NSU-Prozess


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77. Verhandlungstag, 22.1.2014 Von Schusskanälen und fliegenden Spuren

Wahrscheinliche Schussposition, Flugrichtung von Blutstropfen - die Rekonstruktion eines Mordes kann sehr technizistisch ablaufen, wie im NSU-Prozess die Zeugenaussage eines Gerichtsmediziners zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter ergab.

Von: Eckhart Querner

Stand: 22.01.2014 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

22 Januar

Mittwoch, 22. Januar 2014

Über 5.000 Spuren haben die Ermittler verfolgt - 5.000 Spuren bei einem einzigen der zehn Morde, die dem NSU zur Last gelegt werden. Am 77. Verhandlungstag geht es um den so genannten Tatkomplex Kiesewetter: der kaltblütige Mord an der 22-jährigen Polizisten Michèle Kiesewetter, erschossen am 25. April 2007 in Heilbronn von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Richter Manfred Götzl befragt sieben Zeugen: einen Tatortzeugen, vier Polizisten, einen Physiker und einen Rechtsmediziner. Dem Vorsitzenden Richter geht es um die Auffindesituation am Tatort, um den Verlauf des Polizeieinsatzes, um die nicht nachweisbare Behauptung, die Polizistin habe Verbindungen in die rechte Szene gehabt. Anhaltspunkte dafür, erklärt ein Zeuge, Beamter des Bundeskriminalamts, hätten sich nicht ergeben.

Rekonstruktion des Anschlags

Und es geht um die beiden Mörder, um die wahrscheinlichsten Schusspositionen, um Schusskanäle, Blutstropfen und fliegende Spuren. Prof. Heinz-Dieter Wehner sitzt im Zeugenstand, er ist Rechtsmediziner und Physiker und wird als Sachverständiger des Instituts für Gerichtliche Medizin Tübingen befragt. Wehner, der den Tathergang anhand verschiedener Daten versucht hat zu rekonstruieren, ist ein Experte. Mit vielen Fachbegriffen im Gepäck. Die sind oft gewöhnungsbedürftig.

Welche Schussposition wäre "bequem", fragt Wehner und stellt zahlreiche Berechnungen vor: verschiedene Körpergrößen der beiden Täter, der Abstand ihrer Waffen zur Polizistin Kiesewetter und ihrem Kollegen Arnold, der schwerstverletzt überlebte. Es geht um ihre Positionen im Polizeiwagen, Mordvarianten bei offenen und geschlossenen Türen. Ergebnis: Genaues lässt sich nicht herausfinden.

"Aus einem Kügelchen wird ein fleckförmiges Gebilde"

Dann geht es um "fliegende Spuren", den Versuch also, die Flugrichtung eines Bluttropfens nachzuweisen. Der Tübinger Professor sagt Sätze wie diesen: "Aus einem Kügelchen wird bei Aufprall ein fleckförmiges Gebilde." Oder: "Die Hand war in der Nähe einer spritzenden Quelle." Alles sehr technisch, wenig erhellend, kalt.

Dann die Frage von Oberstaatsanwalt Weingarten, Vertreter der Bundesanwaltschaft. Er will Näheres zur Position des Täters wissen, der auf den Polizisten Arnold schoss: "Ist die Annahme richtig, dass auch mit links geschossen worden sein kann, ohne dass der Körper im Schussfeld Kiesewetter gewesen ist?" Hintergrund: Auf Arnold hat vermutlich Uwe Böhnhardt geschossen, der Linkshänder war.

Rechtsmediziner Wehner hat in seinen umfangreichen Untersuchungen aber nur rechtshändige Täter berücksichtigt, doch er antwortet: den Schuss habe auch ein Linkshänder abgeben können. Insgesamt viele vage Angaben, das muss auch der Tübinger Rechtsmediziner einräumen.


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