NSU-Prozess


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103. Verhandlungstag, 8.4.2014 "Du bist für immer mein kleiner Skinhead"

Einen ganzen Tag hat das Münchner Oberlandesgericht für die Vernehmung von Anja S. angesetzt. Eine solche Terminplanung legt nahe: eine besonders wichtige Zeugin. Doch diese Erwartung erfüllt sich nicht. Die frühere Freundin des Angeklagten André E. berichtet kaum etwas, was wirklich prozessrelevant ist. Uninteressant ist die Aussage dennoch nicht.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 08.04.2014 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

08 April

Dienstag, 08. April 2014

André E. war bislang im Verfahren nicht viel mehr als eine Randfigur. Obwohl er laut Anklage die "engste Bezugsperson" des untergetauchten NSU-Trios war. Und das bis in den November 2011. Doch über diesen langen Zeitraum kann die Zeugin des heutigen Verhandlungstages nichts berichten. Anja S. lernte André E. 1997 im Alter von 15 Jahren kennen, war dann bis Anfang 1999 seine Freundin. Und zeitweise ziemlich verliebt, wie Kalender-Eintragungen aus der damaligen Zeit belegen. "Ich liebe dich", hat sie auf manche Blätter geschrieben, und "Du bist für immer mein kleiner Skinhead".

Liebesschwüre eines jungen Mädchens. Die heute 33 Jahre alte Studentin kann sich an vieles nicht erinnern. Doch im Gegensatz zu manch anderen Zeugen, die in diesem Prozess ebenfalls Erinnerungslücken geltend gemacht haben, wirkt sie glaubhaft.

"Finden Sie mal im Erzgebirge jemand, der nicht rechts ist"

Seit 2005 lebt Anja S. in England. Hat sich weit von dem entfernt, was damals in Thüringen ihrer Aussage nach normal war. Auch sie habe damals eine "rechte Gesinnung" gehabt. Was sie auch auf ihren "politisch extremen" Vater zurückführt, aber nicht nur: "Ausländer nehmen uns die Jobs weg" und "Ausländer können sich nicht benehmen, wenn sie zu uns kommen", seien gängige Thesen gewesen. "Finden Sie mal im Erzgebirge jemand, der nicht rechts ist, das ist dort geradezu endemisch", schildert sie die Situation zu dieser Zeit.

Ihren damaligen Freund André E., der wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung auf der Anklagebank sitzt, beschreibt sie als "unheimlich lieb". In ihrer Gegenwart sei er nie gewalttätig gewesen. Seine rechte Gesinnung habe in ihrer Beziehung keine besondere Rolle gespielt.

Rauchen mit dem Terror-Trio

Anja S. berichtet über die Teilnahme an einer rechten Erster-Mai-Demo und den Besuch eines Skinhead-Konzertes, wo sie sich nicht wohl gefühlt habe. Und wie sie die Beziehung zu André E. schließlich aus eigenen Stücken beendet habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie an ihrer Lehrstelle in einem Hotel Leute kennengelernt, deren Ansichten nicht "so extrem" waren.

Auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos (an dessen Nachnamen sich die Zeugin nicht erinnern kann) und Uwe Böhnhardt ist sie begegnet. 1998, als die schon untergetaucht waren. In einer konspirativen Wohnung in Chemnitz, dem ersten Versteck des Trios. Ein paar Mal habe sie es zusammen mit ihrem Freund André besucht. Sie wusste, dass die drei sich verstecken mussten - warum genau, da habe sie nicht nachgefragt. "Ich war 16, gegen die war ich ein Kind." Man habe Kaffee getrunken, geraucht und sich unterhalten. An politische Aussagen kann sich die Zeugin nicht erinnern, auch nicht daran, wie genau das Verhältnis der drei Untergetauchten zueinander war.

NSU vernetzt - Ermittler kamen ihm trotzdem nicht auf die Spur

Richter Manfred Götzl beendet den Prozesstag vorzeitig, nur eine Stunde nach der Mittagspause. Alles in allem eine Aussage, die wenig prozessrelevant erscheint, aber einen guten Eindruck vermittelt hat, wie sehr rechtsextreme Gesinnung Ende der 1990er-Jahre in Chemnitz und Umgebung an der Tagesordnung war. Und wieder mal eine Frage in den Vordergrund rückt: Wie kann es eigentlich sein, dass Polizei und Verfassungsschutz dem untergetauchten Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nicht auf die Spur kamen, obwohl die drei zu diesem Zeitpunkt mit vielen Personen Kontakt hatten?


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