen Merkmalen her schon passen.

RA Wolfgang Stahl (Verteidigung Zschäpe): Heute noch eine konkrete Erinnerung?
M: Habe ich nicht. Kann ich nach 13 Jahren nicht haben. Ich habe eine leichte Erinnerung.
S: Situation mit der Psychologin. Konnten Sie sich da hineinversetzen?
M: Ja.
S: Konnten Sie denn von hinten den Mann sehen, wie er reinkommt?
M: Dass ein Mensch reinkommt in diesen Laden. Spätestens, wenn man da steht. Ja, das konnte ich. Von dort aus ist es definitiv sichtbar, wer reinkommt oder auch nicht.
S: Sie haben relativ frühzeitig anwaltschaftliche Beratung gehabt. Wann war das?
M: 2012.
S: Hatten Sie Akteneinsicht?
M: Nein.

Sachverständiger Dr. Oliver P., Institut für Rechtsmedizin München (wie 03./04.06.): Druckwelle gespürt?
M: Ich habe zum einen die Druckwelle gespürt. Dass das Käsemesser über den Kopf weggeflogen ist. Dass von der Theke die Tür abgerissen wurde. An meinem Körper habe ich die Druckwelle nicht wahrnehmen können.
M: Ich habe keine physischen Verletzungen erfahren, kein Pfeifen. Nein.
P: Wie groß war das Messer?
M: Ja, die Klinge mehr als 40 Zentimeter. Die Klinge relativ scharf.

Erklärung RA Stahl: zur Vernehmung zum Zeugen.
Der Generalbundesanwalt wirft vor, gemeinschaftlich handelnd durch Sprengstoff, Heimtücke und aus niedrigen Beweggründen.
Zum einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt platzierte entweder Uwe B. oder Uwe M. die Dose.
Die Anklage ist insoweit unmissverständlich.
Die Vernehmung von M. hat ergeben, dass es sich um einen schlanken Mann mit gewellten langen Haaren handelt.
An diesen Mann hat M. bis heute noch Erinnerung. Keinerlei Ähnlichkeit mit Uwe M. oder Uwe B. Sogar die verfremdeten Lichtbilder hat er als Täter ausgeschlossen. (Nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht.)
Es handelt sich nicht um Uwe B. oder um Uwe M.
Auch die Angaben von Frau M. sind nicht belastbar. Angaben sind im Rahmen von "false memories" zu sehen.
Es ist hier nicht nur nicht bewiesen, dass es sich nicht um die Uwes handelt. Sondern es ist belegt.
Die Ersteller der DVD sind nicht zwingend die Täter. Es kann sich auch um Trittbrettfahrer handeln.

Erklärung RA Lunnebach:
Was mich wirklich umtreibt: Die Bekenner-DVD. "Frau M. weiß jetzt, wie wichtig uns die Erhaltung der deutschen Nation ist." Das jetzt als Werk von Trittbrettfahrern zu bezeichnen, das wird der Senat sicher anders bewerten.

Schluss für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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