Mit der Corona-Pandemie verbreiten sich Fakes, Verschwörungsmythen und Desinformationen. Wir beschreiben in zwei Texten wie Rechte und Verschwörungstheoretiker versuchen, von der Krise zu profitieren. Teil 2: Verschwörungen und "Alternative Medien" .
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Rechte und Verschwörungstheoretiker versuchen von der Krise zu profitieren. Text 2: Verschwörungen und "Alternative Medien" .

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Corona & Extremisten II: "Widerstand gegen die neue Weltordnung"

Mit der Corona-Pandemie verbreiten sich Fakes, Verschwörungsmythen und Desinformationen. Die Faktenfuchs-Recherche - wie Rechte und Verschwörungstheoretiker versuchen, von der Krise zu profitieren. Teil 2: Verschwörungen und "Alternative Medien".

"Es lebe Telegram!" Mit dieser Aussage kommentieren Anhänger von Verschwörungsmythen eine Ankündigung des Messengerdiestes WhatsApp. Dieser gab am 7. April bekannt, die Weiterleitungsfunktion des Messengers zu drosseln, um die "Verbreitung von Fehlinformationen" rund um Corona einzuschränken.

  • Dieser Artikel stammt aus 2020. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier

Wo sich der eine Verbreitungsweg schließt, öffnet sich für Anhänger von Verschwörungsmythen und Rechte gleich eine Alternative: Telegram. Sie rufen dort zum "Widerstand" auf und wollen "unserem Volk endlich die Angst und die Panik vor dem Coronavirus" nehmen. Je stärker klassische Verbreitungswege wie WhatsApp das zu unterbinden versuchen, desto größer wird die Bedeutung von Alternativen wie Telegram. Dort bauten Rechte und Verschwörungstheoretiker schon vor Corona ihre Reichweiten aus. Durch die aktuelle Krise schnellen ihre Abonnentenzahlen weiter in die Höhe - vor allem mit abseitigen Meldungen und falschen Behauptungen zur Corona-Pandemie. Das ist nur ein Beispiel dafür, dass in Krisenzeiten Verschwörungen und Falschbehauptungen Konjunktur haben.

Von Impfgegnern und Anhängern von Verschwörungsmythen

Wie man eine Krise erlebt, hängt auch davon ab, welche Plattform man nutzt, um sich zu informieren. In zwei Teilen analysieren wir von BR24 die Verbreitung von Fakes, Falschmeldungen und Verschwörungsmythen rund um Corona. Der erste Teil fokussierte sich auf Rechte und Rechtsextreme. Im zweiten Teil soll es ausschließlich um Verschwörungsmythen, die Rolle der "Alternativen Medien" und um Telegram gehen.

Telegram ist vergleichbar mit WhatsApp. Beides sind Messenger. Mit beiden können sich Personen Nachrichten schicken. Auch Gruppen-Chats sind möglich. Doch während WhatsApp die Größe von Gruppen auf 249 Personen beschränkt, ist Telegram unreguliert. Und: Auf Telegram kann man "Kanäle" abonnieren. Die derzeit beliebtesten Kanäle sind solche aus dem Bereich der Anhänger von Verschwörungsmythen und der "Alternativen Medien". So bezeichnen wir in diesem Text Akteure und Plattformen, die abseits der klassischen Medien und häufig ohne vergleichbare journalistische Standards arbeiten. Sie bauten sich in den vergangenen Jahren eigene Homepages oder Youtube-Kanäle auf und betonten dabei häufig ihre Rolle als "Opposition" zu klassischen Medien. Mit der Corona-Krise wachsen die Abonnentenzahlen dieser Kanäle teilweise rasant. Ihre Reichweite geht in die Hunderttausende.

Eine Akteurin der "Alternativen Medien" ist die Aktivistin und ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman. Ihr geschichtsrevisionistisches Denken ist seit Längerem bekannt. Herman betreibt keinen eigenen Facebook-Account. Sie ist auf Youtube und Telegram aktiv. Damit steht sie für einen Trend innerhalb der Szene: Weg von Facebook, hin zu Telegram.

Telegram - Verschwörungen von Rechts

Seit Jahren ist Telegram dafür bekannt, besonders wenig in die Kommunikation der Nutzerinnen und Nutzer einzugreifen. Auch deshalb entwickelte sich der Dienst in den vergangenen Jahren zu einer beliebten Facebook-Alternative - allen voran bei Rechten.

Seit Beginn der Corona-Krise hat sich der Messengerdienst zu einer der wichtigsten Verbreitungswege für Behauptungen über das Virus entwickelt.

In ihrem Telegram-Kanal teilt Eva Herman für rund 56.000 Menschen (Stand 15. April) Meldungen aus klassischen Medien, vor allem aber auch aus dem Spektrum der "Alternativen Medien". So verbreitet Herman Behauptungen über eine angebliche "Neue Weltordnung" (NWO), ein Verschwörungsmythos, demzufolge die Machtübernahme einer globalen Elite bevorsteht.

Aktuell wird die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beziehungsweise die globale Anstrengung, einen Impfstoff gegen das Coronavirus zu finden, als autoritäre, unterdrückerische Maßnahme gesehen, über die gesamte Weltbevölkerung zu herrschen. In der Forschung ist diese "Theorie" seit langem als antisemitisch bekannt.

Dazu kommen Behauptungen aus dem Bereich der Impfgegner oder der angeblich geplanten Abschaffung des Bargeldes, da durch die Corona-Pandemie bargeldloses Bezahlen wichtiger wird. Die Abschaffung des Bargeldes ist vor allem in rechts-konservativen Kreisen ein viel diskutiertes Thema. Verschwörungstheoretiker fürchten Überwachung bei bargeldlosen Bezahlvorgängen.

In ihrem Telegram-Kanal verlinkt Eva Herman auch klagemauer.tv, ein Format, das unter anderem in Bayern produziert wird. Hinter dem Sender steht Ivo Sasek, schweizer Prediger und Führer der von ihm gegründeten "Organischen Christus-Generation" (OCG).

Mythos: Virus stammt aus Chemielabor

So teilt Herman beispielsweise ein Video von klagemauer.tv, in dem behauptet wird, dass das neuartige Coronavirus (Sars-Cov-2) aus einem Labor stammen und sich von dort aus um die Welt verbreitet haben soll. Mit dieser Behauptung erreicht klagemauer.tv über eine halbe Million Klicks auf Youtube. In dem Video behauptet der Sender klagemauer.tv, dass das Virus in der chinesischen Stadt Wuhan in einem Labor hergestellt wurde.

Der Abgeordnete und ehemalige AfD-Politiker Wolfgang Gedeon verbreitet eine ähnliche Desinformation sogar im Landtag von Baden-Württemberg. Der Videomitschnitt der Rede wurde auf Facebook gepostet und dort hunderttausendfach abgerufen. Gedeon behauptet, die USA hätten das Virus als Biowaffe entwickelt.

Unabhängig davon, dass sich die beiden Mythen in den Ortsangaben widersprechen, entkräfteten mehrere wissenschaftliche Artikel diese Behauptung bereits - das Virus deute auf einen tierischen Ursprung hin. 25 international angesehene Virologen, darunter auch Christian Drosten, der die Bundesregierung berät, gehen von einem tierischen Ursprung aus. Dennoch hält sich die Erzählung. Alleine in den USA glauben laut einer Umfrage 29 Prozent der Befragten die Behauptung, dass das Virus menschengemacht und in Laboren gezüchtet worden sei.

Mittlerweile spekuliert selbst die US-Regierung und schließt nicht mehr aus, dass das Virus in einem chinesischen Labor entstand. Beobachter halten diese Aussage für ein politisches Manöver, nicht für eine wissenschaftlich fundierte Aussage. Beweise dafür, dass das Virus aus einem Labor stammen könnte, haben weder die Anhänger von Verschwörungsmythen noch die US-Regierung oder die Wissenschaft bislang geliefert.

Telegram wächst - Youtube bleibt wichtig

Die meisten Videos mit Falschinhalten werden jedoch weiterhin auf Youtube gepostet, trotz der Beteuerung der Google-Tochter, verstärkt gegen Desinformation vorzugehen. Zwar finden sich als Service Hinweise zu Covid-19 unter allen Videos mit Corona-Bezug sowie eine Weiterleitung auf die Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Videos der "Alternativen Medien" werden jedoch nur entfernt, wenn sie beispielsweise von medizinischer Behandlung abraten. Vergleichbar verhalten sich auch andere Social-Media-Unternehmen wie Facebook oder Twitter. So bleiben trotz der Anstrengungen der einzelnen Tech-Firmen Falschbehauptungen ungelöscht.

Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger analysiert seit Beginn der Corona-Krise den Mitgliederzuwachs relevanter Telegram-Gruppen. Für BR24 hat er die aktuellen Zuwachsraten erneut aktualisiert (Stand 15. April). 20 Prozent mehr Abonnenten innerhalb einer Woche bei Kanälen, die Verschwörungsmythen verbreiten, seien nicht ungewöhnlich, so Holnburger, manche Kanäle hätten ihre Abonnentenzahlen seit Beginn der Corona-Krise (Stichtag 17. März) sogar verdreifacht. Holnburger betont, dass zahlreiche Kanäle und Plattformen Zuwächse verzeichnen würden. Telegram, das besonders stark von rechten und verschwörungstheroretischen Gruppen genützt würde, verzeichne gerade bei rechten Kanälen Steigerungen, die Politikwissenschaftler Holnbruger als "massiv" und "besonders auffällig" bezeichnet.

Die ARD-Sendung Monitor arbeitete in einem Beitrag über betreffende Kanäle heraus, dass es "bei Verschwörungstheorien zu Corona um viel mehr als nur um unterschiedliche Meinungen zur Gefährlichkeit des Virus" geht. Vielmehr sei eine Verbindung zum Rechtspopulismus evident, im Fokus stehe nicht Aufklärung, sondern politische Mobilisierung.

Weniger Falschmeldungen - mehr Verschwörungstheorie

Wissenschaftliche Untersuchungen und vor allem Daten zu Telegram-Nutzung gibt es derzeit noch nicht. Facebook, das als soziales Netzwerk weiterhin ein wichtiger Ausspielweg der "Alternativen Medien" ist, teilt seit einigen Jahren Informationen für Forschungszwecke. Dadurch konnte eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Münster Posts der "Alternativen Medien" in der Frühphase der Corona-Pandemie genauer untersuchen. Auch ihnen fällt auf - wie dem Politikwissenschaftler Josef Holnburger im Zusammenhang mit den Mitgliederzahlen auf Telegram - dass die Interaktionsrate sowie die Häufigkeit der Posts zunehmen. Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich auch in klassischen Medien: Die Einschaltquoten und Abrufe auf deren Seiten stiegen durch die Ausbreitung des Virus signifikant.

Die Autoren der Studie betonen jedoch auch, dass sich in den Berichten der "Alternativen Medien" das Weltbild widerspiegelt, das sie auch schon vor der Corona-Krise charakterisierte, also eine "populistische, gegen-das-System- und anti-establishment- Perspektive". Die Wissenschaftler sprechen davon, dass zahlreiche "Alternative Medien" einen "pandemischen Populismus" verbreiten - unter anderem, indem sie fragwürdigen Ärzten eine Plattform bieten.

Eine weitere Erkenntnis der Studie lautet, dass Akteure vor allem falsche Informationen teilen, die in die jeweilige Ideologie eingepasst sind. So werden beispielsweise, wie in Teil 2 der Analyse gezeigt wird, in rechten und rechtsextremen Kreisen Corona-Behauptungen mit Asylfragen verbunden.

Krisenzeit ist Verschwörungszeit

Ein weiteres Beispiel, wie ideologische Mythen die aktuelle Pandemie nutzen, zeigt sich in zahlreichen antisemitischen Verschwörungen. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, sagte im ARD extra vom 9. April:

"Krisenzeiten waren schon immer Hochzeiten des Judenhasses." Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Bereits im Mittelalter schrieb ein antisemitischer Verschwörungsmythos den Juden die Schuld an der Verbreitung der Pest zu. Zur erschreckenden geschichtlichen Kontinuität gehört, dass heute Anhänger zahlreicher Verschwörungsmythen Juden für die Ausbreitung des Virus verantwortlich machen. Beispielsweise wenn Karikaturen von Juden verbreitet werden, die an jene im NS-Propagandaheft "Der Stürmer" erinnern. So passt sich jahrhundertealter Hass der neuen Situation an.

Wie Rechte und Rechtsextreme versuchen die Corona-Krise für sich zu nutzen finden Sie im zweiten Teil der Analyse. Weitere Texte und Recherchen des BR24 #faktenfuchs finden Sie hier.

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