Facebook-Seite mit "FAKE" überschrieben vor russischer Fahne
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Russische Desinformationskampagnen zielen darauf ab, die westlichen Gesellschaften zu spalten.

    Ukraine und Russland: Der Informations-Weltkrieg

    Telegram-Kanäle, Memes, kurze Videos: Die Ukraine und Russland ringen um die Deutungshoheit im Netz. Immer öfter nehmen Putins Infokrieger dabei auch ukrainische Geflüchtete ins Visier.

    "Ich brauche Munition und keine Mitfahrgelegenheit": Das sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kurz nachdem Russland sein Land angegriffen hatte. Ein kerniger Onliner, der wie gemacht ist für das Zeitalter der sozialen Medien. Kurz darauf nahm Selenskyj ein Handyvideo in der Innenstadt von Kiew auf - auch das wie aus dem Content-Lehrbuch für Twitter, Facebook und Instagram. Selenskyj ist zur globalen Ikone geworden und das hat eine Menge damit zu tun, dass der ehemalige Schauspieler genau weiß, wie die sozialen Medien funktionieren und sehr geschickt darin ist, sie zu bespielen. Seine Bilder, seine Ansprachen, seine Handyvideos werden geliked, geteilt und weitergeleitet. Dagegen kann eine ganze Armee von Putin-Trollen anarbeiten, wie sie will.

    Russland will eigenen Instagram-Klon schaffen

    Auch deswegen wurden in Russland Facebook und Twitter als extremistisch eingestuft und verboten. Mittlerweile hat die russische Regierung auch Google News blockiert. Vor allem Instagram ist für viele Russen ein herber Verlust. In den letzten Wochen kursierten Videos von verzweifelten Influencerinnen, die sich über den Wegfall der Plattform beklagten.

    Zwar haben russische Internet-Unternehmen eine russisches Instagram namens "Rossgram" angekündigt, aber ob das ähnlich attraktiv sein wird, wie das amerikanische Original, darf bezweifelt werden.

    Den Meinungskrieg hat Putin verloren - vorerst

    Es ist noch unklar, ob Putin den Krieg mit Panzern und Raketen gewinnen kann. Klar ist hingegen: Den Krieg um die Meinung im Netz hat er schon verloren - vorerst zumindest und zumindest in der westlichen Welt. Zu gut ist die Social Media-Arbeit der Ukraine, die nicht nur auf ihren Präsidenten setzt, sondern auch auf Accounts, die Mems produzieren.

    Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Ukraine auch auf TikTok dominiert. Die bekannte ukrainische Influencerin @valerisssh beispielsweise zeigt leere Supermarktregale, dann wieder das zerstörte Nachbarhaus, den Bombenkrater auf der Hauptstraße oder das verwüstete Kinderkrankenhaus, das sie früher mit ihrer Mutter besucht hat. So vermittelt @valerisssh einen Eindruck davon, was Putins Krieg bei den Menschen in der Ukraine anrichtet und schreibt dazu: Putin, please stop it.

    Der erste TikTok-Krieg

    Schon ist die Rede davon, der Ukraine-Krieg sei der erste TikTok-Krieg, so wie der spanische Bürgerkrieg der erste Krieg der professionellen Kriegsfotografie, der Zweite Weltkrieg der erste Radio-Krieg oder Vietnam der erst TV-Krieg war. Die US-amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag schrieb vor zwanzig Jahren, dass Kriege Teil der heimischen TV-Unterhaltung geworden seien.

    Heute sind die Bildschirme noch kleiner geworden und wir tragen bewegte Kriegsbilder in unserer Hosentasche herum. Wir werden Kriegskonsumenten und in der Ukraine, da werden die Opfer des Krieges zugleich zu Kriegsreportern.

    Propaganda gegen Fakten

    All das erschwert der russischen Propaganda den Informationskrieg. Hinzu kommt die erdrückende Macht des Faktischen. Früh hatten die USA mit der Welt ihre Geheimdienstinformationen geteilt, wonach Russland einen Angriff auf die Ukraine plane. Die Russen dementierten entschieden. Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow meinte Mitte Februar lapidar, dass Kriege selten an einem Mittwoch beginnen. Kurz darauf griff Russland die Ukraine an – an einem Donnerstag.

    Trotzdem, oder gerade deswegen, versucht Russland nach wie vor, das Meinungsklima zu beeinflussen und setzt dabei offenbar auf bezahlte Trolle, aber auch auf freiwillige Putin-Anhänger. Das zumindest legt eine Analyse der Organisation Reset Tech nahe, die Kommunikation auf Online-Plattformen analysiert.

    Demnach versuchen die russischen Trolle die Invasion als Notwehr gegen den vermeintlichen "Nazi-Staat" Ukraine darzustellen. Auch das Narrativ, wonach der Krieg geführt werde, um die russischsprachige Bevölkerung im Donbass zu befreien, wird verbreitet.

    Alina Lipp – Putins Kriegsfluencerin

    In Deutschland spielt hierbei vor allem Alina Lipp ein Rolle. Die 28-Jährige ist eine wichtige PR-Stimme in Deutschland für Putins Krieg geworden. Die junge Frau, früher bei denen Grünen aktiv, lässt sich mit russischen Kämpfern ablichten und betreibt einen Telegram-Kanal mit mehr als 100.000 Followern. Kürzlich fragte sie hier ihre Anhänger, ob sie gut fänden, wenn Putin in Deutschland "aufräumen" würde. Kurz darauf löschte sie die Umfrage.

    Auch ein Clip, der zeigen soll, wie ein Ukrainer einen Supermarkt in Regensburg verwüstet, wurde von Lipps Telegram-Kanal verbreitet. Das Video stammt allerdings aus dem Jahr 2019 und wurde in Russland aufgenommen. Solche Desinformation hat in den letzten Tagen offenbar zugenommen. Unter anderem kursiert ein Video im Netz, das einen von Zug zeigen soll, der von ukranischen Flüchtlingen verwüstet wurde. Der Clip dokumentiert allerdings die Folgen einer Auswärtsfahrt des FC Augsburg. Nur wenige Tage vorher warnte die Polizei in Euskirchen vor der Verbreitung eines Videos, demzufolge ein Russe totgeprügelt worden sei. Die Urheberin der falschen Gerüchte hat sich mittlerweile entschuldigt.

    Diese Beispiele zeigen, dass die russischen Infokrieger nun vor allem ukrainische Geflüchtete ins Visier nehmen.

    Der Info-Weltkrieg

    Auch in anderen Regionen der Welt versucht die russische Propaganda die Themen zu setzten, von denen sie glaubt, dass sie in den jeweiligen Gesellschaften gut verfangen.

    Der Social Media-Analyst Carl Miller weist beispielsweise darauf hin, dass Russland in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) und in den Ländern des globalen Südens mit seinen Botschaften durchaus Erfolg habe. Zumindest wenn es um den Informationskrieg geht, haben wir es also längst mit einem Weltkrieg zu tun.

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