NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter 57. Verhandlungstag

Am 57. Verhandlungstag musste die Mutter von Uwe Böhnhardt vor Gericht aussagen. Ihr zufolge tragen auch die Ermittler Schuld am Tod ihres Sohnes. Beate Zschäpe verfolgte die Aussage von Brigitte Böhnhardt sichtlich angespannt.

Von: Tim Aßmann

Stand: 19.11.2013 | Archiv

Tim Aßmann | Bild: BR

19 November

Dienstag, 19. November 2013

"Stellt Euch, stellt Euch". So flehte Brigitte Böhnhardt vor rund 15 Jahren ihren im Untergrund lebenden Sohn Uwe an. Auch jetzt noch im Gerichtssaal ist zu erahnen, wie verzweifelt die Frau damals gewesen sein muss. Das Schicksal dieser Zeugin muss tief betroffen machen. Der Sohn nicht nur tot, nein auch noch ein Terrorist, ein mutmaßlicher zehnfacher Mörder. Das alles muss man sich wohl klar machen, wenn man versucht Brigitte Böhnhardts Aussage im NSU-Prozess zu bewerten.

Vorwürfe gegen die Ermittler

Die 65-Jährige schilderte zunächst wie die schulischen Leistungen von Uwe, ihrem dritten Sohn, absackten, wie er an falsche Freunde geriet, erste kleinere Straftaten beging und schließlich auch die ersten Hafterfahrungen machte. Hilflos musste diese Mutter zusehen, wie ihr der Sohn entglitt. Eine Mitschuld gibt sie nun auch Schulen und Ämtern, von denen sie sich im Stich gelassen fühlte. Schuldig haben sich aus ihrer Sicht auch die thüringischen Ermittler gemacht. Sie schoben ihrem Uwe belastende Beweise unter. Davon ist Brigitte Böhnhardt überzeugt. Aber überzeugen konnte sie davon im Gerichtssaal wohl keinen der Prozessbeteiligten. Zu abwegig, zu unwahrscheinlich erscheinen solche Aussagen, die wohl eher Verschwörungstheorien sind.

Wollten die Behörden das Trio erschießen?

Die Ermittler hätten außerdem gedroht die drei untergetauchten Neonazis zu erschießen, falls sie sich einer Festnahme wiedersetzen würden, sagte Brigitte Böhnhardt nun vor Gericht. Ihre Versuche das Terrortrio zur Aufgabe zu bewegen, ihren Sohn, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe dazu zu bringen, sich zu stellen, scheiterten. Wer ist schuld? Die Sicherheitsbehörden, sagt Brigitte Böhnhardt. Denn die hätten ihr Angebot, das Strafmaß zu mindern, wenn die drei Untergetauchten sich stellen, zurückgezogen.

Zschäpe löst Kreuzworträtsel

Nachdem das Trio 1998 abtauchte, weil die Polizei es wegen des Baus von Rohrbomben suchte, telefonierte Brigitte Böhnhardt mehrfach mit ihrem Sohn. Gemeinsam mit ihrem Mann traf sie die drei Neonazis auch dreimal – zuletzt 2002. Sie wollten weggehen, hätten die drei damals gesagt, erzählte die Zeugin dem Gericht. Das Ehepaar Böhnhardt glaubte das damals und war erleichtert. Nach Auffassung der Ermittler mordete der NSU danach noch sechsmal. Die Aussage von Brigitte Böhnhardt wird morgen fortgesetzt. Wichtige Frage dann: Was kann sie über die Rolle von Beate Zschäpe in der Gruppe sagen? Die Hauptangeklagte verhielt sich heute widersprüchlich. Mit Brigitte Böhnhardt kam erstmals eine Zeugin, die Zschäpe wirklich gut kannte, in deren Haus sie ein- und ausging. Angespannt wirkte Zschäpe während der Aussage, doch kaum war Pause, widmete sie sich wieder einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Kreuzworträtsel.


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