NSU-Prozess


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Tagebuch der Gerichtsreporter Streit und Emotionen vor Gericht

Am 22. Verhandlungstag hat zunächst der inzwischen pensionierte Leiter der Münchner Mordkommission Josef Wilfling als Zeuge ausgesagt. Er schilderte grausame Details im Mordfall Habil Kilic. Dessen Frau sagte auch aus.

Von: Oliver Bendixen

Stand: 11.07.2013 | Archiv

Oliver Bendixen | Bild: Foto Binder

11 Juli

Donnerstag, 11. Juli 2013

Wenn Welten aufeinanderprallen: Am Vormittag des Der 22. Verhandlungstages war Josef Wilfling im Zeugenstand - pensionierter Kriminaloberrat des Münchner Präsidiums Chef der Mordkommission. Routiniert berichtete er, wie am 29. August 2001 der Gemüsehändler Habil Kilic ermordet aufgefunden wurde - getroffen von zwei Kopfschüssen.

Wilfling zeigt Photos vom Tatort und vom Mordopfer, Luftaufnahmen der Umgebung und Detailbilder eines Einschusses in der Wand. Er beichtet, dass die Täter offensichtlich aus einer Waffe feuerten, die in einer Plastiktüte versteckt war.

Schreckliche Details

Habil Kilic dürfte nicht einmal geahnt haben, was auf ihn zukommt, als die Schüsse fielen. Seiner Ehefrau, die bei dieser Aussage nicht mit im Saal war, blieben diese Details erspart. Sie hat aber auch nicht erfahren, weshalb die Polizei aus ihrer Sicht den rechten Mördern nicht auf die Spur kam. Von den Nebenklageanwälten in die Zange genommen, kam der ehemalige Mordermittler zu dem Ergebnis, aus der Sicht von heute könne man leicht die Ermittler von damals kritisieren. Es habe nun einfach keine halbwegs brauchbare Spuren in die Neonazi-Szene gegeben, dafür aber einige Hinweise, dass mehr als ein Opfer Verbindungen in kriminelle Kreise hatte.

Ex-Kriminalbeamter berichtet über die türkische Mafia

Man könne es einfach nicht wegdiskutieren, dass es auch eine türkische Mafia gebe. Und im Jahr 2001 seien eben nicht nur drei aus der Türkei stammende Männer ermordet worden, sondern auch drei andere Türken, die Opfer eines Bandenkriegs in der Heroindealer-Szene wurden. Wer das als Ermittler ignoriere, der handele fahrlässig, sagte der Ex-Kriminalbeamte im Zeugenstand.

Erhitzte gemüter und Pause

Und dann wurde es richtig heftig. Einer der Nebenklageanwälte begann den Zeugen wild zu attackieren, warf diesem vor, auf dem rechten Auge blind zu sein, und schrie das Wort Herrenmenschen in den Saal hinein. Für den Vorsitzenden Richter gab es nur einen Ausweg: Pause machen, bis sich die Gemüter beruhigt hatten. Immerhin konnte Wilfling die Anmerkung anbringen, er bedauere zutiefst, dass er damals zusammen mit seinen Kollegen die Mordserie nicht habe stoppen oder gar aufklären können.

Emotionale Befragungen

Voller Emotionen war dann auch der Nachmittag. Im Zeugenstand Pinar Kilic, die Witwe des ermordeten Gemüsehändlers und dessen Schwiegermutter. Bei beiden haben die Ereignisse am 29. August 2001 schwere traumatische Schäden hinterlassen. Und das machte vor allem die Befragung der Witwe mehr als schwierig. Neben massiven Vorwürfen in Richtung Polizei äußerte sie vor allem ihr Unverständnis, alles noch einmal erzählen zu sollen, was sie schon mehrfach zu Protokoll gegeben hatte.

Schlechte Vorbereitung der Anwälte

Nicht zu übersehen war es, dass die gebürtige Türkin von ihrem Anwalt nicht ausreichend auf diese Befragung vorbereitet worden war. Auch hätte man ihr eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher zur Seite stellen müssen. Das hätte die Situation deutlich entschärft und der Zeugin ihren Auftritt erleichtert. Mir stellt sich da die Frage, ob über 600 Euro Honorar für die Anwälte der Nebenkläger pro Verhandlungstag bezahlt werden müssen, wenn diese ihre Mandanten nicht sensibel auf das einstellen, was vor Gericht auf sie zukommt.


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