NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter Der 46. Verhandlungstag

Die Erwartungen sind nicht besonders hoch: dieser 46. Verhandlungstag im NSU-Prozess verspricht im Vorfeld so etwas wie Leipziger Allerlei: vier Zeugeneinvernahmen zu mehreren Tatkomplexen, darunter Funkzellenauswertungen von Handytelefonaten – trockene Materie, so scheint es.

Von: Eckhart Querner

Stand: 15.10.2013 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: BR

15 Oktober

Dienstag, 15. Oktober 2013

Aber schon in der ersten Stunde ist 'prozessual' etwas geboten: Die Zeugin Q., Beamtin beim Bundeskriminalamt, ist eigentlich zum Thema Wohnmobilanmietungen des NSU-Trios geladen, wird vom Vorsitzenden Richter Götzl aber auch zu Fundstücken aus dem von Beate Zschäpe zur Explosion gebrachten Wohnhaus des NSU-Trios in der Frühlingstraße in Zwickau befragt. Hier geht es um Buchungsbelege, Umschläge mit NSU-DVDs etc.. Diesen Umstand versucht die Zschäpe-Verteidigung für eine Offensive zu nutzen. Anwalt Wolfgang Heer zum Vorsitzenden Richter: "Ich möchte Sie bitten, sich auf das Thema Fahrzeuganmietungen zu beschränken." Richter Götzl kontert (noch) gelassen: "Über Bewertungen werde ich nicht mit Ihnen diskutieren". Götzl zeigt sich (noch) nachgiebig und kündigt an, die Zeugin am nächsten Tag wieder zu laden und zu anderen Themen zu befragen. Die BKA-Beamtin muss also einen Tag länger in München bleiben, um am nächsten Verhandlungstag Fragen zu beantworten, die die Prozessbeteiligten ihr auch heute hätten stellen können.

Ein weiterer Zeuge, auch ein Polizeibeamter des BKA, wird zu teilweise stark brandgeschädigtem  Kartenmaterial befragt, das die Ermittler in der Ruine der Zwickauer Frühlingsstraße fanden. Das sind in erster Linie Kartenausdrucke und Falkpläne, auf denen sich sowohl Notizen zu NSU-Tatorten in ganz Deutschland als auch Ausspäh-Erkenntnisse für mögliche neue Anschlagsziele finden. So heißt es in den Notizen von Uwe Böhnhard und Uwe Mundlos zu Dortmund zynisch: "Gutes Objekt, geeigneter Inhaber" oder "Gutes Objekt, von dort gut weg, Personal noch mal prüfen".

Es ist gerade richtig spannend, immerhin berichtet der Zeuge von insgesamt 267 (!) vom NSU ins Visier genommenen Anschlagszielen in 14 deutschen Städten, darunter Parteien aller Lager, muslimische Einrichtungen, Asylbewerberheime und Trinkhallen, aber auch Waffengeschäfte. Götzl fragt, der Zeuge G. antwortet. In dieser Situation greifen die Zschäpe-Verteidiger wieder an, jetzt Anwalt Wolfgang Stahl, der den Vorsitzenden Richter verständnislos fragt: "Was machen Sie eigentlich prozessual?" - "Ich mache dem Zeugen Vorhalte“. Es folgt ein kurzer Wortwechsel, in dem sichtbar wird, wie sehr sich Götzl über das Störfeuer der Zschäpe-Anwälte ärgert, aber noch unter Kontrolle hat. Stahl sagt schließlich zu den Vorhalten: "Dann beanstande ich das." Aber es passiert nichts weiter, seine Einlassung wirkt wie ein Sack, aus dem langsam die Luft entweicht.

Die Befragung geht weiter, bis die dritte Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm das Wort ergreift. Sie wirft dem Zeugen vor, er bewerte zu stark, obwohl er nur über seine Wahrnehmungen berichten dürfe. Götzl unterbricht Sturm erregt, er wolle herausfinden, ob es einen zeitlichen Zusammenhang zu Anschlägen gebe. Sturm und Götzl reden gleichzeitig, für einige Augenblicke erwartet der Tagebuch-Schreiber strengste Ermahnungen der Verteidigung durch den Richter oder sogar eine Sitzungsunterbrechung. Aber nein, auch hier ist plötzlich die Luft raus und Götzl kann weiter fragen.

Welche Strategie verfolgen die drei Verteidiger der Hauptangeklagten? Versuchen sie Fragen, die ihre Mandantin belasten könnten, zu unterbinden? Das wäre nachvollziehbar, aber es würde nur kurzfristig funktionieren, denn wie bei der BKA-Beamtin Q. werden die Fragen dann halt einen Tag später gestellt. Insgesamt ist kein roter Faden im Vorgehen der Zschäpe-Anwälte erkennbar, außer dass sie immer wieder versuchen werden, den gelegentlich dünnhäutigen Richter Götzl zu reizen, manchmal mit Erfolg. Den mühsamen Prozess der Wahrheitsfindung halten sie damit aber nicht auf.


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