Die Verzweiflung ist ihr glaubhaft anzusehen. “Jetzt drehe ich durch, ich glaube gar nichts mehr im Internet”, sagt Nutzerin svenjamin_b in einem TikTok-Video in ihre Smartphone Kamera und zeigt gleich darauf, was sie so aus der Fassung bringt: “Das ist ein Filter! Und das”, sie deaktiviert den Effekt, “ist mein echtes Gesicht! Scheiße.”
Frappierend: Nicht nur ist der Unterschied zur ungeschminkten Wahrheit riesig, sondern der Filter verwischt oder verwackelt sogar auch dann nicht, wenn Nutzerin svenjamin_b ihre Hand vors Gesicht nimmt. Dabei geben andere Filter ihre Scharade schnell preis.
“Das ChatGPT unter den Echtzeit-Bildbearbeitungen” - ein Twitter-Nutzer
Die schiere Präzision dieses neuen Augmented-Reality-Filters beunruhigt gerade viele Menschen im Netz. Wer sich selbst davon überzeugen will, wie groß der Unterschied zu bisherigen Filtereffekten ist, der kann den Bold-Glamour-Filter in der TikTok-App ganz einfach ausprobieren.
Wer in der App nach “bold glamour” sucht, muss in den Suchergebnissen nur eines der gelisteten Videos anwählen und darin dann den als verwendet angezeigten Filtereffekt: Schon kann der Selbstversuch losgehen.
Unerreichbares Schönheitsideal per Fingertipp
Einmal in Aktion fügt der Filter nicht nur kosmetische Änderungen wie Make-up oder Mascara hinzu, er verändert teils auch die Gesichtsstruktur: Schmalere Nase, vollere Lippen, markante Stirn und kräftiger Kiefer, wie Professor Memo Akten von der University of California in einem Video analysiert.
Ein Schönheitsideal, das Jugendliche depressiv und magersüchtig machen kann. Eine TikTok-Nutzerin bringt es auf den Punkt: “Das ist nicht gesund.” Eine andere befürchtet, viele Mädchen würden nicht bemerken, wenn jemand einen Filter benutzt, wollten selbst perfekt aussehen und dächten dann, alle sähen immer so aus. “Das ist beängstigend”, fügt zoe_george_ hinzu.
Auf einen Plausch mit dem jüngeren Ich
Auf ältere Nutzerinnen und Nutzer hat ein weiterer neuer Beauty-Filter indes einen ganz anderen Effekt: Vor allem die “Gen-Xer” (also die Geburtsjahrgänge zwischen 1965 und 1980) rührt der Teenage-Filter gerade reihenweise zu tränen. Memo Akten hat unzählige Videoreaktionen darauf in einem Twitter-Thread zusammengefasst.
Während erfahrene TikTok-Nutzer dank dieses neuen Teenage-Filters in Nostalgie schwelgen, tun sich gleichzeitig auch neue Gefahren auf: Ein Erwachsener, der sich so einfach zum Teenager machen kann, hat es leichter bei versuchtem Cybergrooming.
Erleichtern solche Filter gar Cybergrooming?
Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger leitet das Institut für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg und sagt BR24 im Gespräch dazu: “Im Prinzip muss man allen Minderjährigen, aber auch den Erwachsenen, vermitteln, dass man nie wissen kann wer wirklich hinter einem Profil, Video und so weiter steckt.”
Er vermisst in Deutschland eine “ernsthafte Strategie”, um vor allem Kinder präventiv vor Sexualdelikten im Netz zu schützen.
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