NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter "Nach dem Prozess ist vor dem Prozess"

Für eine Zwischenbilanz ist es am 32. Verhandlungstag des NSU-Prozess noch zu früh. Nun gehen die Prozessbeteiligten in die Sommerpause. Am 5. September wird weiter gegen den NSU verhandelt.

Von: Tim Aßmann

Stand: 06.08.2013 | Archiv

Tim Aßmann | Bild: BR

06 August

Dienstag, 06. August 2013

"Wir werden uns alle vermissen", sagte Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer mit einem Augenzwinkern am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause. Opferanwalt Stephan Lucas meinte, er werde vielleicht tatsächlich den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl vermissen. Der habe schließlich Struktur in den Alltag der vergangenen Monate gebracht. Eines wird ganz schnell klar: Die Prozessbeteiligten haben sich aneinander gewöhnt. Richter Götzl ist es durch souveräne, kompetente und stringente Verhandlungsführung gelungen Ruhe ins Verfahren zu bringen und zügig voran zu kommen. Aber was bleibt nun nach dem ersten längeren Abschnitt im NSU-Prozess?

Noch keine Zwischenbilanz möglich

Für eine wirklich aussagekräftige Zwischenbilanz ist es noch zu früh. Das Verfahren steht noch am Anfang. Erst knapp einhundert von am Ende wohl mehr als 600 Zeugen wurden bisher befragt. Noch zu keinem einzigen der zehn Mordfälle wurde die Beweisaufnahme bisher abgeschlossen. Es gibt schon jetzt Verhandlungstermine bis Ende 2014. Weitere werden folgen. Tendenzen allerdings sind erkennbar. Mit Blick auf die Brandstiftung in der Zwickauer Frühlingsstrasse erscheint Beate Zschäpe belastet. Was ihre mögliche Mittäterschaft an den Morden betrifft, ist es für eine Einordnung noch viel zu früh. Damit, dass Zschäpe ihre "Schweige-Strategie" im Prozess in naher Zukunft ändert, ist nicht zu rechnen.

Ein Prozess, der überrascht

Eine Besonderheit hat dieser Prozess aber bereits und die wird ihm sicher auch nach der Sommerpause bleiben: Er überrascht. An den ersten 32 Verhandlungstagen ist immer deutlicher geworden, dass - anders als bei den meisten Strafverfahren - eben vieles noch im Dunkeln liegt und weiter viele Fragezeichen bleiben. Wer hätte vor Prozessbeginn erwartet, dass es mit dem Nürnberger Taschenlampen-Anschlag eine weitere Gewalttat gibt, die möglicherweise dem NSU zugerechnet werden muss?

Pannen bei den Ermittlungen

Immer wieder - auch am letzten Verhandlungstag vor der Pause - wird deutlich, was hätte besser laufen können bei den Ermittlungen. Schon 2005 sei er sicher gewesen, dass die Morde einen ausländerfeindlichen Hintergrund hatten, sagte ein Nürnberger Ermittler nun im Zeugenstand. Dennoch zeigte er das Video des Mannes, der vor dem Kölner Nagelbombenanschlag das Rad mit dem Sprengsatz schob, nicht allen Zeugen, die beim Mord am Nürnberger Dönerbudenbesitzer Ismail Yasar zwei Radler gesehen hatten. Man habe beim Bayerischen Verfassungsschutz umfangreiche Daten über die rechtsextreme Szene angefordert. Doch die Verfassungsschützer hätten nicht alles "rausgerückt", erklärte der Nürnberger Ermittler. Ob das Konsequenzen hatte? Das werden andere Zeugen im Prozess gefragt werden. Wie hat es Opferanwalt Mehmet Daimagüler auf dem Weg in die Sommerpause formuliert: "Nach dem Prozess ist vor dem Prozess".


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