NSU-Prozess


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74. Verhandlungstag, 15.1.2014 "Hier bestand akute Lebensgefahr"

Ein Brandgutachter schilderte minutiös den Ablauf der Explosion im Zwickauer Haus, für die Beate Zschäpe verantwortlich sein soll. Laut dem Experten bestand akute Lebensgefahr für Bewohner und sogar Passanten. Sein Gutachten könnte mitentscheidend für das Urteil sein.

Von: Oliver Bendixen

Stand: 15.01.2014 | Archiv

Oliver Bendixen | Bild: Bayerischer Rundfunk

15 Januar

Mittwoch, 15. Januar 2014

Davon lass ich mir die Laune doch nicht verderben! Selbst erfahrene Gerichtsreporter waren einigermaßen erschrocken, mit welcher Fröhlichkeit die Hauptangeklage im NSU-Prozeß am Ende des 74. Verhandlungstages mit ihren Verteidigern zu scherzen bereit war. Denn das Gutachten, das am Vormittag einer der profiliertesten Brandgutachter vorgetragen hatte, könnte am Ende die Basis für eine lebenslange Haft für Beate Zschäpe bilden.

Zerstörtes Haus in Zwickau

Eineinhalb Stunden lang ging es weder um die NSU-Morde an zehn Menschen noch um den Bombenschlag in Köln oder die Banküberfälle in den Neuen Bundesländern. Der Physiker beschäftigte sich ausschließlich mit der letzten Straftat der Anklageschrift: der Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstraße. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Zschäpe dort im November 2011 die Wohnung angezündet hat, die dem NSU jahrelang als Unterschlupf gedient hatte - wenige Stunden nach dem Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Traumatisierte Seniorin

Und daran, dass es sich um Brandstiftung handelte, ließ der Gutachter nun wirklich keinen Zweifel. Mit Fotos und Zeichnungen belegte er, wie in der Wohnung vermutlich mehr als zehn Liter Benzin ausgeschüttet und dann von der Wohnungstür aus angezündet worden waren. Die Wirkung war gewaltig: durch die Wucht der Detonation wurden die Fensterscheiben zetrümmert, Wände herausgedrückt und Teile des Dachstuhles angehoben. Mauerstücke flogen bis auf den Gehweg und in den Wänden des Hauses bildeten sich Risse. Am Ende war das Gebäude so einsturzgefährdet, dass es abgerissen werden musste.

Klar, präzise und auch für Laien verständlich schilderte der Experten den Ablauf des Geschehens - und genau so eindeutig war auch seine Schlussfolgerung: "Ja - hier bestand akute Lebensgefahr - für Straßenpassanten, für die beiden Handwerker, die sich kurz zuvor noch in dem Haus aufgehalten hatten - vor allem aber für eine 89-jährige Rentnerin." Die betagte Nachbarin lebte in einer Wohnung direkt neben dem zerstörten NSU-Unterschlupf. Die Seniorin, die von Nachbarn aus dem Haus gerettet wurde, hätte - so der LKA-Fachmann von den Trümmern der beschädigten Zwischenwand erschlagen werden oder an dem durch die Risse dringenn Qualm ersticken können. Schwer traumatisiert überlebte die Rentnerin, die inzwischen in einem Pflegeheim untergebracht werden musste.

Zschäpes verblüffende Fröhlichkeit

Angeklagt wurde dies von der Bundesanwaltschaft als versuchter Mord. Und nach dem Gutachten des Brandsachverständigen diskutierten die Journalisten auf dem Gang vor dem Sitzungssaal 101 noch lange, ob Beate Zschäpe nicht schon wegen dieser Tat - so man sie ihr nachweisen kann - eine lebenslange Haftstrafe droht. Ihre zur Schau getragene Fröhlichkeit verblüffte dann doch viele der Zuhörer.

Ob sie auch morgen dabei bleibt, ist fraglich. Am Mittag tritt der Polizist  Martin Arnold in den Zeugenstand. Ihn schosen die NSU-Terroristen in den Kopf, als sie am 25. April 2007 in Heilbronn seine Streifenkollegin Michéle Kiesewetter ermordeten. Ein Mord und ein versuchter Mord an zwei Repräsentanten des Staates, wie ihn der NSU ihn in dem später gefundenen Paulchen-Panther-Video angekündigt hatte.


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