NSU-Prozess


4

NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 57. Verhandlungstag, 19.11.2013

An diesem Prozesstag ist Brigitte Böhnhardt die einzige Zeugin, die Mutter Uwe Böhnhardts, eines der drei mutmaßlichen NSU-Mitglieder, neben Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. In ihrer Aussage schildert sie den Werdegang ihres Sohnes, seine Probleme in der Schule, die Ausbildungszeit, wie er anschließend arbeitslos war und in die rechte Szene abrutschte.

Von: Holger Schmidt, Gunnar Breske, Tim Aßmann, Matthias Reiche und Frank Bräutigam

Stand: 28.04.2014 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Brigitte Böhnhardt berichtet weiter über das Untertauchen des NSU-Trios und über drei persönliche, konspirativ organisierte Treffen bis 2002. Die Mutter gibt den Behörden eine Mitschuld am Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt: Das Trio hätte sich freiwillig gestellt, wenn eine geringere Strafe in Aussicht gestellt worden wäre.

Zeugin

  • Brigitte Böhnhardt, Mutter von Uwe Böhnhardt

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Holger Schmidt, SWR)
10.20 Uhr. Böhnhardt, Brigitte, 65, Lehrerin.
Richter Götzl: Es geht uns um Ihren Sohn Uwe, sein Verhältnis zu den Angeklagten, zum anderen Uwe, zu seiner Entwicklung, zu den Kontakten zu Ihnen nach 1998. Dass Sie berichten, über Ihren Sohn berichten.
B.: Was möchten Sie denn hören?
G.: Wir haben auch Zeit.
B.: Ok, wir haben Zeit.
G.: Gehen Sie bitte näher an das Mikrofon, damit wir Sie besser hören können.
B.: Na gut, ich werde das lernen. Uwe war unser dritter Sohn, ein Nachzügler, ein Wunschkind, ein aufgewecktes Kerlchen, geliebt von allen, wir haben uns intensiv um ihn gekümmert, die Großen waren selbstständig. Er hatte Probleme mit dem Lernen, wir mussten viel mit ihm üben. Leichte Probleme gab es in der fünften Klasse, als der Fachunterricht dazu kam, Russisch. Sprachen lagen ihm nicht, mit den fachlichen Schwierigkeiten kamen disziplinarische Schwierigkeiten, er musste die sechste Klasse wiederholen. Dann hat sich sein Verhalten stark verbessert: Betragen: 2 und Fleiß: 2, wir waren richtig stolz, dass er das so gepackt hatte. Das war im Schuljahr 1990/91.

Dann kam das Schuljahr 1991/92 und der große Einbruch. Im Osten Deutschlands wurde die Schulreform durchgeführt, ohne große Vorbereitung und ohne Rückhalt in der Bevölkerung. Die Guten ins Gymnasium, die Schlechten in die Regelschule. Es gab sehr frustrierte Kinder, sehr frustrierte Eltern und sehr frustrierte Lehrer. Alle wollten ins Gymnasium. Und wenn die Lehrer keinen richtigen Willen haben, dann merken das die Schüler. Uwe erlebte einen Einbruch. Keine Freunde mehr, mitten in der Pubertät. Fing an zu bummeln (gemeint ist: Schule schwänzen), erst Stunden, dann tageweise. Wir haben davon nichts erfahren, erst in den Herbstferien, als ich einen Schulkameraden traf und ihn ausfragte, habe ich davon erfahren. Ich bin selbst Lehrerin, ich weiß, dass es die verdammte Pflicht der Lehrer ist, die Eltern zu informieren.

Da begannen die massiven Probleme von Uwe. Er war in der siebten Klasse zum Teil zwei Jahre älter und einen Kopf größer als seine Mitschüler. Es begannen erste Diebstähle. Schulschwänzer, Lehrlinge, die abgebrochen hatten, in dieser Gruppe fühlte er sich stark und anerkannt. Die Schule war froh, ihn los zu werden, wir fühlten uns sehr alleingelassen. Auch in Winzerla und in Lobeda, keine Schule war bereit, ihn aufzunehmen. Ich habe nach einem Internat oder einer geschlossenen Schule gefragt: Keine Möglichkeit. Ich habe mich mit meinem Mann beraten, auch mit Uwe beraten. Er hatte immer wieder Momente, in denen er das auch wollte. In denen er da raus wollte. Haben ihn ins Kinderheim gebracht, cirka 50 Kilometer entfernt, wurde zur Schule gebracht und bummelte dann trotzdem gleich wieder. Wir hatten ihn wieder zu Hause, keine Schule wollte ihn. Zweites Halbjahr verlief mit Kampf und Tränen und nichts ist draus geworden. In den Sommerferien habe ich ihn in der Hilfsschule / Förderschule angemeldet, weil er zwei Jahre aus der Schule raus war. Ab September 1992 ging er in diese Förderschule. Anfangs regelmäßig, später wurde wieder gebummelt, es war ein Sammelbecken von Problemfällen. Im Dezember haben sie über das Wochenende da eingebrochen.

(Gunnar Breske, MDR)
Beginn: 9.49 Uhr.
Böhnhardt: Es wurde in der Schule eingebrochen, da ist er dann auch von der Schule geflogen. (Frau B. vermeidet zu sagen, dass er, Uwe B., eingebrochen hatte). Wieder Kampf, wieder Suche, wieder Besuche beim Schulamt und Jugendamt. Februar 1993 wurde er in U-Haft genommen, Diebstahl, Fahren ohne Führerschein, Widerstand gegen Beamte - es war die schlimmste Zeit. Wir waren am Ende mit unseren Nerven - wir wussten nicht mehr weiter. Wir waren auch der Meinung, dass er es verdient hat - aber dass es gleich eine Haft in einem Gefängnis für Erwachsene war, war furchtbar. Wir besuchten ihn jede Woche - wir merkten, dass aus unserem großschnäuzigen Uwe unser kleiner Junge wurde. Er heulte vor unserem Besuch und danach. Wir dachten, jetzt hat er es geschafft.

Er kam dann wieder raus, ich ging zum Schulamt. Schule in Winzerla hat ihn dann aufgenommen. Man konnte sagen, er hat seine Schulpflicht erfüllt. Noten bekam er nicht. Ging noch 6 Wochen dahin. Dort traf er, das ist meine Meinung, Jugendliche aus Winzerla, er lief dann immer nah am Jugendclub "Hugo" vorbei (Treffpunkt Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt). Wir hatten das Gefühl, es wird jetzt besser. Er bekam einen Platz in einer Orientierungsschule BVJ (Berufsvorbereitendes Jahr). Kam dann wieder in U-Haft, hat ihn bedrückt und uns auch. Wir haben zu ihm gehalten. Kam wieder raus und ging zurück zu BVJ. Entschied sich zu Baugewerbe. Hatte dann nur wenige Fehlstunden - für ihn eine tolle Leistung. Wenn Kinder glücklich, dann auch Eltern glücklich. Hat es vielleicht auch nur für uns gemacht, das war uns aber egal, Hauptsache er geht hin.

Haben uns dann um eine Lehrstelle bemüht - Baugewerbe - Hochbau. War ein ordentlicher Beruf - einer muss die Häuser der Schönen und Reichen ja bauen - das war 1994. Hat Lehre mit „gut“ abgeschlossen. Wir haben ihm ein Auto gekauft, damit er flexibel bleibt. Eine Vereinbarung, dass er uns das zurückzahlt - oder auch nicht. Hatte nur kurz Arbeit, dann dreiviertel Jahr nicht, dann wieder Arbeit. Dann wieder arbeitslos. Sind auf Drückerkolonne reingefallen, da waren wir sehr wütend. Was macht man mit einem jungen Erwachsenen, der ein Auto hat, flexibel ist, aber keine Arbeit hat? Durfte dann seine Freunde mitbringen - alles sehr freundliche höfliche Leute.

(Tim Aßmann, BR)
10.25 Uhr.
Wir mochten seine Freunde, mochten Mundlos, Wohlleben und wir mochten auch die Beate Zschäpe, waren alles höfliche, freundliche, junge Leute und alle arbeitslos. (Zschäpe schaut teilnahmslos gerade aus).
Sind jetzt im Jahre 1997.
Richter Götzl: Wann war Drückerkolonne? 1997?
Brigitte Böhnhardt: Könnte sein.
B.: Lange, lange arbeitslos, glauben Sie mir, ich hab ihn getrieben, bin immer mit zum Arbeitsamt.

(Gunnar Breske, MDR)
10.56 Uhr.
Böhnhardt: 1997 war Reko (Renovierung) im Wohnblock - wir wohnten bei unserem älteren Sohn. Uwe hatte Gott sei Dank die Beate, er wohnte da bei ihr - ich bin ihr heut‘ noch dankbar, er hat uns geholfen. Er hat Baumaterial gekauft, das lagerte dann in unserer Garage. Hätte uns da einer gefragt, dann hätten wir sagen können, dass das die Reste des Umbaus der Küche waren. Dann stand die nächste Anklage vor der Tür. Wir wussten nicht, zu welchen Demos er überall hin gefahren sein soll. Ich weiß nicht, wer das bezahlt haben soll - er bekam ja nur wenig Arbeitslosenhilfe. Hinterher habe ich erfahren, dass hat Tino Brandt bezahlt und der Verfassungsschutz. Nächste Anklage Ende 1997. Wir wollten ihm beistehen. Dann kam diese unsägliche Garagendurchsuchung. Ich habe schon in Erfurt im Untersuchungs-Ausschuss ausgesagt. Da bin ich erstmals mit dem Polizeiprotokoll konfrontiert worden, da musste ich erfahren, dass niemand ein Polizeiprotokoll kontrolliert.

B.: Gegen sieben Uhr klopfte die Polizei. Ich ahnte wer es war. Ich fragte durch die Tür, wer es ist - die Polizei. Zeigten mir einen Durchsuchungsbefehl. Sind kurz in der Wohnung rumgelaufen. Polizisten allein - Uwe im Bad, ich im Schlafzimmer. Die haben Dinge gefunden, die früher gar nicht da waren. Früher war Polizei zweimal in der Wohnung, ohne unser Wissen, da haben sie vielleicht die Dinge versteckt, die sie später bei der richtigen Durchsuchung fanden.

Dann gingen sie runter zur Garage, Uwe hat unser Auto aus der Garage gefahren - Uwes Auto stand nie in der Garage. Ich habe zu Uwe laut und deutlich gesagt, pass auf, dass sie etwas finden, was vorher nicht da war. Ich hatte kein Vertrauen zur Polizei. Ich musste dann zum Dienst. Dann haben die mit dem Schlüsseldienst eine zweite nebenliegende Garage geöffnet - was ich jetzt erfahren habe, weiß ich von Uwe. Es dauerte stundenlang, zwei Stunden, hat dann alles abgeschlossen, ging hoch in die Wohnung und legte den Schlüssel ab. Fuhr dann mit der Polizei zur Burgau-Garage, dort raunte ihm ein Polizist zu "Jetzt bist du fällig, der Haftbefehl ist schon unterwegs". Da stieg Uwe in sein Auto und fuhr davon. Im Polizeibericht steht, er sei zwischendurch hochgegangen, um eine Jacke zu holen - aber wie kam dann der Schlüssel zurück in die Wohnung, wer hat dann das Auto reingefahren und die Garage abgeschlossen? Wem soll man glauben, frage ich mich, meinem Sohn oder der Polizei? Sind dann abends nochmal wieder gekommen und waren angeblich abends halb sechs in unserem Garten - da war es stockfinster.

Wenn der Vater Mundlos jetzt behauptet, wir hätten ihm gesagt, dass sie in Mecklenburg-Vorpommern untergekommen sind, ist das eine glatte Lüge!!! Habe Mutter Mundlos gefragt, Wohlleben, André K. gefragt - brachte früher mal den Holger G. mit, den würde ich gar nicht wiedererkennen. (Holger G., auf der Anklagebank, hebt leicht lächelnd die Hand). Dann kam endlich, endlich, endlich der Anruf. Wir heulten, waren froh, dass er anruft, waren froh, dass er lebt, sagte uns, alle drei sind zusammen, dass es ihm gut geht, kann natürlich nicht sagen, wo sie sind. Wir machten uns natürlich Sorgen, das war eine schlimme Zeit für uns. Ich wollte nicht wirklich wissen, wo sie sind. Wir haben uns zum nächsten Telefongespräch verabredet. Ich sage ganz deutlich: Wir haben vom ersten Gespräch an gesagt, dass sie sich stellen sollen, das hat keine Zukunft - die anderen waren überhaupt nicht vorbestraft. Das kriegen wir hin - stellt euch, stellt euch. "Nein Mutti, da können wir später drüber reden." Kann mich nur dran erinnern, dass wir Rotz und Wasser geheult haben, aus Erleichterung, dass sie leben.

Wir kriegten immer wieder Besuch von der Polizei, Landeskriminalamt (LKA), Verfassungsschutz (LfV). Wollten Informationen, einige bedrohten uns. Irgendwann im Herbst 1998, wir hatten inzwischen zwei oder drei Anrufe bekommen, da kam der Herr T. (ein Rechtsanwalt) auf uns zu. T. hatte Uwe mal vertreten, LfV war auf ihn zugekommen, ob sich die drei nicht stellen wollen. Das kann nicht gut gehen, wovon leben sie? Haben diesen Strohhalm ergriffen. Es gab drei Treffen mit T. - zwei in Jena, immer in anderer Gaststätte, weil wir vermuteten, abgehört zu werden. Einmal war ich in Gera bei der Staatsanwaltschaft, da ging es um die Bemessung der Strafe. Ich hatte eine sehr nachsichtige Schulleiterin, die Vertretung organisiert hat. Da saß ich vor dem Staatsanwalt - der sagte 10!!! Jahre, das kriegt ja nicht mal ein Kinderschänder, der schon fünf Kinder getötet hat. Wenn sie sich stellen, dann kriegt er fünf Jahre - und dann auf Bewährung muss er zweieinhalb Jahre absitzen. Musste warten bis Uwe wieder anrief, waren damals gar nicht wegen „krimineller Vereinigung“ angeklagt, „terroristische Vereinigung“ stand überhaupt nicht zur Debatte. War natürlich bereit, mit Uwe zu sprechen, konnte ihnen nicht sagen, wo sie sind. Sagte auch nicht wie wir in Kontakt traten. Bis Frühjahr 1999 wurden wir hingehalten - bis T. uns sagte, dass der Verfassungsschutz und Staatsanwalt K. in Gera es jetzt ablehnen - wir kriegen sie auch so. Sie kriegten sie aber nicht. Dann kamen zwei Männer vom LKA, der eine beugte sich zu mir rüber und sagte: "Wenn wir die finden und die zucken nur, dann sind wir schneller, wir haben das gelernt." Da sitzen zwei Beamte und drohen und bedrohen die Eltern. Da waren Kreise im Hintergrund, die wollten nicht, dass sie sich stellen. Wir haben niemals mit Röwer (damals Präsident LfV Thüringen) gesprochen, auch wenn das in der Zeitung stand oder er das in seinem Buch behauptet, das stimmt nicht, er hat immer nur seine Mitarbeiter geschickt. Ich bereue, dass ich nicht meine Kalender noch habe, dann könnte ich jetzt konkretere Aussagen machen.
Richter Götzl: Was haben Sie denn mit Uwe besprochen nach dem Gespräch mit T.?
Mutter Böhnhardt: Wir hatten in den zwei bis drei Gesprächen immer nur das Thema: stellt euch, stellt euch. Bereitschaft war nur von Beate und meinem Uwe gegeben, der Uwe Mundlos wollte nicht. Dann war Kontakt von einem Anwalt, der Beate vertreten wollte, der wollte erst mal 800 DM Vorschuss. Das haben wir auch bezahlt - wir hofften, dass Beate und Uwe aussteigen.
Pause, 20 Minuten.

(Tim Aßmann, BR)
10.57 Uhr.
Zeugin Brigitte Böhnhardt: Als sie sie nicht kriegten, begannen massive Bedrohungen. Einer (Ermittler) sagte: "Frau Böhnhardt wenn wir die aufspüren und die zucken nur, glauben Sie mir, unsere Leute sind schneller mit der Pistole." Ich weiß nicht, war die Drohung ernst gemeint? Oder gingen sie davon aus, dass wir ihm das erzählen und die drei dann beschließen: wir stellen uns nicht. Meine Überzeugung: Verschiedene Behörden wollten nicht, dass sie sich stellen. Ich frage mich nun seit vierzehn Jahren: Warum nicht? Wer wollte nicht, dass sie sich stellen?

(Gunnar Breske, MDR)
12.20 Uhr.
Richter Götzl: Wann war erstes Telefonat?
Zeugin Böhnhardt: Februar, März (gemeint: 1998).
G.: Was ist gesprochen worden? Nicht ganz einfach, hatten es erwähnt, hoffe aber neue Details zu erfahren.
B.: Er hatte uns gefragt, ob uns die Behörden befragen, bedrängen. Da hab ich ihm nicht alles gesagt. Dann kam Persönliches zur Sprache wie es uns geht, wie es der Familie geht.
G.: Ist über den Umstand der Flucht gesprochen worden?
B.: Bei meinem Sohn ging es um seine Angst, dass er ins Gefängnis muss. Er hat uns nicht alles erzählt. Nur von anderen. Als Mutter sieht man seinen Sohn in einem Männergefängnis als Opfer. Er hat immer beteuert, dass es nicht so gewesen sei. Hat mit gegenüber gesagt, er will nicht ins Gefängnis.
G.: Welche Strafen standen denn im Raum?
B.: Bei erster U-Haft ging es um Einbruch, bei zweiter U-Haft auch wieder Fahren ohne Fahrerlaubnis, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und beim letzten kam noch eins hinzu, da ging es wohl um Verbreitung rechtsextremer Musik. Er hatte sich eine CD gekauft - ich hörte die Musik als ich einmal nach Hause kam. Ich war wütend, er sollte die CD sofort verkaufen oder ich würde sie zerstören. Er hat dann telefoniert, um sie loszuwerden, wir wurden abgehört, da wurde er dann wegen Verbreitung angeklagt.
G.: Wie hat er sich vor Gericht verhalten?
B.: Er war ruhig, ich war nicht so ruhig, dem Staatsanwalt war das offenbar nicht so Recht. Warum schmeißen Sie den Kerl nicht endlich raus, knallte mir ein Jugendrichter an den Kopf.
G.: Welche Strafen waren noch offen?
B.: Zwei Jahre? - müsste ich nachschauen. Waren erstaunt, dass sich das so hinzog (meint Haftantritt)
G.: Was wurde gefunden bei den Durchsuchungen?
B.: Habe ihn gefragt: Warum hebst du so was auf? Wobei einige Dinge nicht stimmen können. Ich erwähne die Armbrust - die kann man nicht in einem Kinderzimmer verstecken. Da sollen auch drei Dolche gelegen haben, das würde mein Sohn mir nicht antun, ich habe Angst vor scharfen Messern. (macht immer wieder Andeutungen, dass die Polizei Dinge dort hingelegt habe) Wusste nicht, dass Beate eine Garage hatte, war nie Thema. Was gefunden wurde, haben wir erst aus der Zeitung erfahren.
G.: Im Telefonat "Uwe" darauf angesprochen?
B.: Ja, er sagte: "Mama sei doch nicht so naiv. Du weißt doch, wie das bei den Durchsuchungen war." Ich war vielleicht etwas naiv. Ich habe den Beamten damals noch geglaubt. Das hat sich dann wiederholt.
G.: Was meinen Sie?
B.: Bei der Vernehmung am 6. November 2011.
G.: Wie meinen Sie das?
B:. Ein Beamter sprach das auf das Band und später wurde daraus ein Protokoll. Wir hatten es nicht bekommen, das sei nicht unser Recht. Ich war so wütend! Alle Zeitungen hatten es, zitierten daraus - nur wir hatten es nicht.
G.: Weitere Telefonate mit Uwe?
B.: Sehr vage Erinnerung: Ging um Persönliches: "Wie geht es euch, was macht ihr, was habt ihr vor?"
G.: Was habt ihr vor?
B.: Am Anfang hieß es immer, wir sind nicht in Deutschland. Wir sind im Ausland. Das habe ich auch geglaubt. Einer vom LKA hatte das auch mal erwähnt, der wollte dann wissen, über welche Grenze sie kämen. Haben uns Sorgen gemacht, wovon sie leben? Antwort: Ja wir haben Freunde die uns unterstützen.
G.: Wie lang telefoniert?
B.: Zehn Minuten - vielleicht 15 Minuten.
G.: Das Thema: "Sich stellen" in erstem Telefonat?
B.: Sofort, sofort. "Mensch Junge, stell dich doch. Wir schaffen das" Mir war klar, dass er sich nicht beim ersten Telefonat gleich entscheidet. Er sollte erst mal auch mit den anderen Beiden reden und fragen.
G.: Und im zweiten Telefonat?
B.: Ich fragte: Wie stehen Uwe und Beate dazu? Er sagte mir, ich solle auf keinen Fall Kontakt zu den anderen Eltern aufnehmen. Er hat mir einen Gruß von Uwe Mundlos bestellt, ich solle doch mal schauen, ob sie (Mutter Mundlos) noch ihre Arbeit hat. Es stand die Angst im Raum vor Sippenhaft, wenn bei meinem Mann die Polizei das Werkstor blockiert und bei mir Blaulicht vor der Tür steht. Habe dann Mundlos (den Vater) mal an der Tankstelle getroffen. Er war der Meinung, dass an allem mein Sohn schuld war, der seinen Sohn da mit reingezogen hat. Wir hatten wenig Kontakt mit Mundlos, weil wir diese Meinung nicht teilten. Ich dachte mir, dass er auch ein Vater ist und wenn er mit der Situation so besser klar kommt, dann muss man ihn darin belassen. Er kam mit seiner Trauer so besser zurecht. Aber es sind drei Erwachsene, da ist jeder verantwortlich. Ich bin dann gegangen. (offenbar tiefes Zerwürfnis zwischen Eltern Böhnhardt und Eltern Mundlos).
G.: Was sagte Ihr Sohn als Sie Ihn aufforderten sich zu stellen?
B.: Er wollte es nicht hören, er wollte nicht bedrängt werden - wir wollten ihn bedrängen.
G.: Als Sie ihn auf Sprengstoff ansprachen?
B.: Habe erzählt, was in der Zeitung steht - er sagte: "Glaub nicht alles, was in der Zeitung steht." Zeit war so knapp am Telefon, das wir nur Persönliches gefragt haben.
G.: Haben Sie gefragt wo sie sind?
B.: "Mutti, das musst du nicht wissen."
G.: Drittes Telefonat - noch weiteres?
B.: Weiß ich nicht mehr. Drittes Telefonat muss Ende des Jahres 1998 gewesen sein, da haben wir über das Angebot von Herrn T. (dem Anwalt) gesprochen. T. rief an, ob wir uns treffen können. Sind in ein Café gefahren, dort hat er uns das Angebot gemacht.
G.: Wann Angebot T. an Uwe übermittelt?
B.: Nach dem zweiten Treffen - Uwe sagte: "Aber Mutti, pass gut auf." Wir wussten ja nicht, wo sie waren. (immer wieder: Als Mutter macht man sich ja Sorgen).
Pause bis 13.20 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
12.20 Uhr.
Jetzt erzählt Brigitte Böhnhardt nochmal vom Treffen mit Rechtsanwalt T., dass der gerne den Aufenthaltsort der drei erfahren hätte und sagte, der Verfassungsschutz sei auf ihn zugekommen und habe gesagt, dass er als unser Bekannter jemand ist, dem wir trauen (er hatte Uwe früher vertreten). Es kam dann zu zweitem Treffen in Drakendorf, Stadtteil von Jena.
Zeugin Böhnhardt: Dort haben wir weiter gesprochen, er konnte mir nichts Konkretes sagen, er brauche erst mal die Zustimmung der drei Untergetauchten. Wir wollten Kontakt nicht herstellen ohne was Schriftliches von Staatsanwaltschaft Gera, dass man Strafmaß reduziert, das hatte er nicht dabei, drittes Treffen war dann das, das ich vorhin geschildert habe, bei Staatsanwaltschaft in Gera. Wir haben nicht gewusst, wo die drei untergetaucht waren, und bis heute kann ich es nicht fassen.
Richter Götzl: Drittes Telefonat. Worum ging‘s?
B.: Um die Gespräche mit T., Zumindest hat er (Uwe) sich vielleicht gedacht, dass er einigermaßen glimpflich aus der Sache raus kommt. Das würde ich mir zumindest vorstellen.
G.: Wie viel Zeit war zwischen Treffen Staatsanwaltschaft und nächstem Telefonat?
B.: Im nächsten Jahr. Kann es nicht mehr genau sagen - auch nicht, wann Treffen mit T. waren. Im Frühjahr 1999 teilte uns T. mit, Staatsanwaltschaft habe Angebot zurückgezogen.
Mittagspause bis 13.20 Uhr.

(Holger Schmidt, SWR)
14.15 Uhr. Frühjahr 1999.
Richter Götzl: Wie haben Sie erfahren, dass Staatsanwaltschaft Ihr Angebot zurückgezogen hat?
Mutter Böhnhardt: Durch Herrn T.
G.: Wer war der Rechtsanwalt für Beate Zschäpe, für den Sie 800 Mark bezahlt haben?
B.: Weiß ich nicht mehr.
G.: Haben Sie das Thema Strafvorstellung der Staatsanwaltschaft mit Ihrem Sohn besprochen? Keine sichere Erinnerung?
B.: Nein nicht mehr. Habe aber sicher gesagt, dass es hart war, von zehn Jahren zu hören, dass man das aber sicher auch gesagt hat, um uns einzuschüchtern. Telefonische Kontakte gab es erst mal nicht. Vom Festnetzanschluss haben wir nicht telefoniert, weil wir nicht wussten, ob wir abgehört werden. Plötzlich war ein kleiner unscheinbarer Zettel im Briefkasten. Kannte die Schrift nicht, weiß nicht, von wem, will es bis heute nicht wissen. Bin aber unendlich dankbar. Hatte Angst, der Kontakt sei abgerissen. Getroffen in Chemnitz, Park gleich an der Autobahn-Abfahrt. Habe gemerkt, dass die das so gewählt haben, um danach selbst schnell weg zu kommen. Habe Uwe gleich erkannt. Trotz Mütze. Die anderen beiden haben uns viel Zeit gelassen, uns erst mal zu begrüßen. "Im Nachhinein stelle ich mir immer und immer und immer wieder vor, was alles hätte verhindert werden können, wenn die Behörden zu ihrem Wort gestanden hätten."
G.: Wie haben Sie sich das denn vorgestellt, wie hier Strafen erlassen werden können und wer da eingebunden ist?
B.: Was habe ich mir vorgestellt, gewünscht? Ich habe mir vorgestellt, dass sie zusichern, sie sollen sich stellen, es passiert ihnen nichts, die Strafe beim Uwe wird reduziert und bei den anderen wären nie und nimmer zehn Jahre heraus gekommen.
G.: Welche Vorstellungen hatten Sie denn? Dass dann, wenn man sich stellt, die Strafe für Ihren Sohn erlassen wird?
B.: Wir wollten nicht, dass Strafen erlassen werden, das stimmt nicht. Wir wollten nur, dass die Fahndung eingestellt wird, weil wir den Satz vom LKA im Ohr hatten: wir schießen, wenn wir sie finden. Wir hatten nie die Hoffnung, dass es ohne Strafe ausgeht, aber wir hatten die Hoffnung, dass es gut ausgeht. Sie hätten ja vielleicht eine zweite Chance bekommen, Beate und Uwe Mundlos. Und unser Sohn vielleicht auch irgendwann.

(Gunnar Breske, MDR)
Richter Götzl: Gespräch mit Uwe über Angebot von Staatsanwaltschaft?
Zeugin Böhnhardt: Hat uns glauben lassen, dass er darüber nachdenkt und beim zweiten Gespräch mussten wir sagen alles zurück. Uwe Mundlos sagte dann, dass er es gleich gewusst habe.
G.: Treffen - wo genau?
B.: Würde es wieder erkennen, war in der Nähe der Autobahn, mit der Begründung: Da kommen wir alle schnell weg.
G.: Haben Sie gefragt, wer den Zettel geschrieben hatte?
B.: Ja. Er wollte es mir nicht sagen.
G.: Treffen in Chemnitz - welche Gespräche?
B.: Wir hätten das schon gern gewusst, wie die drei irgendwo wohnen. Aber sie wollten uns keine Einzelheiten mitteilen. Sie haben sich nicht geäußert. Haben gefragt, was in Jena gebaut wurde, wie es dem Bruder geht, wie es der Nichte geht? Haben auch Bilder mitgebracht, wie sich Straßenzüge verändert hatten. Mein Sohn trug nicht gern Basecap sondern Mütze, damit man seine abstehenden Ohren nicht sah. Hatten sich überhaupt nicht verändert.

(Holger Schmidt, SWR)
Götzl: Was noch besprochen?
Böhnhardt: Das war privat.
G.: Nicht gefragt, wie sie so leben?
B.: Doch natürlich, auch hinten rum versucht, aber dann gelassen. Sie haben nach privaten Dingen gefragt: Was in Jena so gebaut wird, wie es dem Bruder geht, was die Cousine macht, ob wir noch Arbeit haben und so. Wir haben ihnen dann auch Fotos aus Jena mitgebracht.
G.: Wie war das Aussehen gewesen?
B.: Überhaupt keine Veränderung. Beate blieb die junge hübsche Frau, nur etwas älter.
G.: Kleidungsmäßig?
B.: Ganz normal. Normale zivile Kleidung, unauffällig.
G.: Irgendwas in Erinnerung geblieben?
B.: Nein.
G.: Wie dahin gekommen?
B.: Wir nahmen an, mit Auto. Sie wollten, dass wir zuerst wegfahren. Ich habe gedacht wegen ihres Kennzeichens, damit wir das nicht sehen.
G.: Können Sie den Ort näher beschreiben?
B.: Großer Parkplatz, Café, wir haben da Kaffee getrunken, kleine Tiergehege, aber kein Zoo, kleiner Park.
G.: Wie lange?
B.: Cirka zwei Stunden.
G.: Wie hingekommen?
B.: Wir haben uns ein Auto ausgeliehen.
G.: Warum?
B.: Weil wir nicht wussten, ob wir verfolgt werden.
G.: Haben Sie die drei finanziell unterstützt?
B.: Machen wir uns doch nichts vor, es steht ja in jedem Bericht, auch des Verfassungsschutzes. Wir haben ihm Geld gegeben. Damit er sich was zu essen kauft. Und wir wollten, dass er sich stellt. Es gab ab 1999 keinerlei finanzielle Unterstützung mehr, nachdem sie gesagt haben, dass sie sich nicht stellen. Sie können das so auffassen, dass wir die Schnauze voll hatten. Vielleicht hatten wir die Hoffnung, dass sie auf die Schnauze fallen, wenn wir sie nicht mehr unterstützen und dann kommen sie von alleine.
G.: Wie viel Unterstützung?
B.: 500 Mark und dann noch mal 500 und so.
G.: Wie ging das mit der Unterstützung?
B.: Personen haben geklingelt, eine Parole gesagt, dann sind wir runter gekommen und haben ihnen Geld gegeben. Einen kannte ich: Das war der André K. Und dann noch einer. Und der kam zweimal.
G.: Kannten Sie André K. von früher?
B.: Ja, ich kannte ihn, er wohnte im Nachbarhaus. Er hatte uns auch damals geholfen, ihn (Uwe Böhnhardt) zurückzuholen, als er mit der Drückerkolonne unterwegs war. Deswegen dachte ich, ich könnte ihm vertrauen.
G.: Von wo zurückgeholt?
B:. Irgendwo an der französischen Grenze.
Richter Götzl fragt wiederholt nach dem Kennwort für die Geldübergabe.
Böhnhardt sagt zunächst, sie wisse es nicht mehr. Dann sagt sie irgendwann "es war ein Wort, das nur er und wir kannten".
G.: hakt nach.
Schließlich sagt B.: Es war "Rippchen", aber ich wollte nicht, dass es wieder im Internet tausendfach durchgehetzt wird. Er ist als Junge mal gestürzt und hat sich zwei Rippen gebrochen.
G.: Geld immer bei den Dreien angekommen?
B.: Einmal nicht.
G.: Wer hat es damals übernommen?
B.: André K.
G.: Mal drauf angesprochen?
B.: Nein.

(Frank Bräutigam, SWR)
Götzl: Andere Person, die Geld abgeholt hat?
Böhnhardt: Junger hübscher Mann, ordentlich gekleidet, nicht als Rechter zu erkennen. Mindestens zweimal, höchstens dreimal. Vierteljährlich. War für uns schwierige Entscheidung, wollten dass er zurückkommt und dass er nicht klaut. Dann weiter: Wir waren als Eltern sehr verärgert, nur noch wenige Telefonate, 1999 ein, zwei Mal telefoniert.

2000 wiedergetroffen. Gleicher Ort, gleiche Stelle. Es überwog die Erleichterung, dass alle drei gesund, alle drei zusammen sind. Enttäuscht, dass es keinen Weg gab, dass sie aufgeben. Gefühl gehabt, die organisieren irgendwas, aus Deutschland wegzugehen, weil man zu keiner Übereinkunft kam, wie es weitergehen soll. Das hat doch keine Zukunft, mir als Mutter ein Gräuel, wie lebt man in Angst? Haben mit allen drüber gesprochen, habe mir Mundlos zur Brust genommen, ihm ins Gewissen geredet, aber er war nicht zu überzeugen. Er hat für sich ja auch keine Lösung gefunden. Beim zweiten Treffen vorgenommen: heute pauken wir aber auf die ein, das haben die auch gemerkt. Auf alle drei eingedroschen. Zu Mundlos: weißt Du nicht wie Mutti leidet? Zu Beate gesagt: Du hast auch eine Mutti, egal wie man dazu steht. Auch wenn man Emotionen anspricht, da kam keine Reaktion.

B.: Was kann daran so schön sein, im Untergrund zu leben? Es war nicht konkret, nur: "Es geht uns gut." Wie Lebensunterhalt? "Das sagen wir Euch nicht, dann macht Ihr Euch keine Gedanken." "Ich habe dann an Internetgeschäfte gedacht." Habe Uwe gesagt, dass er jetzt keine Unterstützung mehr bekommt. Habe ihm gesagt, "OK, dann müsst ihr zusehen, wie ihr klar kommt."
Pause bis 14.50 Uhr.

(Holger Schmidt, SWR)
Böhnhardt: Letztes Treffen 2002. Mai oder Juni. Da kann ich mich etwas fester legen, meine Enkelin kam in die Schule. War ein Wochenende. Wir hatten viele Gesprächsthemen, sicher das eine (sich der Polizei stellen), und sicherlich die Antwort, wir wollen nicht, wir wollen nicht, wir wollen nicht. Banale Dinge, wie diese Kochrezepte. Ich habe es schwer bereut, darüber zu reden. Das hat mich sehr, sehr gekränkt, weil wir damals in keinster Weise gewusst haben, dass es das letzte Treffen ist. Sonst hätte ich einen Teufel getan, über Rezepte zu reden.

Es war überhaupt nicht zu erahnen, dass es unser letztes Treffen war. Das hat mich glatt umgehauen. Alle drei waren so wie immer. Ich hatte den Eindruck, sie haben sich gefreut. Wir haben uns alle fünf umarmt. Wir haben ja auch die anderen gemocht. Es war ein Treffen, auf das wir uns zwei Jahre gefreut haben. Wir hatten uns wieder ein Auto ausgeliehen, natürlich. Bis dann kurz vor Schluss die Nachricht kam, es war unser letztes Treffen, wir gehen weg. Es wollte nicht in meinen Kopf, weil sie den ganzen Tag nicht davon geredet haben und dann wurde es mir klar und dann war es aus, auch mit meiner Beherrschung. Und dann war es so: Gut, sie gehen weg, aber ich habe mir gedacht, vielleicht fangen sie irgendwo anders nochmal neu an, gründen vielleicht eine Familie. Wir haben uns alle gedrückt. Ich habe Uwe Mundlos ins Ohr geflüstert, "Pass auf meinen Uwe auf, Du bist der älteste." - "Ja, ich pass auf", hat Uwe gesagt. Wir haben nie wieder was gehört. Bis zum 05. November 2011.

Wir waren überzeugt, dass sie weg gegangen sind, weil wir nichts mehr gehört haben. Wir haben wirklich geglaubt, die sind ganz, ganz weit weg, haben uns gefragt, was ist mit ihnen? Vielleicht haben sie eine Familie gegründet? Vielleicht haben wir Enkelkinder, von denen wir nichts wissen? Aber wir haben nichts mehr gehört. Da haben wir gedacht: OK, wenn die Zivilfahnder sie nicht finden, dann sind die ganz weit weg. Es tut mir für die fünf Leute hier leid, dass sie hier sitzen müssen. Wenn sie nicht in den Untergrund gegangen wären, wäre das auch nicht so.
Götzl: Freunde vor 1998?
Böhnhardt: Wohlleben, André K. vom Nachbarhaus, Holger G. als Schulfreund, der war dann weg und Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. André K. hatte einen Bruder, der lief mal mit, aber den würde ich nicht wieder erkennen.
G.: Freunde mal wieder gesehen?
B.: Holger G. kam mal auf eine halbe Stunde vorbei, sagte, er wolle alte Schulfreunde besuchen. Wohlleben habe ich mal angerufen, als Akten verjährten: Ob er die auch braucht, habe ich gefragt. Habe ich selbst, hat er geantwortet. Hat erzählt, dass er Frau und Kind hatte. Habe ich mir für Uwe auch immer gewünscht, dass er das schafft.
G.: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie etwas ausholen und uns die Ideen und Vorstellungen Ihres Sohnes schildern würden.
B.: Ich kann nicht mal ganz genau sagen, wann uns das erste Mal diese rechten Tendenzen aufgefallen sind. War ein schleichender Prozess. Wir haben es in keiner Weise akzeptiert, er durfte keine Schriften auslegen, keine Plakate aufhängen und durfte auch eigentlich keine CDs mit diesen rechtsradikalen Liedern hören. Er hat das sicher heimlich gemacht, das glaube ich schon, aber er durfte es nicht und in dieser Hinsicht haben wir auch mit ihm diskutiert. So war es auch mit gewissen Parolen, wir haben gesagt: weißt Du überhaupt, was Du da redest?

Wenn er gesagt hat: Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg, dann haben wir diskutiert. Es ist doch schön, habe ich gesagt. Dass wir hier jetzt Italiener und Türken und Griechen haben. Dass wir Pizza und Döner essen können. Möchtest Du den ganzen Tag in einem Döner arbeiten? Hat er nein gesagt. Habe ich gesagt, es ist doch schön, wenn das andere für Dich machen und Du die Sachen essen kannst! Es waren Parolen aus hohlen Köpfen. Ich habe mich gefragt, wo kamen diese Rattenfänger her, die plötzlich im Osten auftauchten? Wir hatten damit nie was zu tun. Das gleiche gilt für unseren anderen Sohn, der hatte nie was damit zu tun.

Dass es da ein Netzwerk gab, dass die auch die Reisen bezahlt haben, das haben wir vorher nicht erfahren. Er ist der Diskussion aus dem Weg gegangen, ist auf sein Zimmer gegangen. Ich habe durchaus auch immer mal wieder sein Zimmer durchsucht. Ich wollte auf Nummer sicher gehen, dass bei uns nichts gehortet wird, was wir nicht wollen. Es war immerhin unsere Wohnung. Dann kam mal so eine blöde Parole "die Juden sind an allem Schuld". Habe ich gesagt: Kennst Du überhaupt einen Juden? Ich kenne keinen. Heißt doch, dass sie sich so gut integriert haben, dass wir sie gar nicht bemerken. Wir sind doch auch mit ihm ins Ausland gefahren. Wir sind in Griechenland gewesen, da hat er doch auch gesehen, dass man da arbeiten muss. Wir waren auch in Österreich. Ich persönlich habe es als wohltuend empfunden, dass wir die Dönerstände und so bekommen haben. Das war eine Abwechslung. Und ich habe immer gefragt: Wo nimmt Dir denn da jemand die Arbeit weg? Er wollte doch auf einer Baustelle eine Arbeit. Habe ich gefragt: wer nimmt Dir konkret auf einer Baustelle die Arbeit weg?

Im Prinzip hat er uns jeden Tag geärgert. Bomberjacke, schwarze Hose und Springerstiefel. Bomberjacke war nicht so auffällig. Die hatten alle. Schwarze Hose? naja. Aber Springerstiefel? Das war zu viel. Die durfte er auch zuhause nicht tragen. Einmal mussten wir ihn von der Polizei abholen und da haben wir es plötzlich gemerkt und die Polizei hat es uns gesagt, dass man ihn im Blick hat, weil er Kontakt zu Rechten hatte. "Und wage es nicht, hier irgendetwas zu deponieren, was in diese Richtung gehört. Ich zerreiße alles und stampfe alles ein", habe ich zu ihm gesagt. Er war auch echt erschrocken, als ich ihn erwischt habe, als er diese rechte CD gehört hat. Er hatte noch nicht mit mir gerechnet.

Und die Kleidung - die bei der Polizei trugen auch schwarze Hosen und Springerstiefel, da wusste man gar nicht, wer zu wem gehört. Wir waren nicht über die modischen Tendenzen informiert. Und dann die Bomberjacken. Erst waren es Grüne, dann mussten es Schwarze sein.

Verhandlung unterbrochen bis morgen um 09.30 Uhr.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


4