Mit einem Smartphone scannt eine Diabetikerin ihre Blutzuckerwerte, die mit einem Sensor am Oberarm gemessen werden.
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Mit einem Smartphone scannt eine Diabetikerin ihre Blutzuckerwerte, die mit einem Sensor am Oberarm gemessen werden.

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Android-Update kann für Diabetiker gefährlich werden

Viele Diabetiker nutzen digitale Glukosesensoren, die mit dem Smartphone verbunden sind. Ist der Blutzucker gefährlich niedrig, wird Alarm ausgelöst. Doch bei Android-Geräten können nach einem Software-Update solche Warnungen ausbleiben.

Ein Ausflug mit dem Motorrad, der Blutzuckerspiegel sinkt ab. Im schlimmsten Fall fällt der Fahrer in Ohnmacht und verunglückt. Ein Horrorszenario für Benjamin Böhm. Er ist Motorradfahrer und stellvertretender Bundesvorsitzender des Deutschen Diabetikerbunds.

Um solche Situationen zu vermeiden, muss er regelmäßig seine Blutzuckerwerte kontrollieren. Dafür nutzt er, wie Millionen von Diabetespatienten auf der ganzen Welt, digitale Messgeräte. Ein Sensor, der zum Beispiel im Oberarm steckt, misst ständig den Glukosewert und übermittelt ihn direkt an das Smartphone. Droht der Blutzuckerspiegel anzusteigen oder gefährlich abzusinken, gibt das Handy eine Warnmeldung aus und der Patient kann etwa eine Cola trinken, um gegenzusteuern.

Warnungen auf Smartphones bleiben teilweise aus

Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks besteht die Gefahr, dass genau diese Warnmeldungen bei bestimmten Smartphones ausbleiben können, mit potentiell gefährlichen Folgen. Hintergrund ist ein Problem mit der Version 13 des Handy-Betriebssystems Android von Google, die im August 2022 veröffentlicht wurde. Damit das Smartphone im Ernstfall eine Warnung abgeben kann, muss die Bluetooth-Verbindung zwischen Messgerät und Telefon zuverlässig funktionieren. Doch seit dem Update melden Patienten immer wieder Probleme genau damit.

Problem besteht seit August vergangenen Jahres

"Die Verbindung bricht ständig ab", schreibt ein anonymer Nutzer bereits im August vergangenen Jahres im Google-eigenen Supportforum, wenige Tage nachdem das Update erschienen war. "Das ist ein ernsthaftes Problem für Diabetiker", schreibt ein anderer. Ein Google-Mitarbeiter verspricht damals, man kümmere sich um das Problem.

Doch auch mehr als fünf Monate später berichten Nutzerinnen und Nutzer immer noch von Problemen mit der Bluetooth-Verbindung zwischen Smartphone und Sensor. "Bitte beheben Sie das so schnell wie möglich, es könnte um Leben und Tod gehen", schreibt jemand Anfang Februar. "Ich habe erst gemerkt, dass mein Blutzuckerspiegel niedrig war, als ich bereits gefährliche Symptome hatte", schreibt ein anderer Mitte Januar.

Der Diabetologe und Präsident der "International Diabetes Federation, Peter Schwarz vom Universitätsklinikum Dresden beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Glukosemesssystemen. "Ich finde es fatal, dass der Patient durch ein Update eines Betriebssystems in eine Situation kommen kann, dass er potenziell gefährdet ist", sagt er im BR-Interview. Dass durch fehlerhafte Bluetooth-Verbindungen lebensbedrohliche Situationen entstehen, erwartet er nicht.

Die Patienten seien geschult, auf Symptome zu achten und im Zweifel den Blutzuckerwert mit einem Piks in den Finger nachzumessen. Aber es könne sein, dass Patienten, die keine Symptome verspürten, eine schwere Unterzuckerung bekämen. "Das kann im Einzelfall für den Patienten auch gefährlich sein."

Google räumt das Problem ein

"Wir sind uns des Problems bewusst, welches bei einigen Nutzern die Bluetooth-Konnektivität beeinträchtigt hat, und haben dafür im Dezember 2022 eine Lösung veröffentlicht", schreibt Google auf BR-Anfrage. Gemeint ist ein Software-Update, das Nutzerinnen und Nutzer installieren können.

Allerdings: Erfahrungsgemäß dauert es, bis alle Hersteller von Android-Smartphones die entsprechenden Updates für ihre Geräte zur Verfügung stellen und alle Nutzer diese auch installieren. So erklären sich möglicherweise die Erfahrungsberichte im Internet, in denen die Verbindungsprobleme bis heute beschrieben werden. Weitere Fragen, etwa wie viele Menschen betroffen sind, und ob Google Diabetes-Patienten oder die Hersteller der Glukosesensoren darüber informiert hat, bleiben unbeantwortet.

Die beiden führenden Sensor-Hersteller, Abbott und Dexcom, empfehlen Nutzerinnen und Nutzern, auf ihren Smartphones automatische Betriebssystem-Updates zu deaktivieren und neue Versionen nur dann zu installieren, wenn sie von den Herstellern geprüft wurden.

Abbott teilt nach der BR-Anfrage außerdem mit, man habe das Problem identifiziert und arbeite daran, es so schnell wie möglich zu beheben. Kundinnen und Kunden seien informiert worden. Dexcom gibt an, seine Geräte seien mit Android 13 nicht kompatibel, das konkrete Problem sei nicht bekannt.

Dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) liegen 39 Meldungen zu Sensoren zweier Hersteller vor, die mit der Problematik in Verbindung stehen könnten. Die Untersuchungen dauerten an, teilt das BfArm auf BR-Anfrage mit. Man gehe nicht von einem systematischen Produktmangel der Sensoren aus.

Auch mit Apple-Produkten hat es in der Vergangenheit schon vergleichbare Bluetooth-Probleme gegeben. Der Sensor-Hersteller Abbott veröffentlichte im vergangenen Jahr eine "dringende Sicherheitsinformation" für Patienten, die seine Sensoren mit Apple-Endgeräten nutzen. Apple äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu.

Experte bemängelt unklare Verantwortlichkeit

"Es ist gar nicht so einfach zu sagen, wer für das Problem verantwortlich ist", sagt Diabetologie-Professor Schwarz. Viele Parteien seien involviert: Sensor-Hersteller, Smartphone-Hersteller, Anbieter des Betriebssystems, Behörden, Ärzte und Patienten. "Ich denke, hier wäre eine übergreifende Zusammenarbeit wichtig, um das Problem zu identifizieren und zügig zu lösen."

Die Technologie an sich sei ein Segen für die Patienten, meint Schwarz. Aber eben nur dann, wenn sie wirklich gut funktioniere. "Ich denke, das Problem muss gelöst werden, und die Patienten und die Ärzteschaft müssen darüber informiert werden."

Benjamin Böhm vom Deutschen Diabetikerbund fordert, die Geräte- und Softwarehersteller sollten Patienten mit in die Produktentwicklung einbeziehen. "Damit Fehler und Probleme, die sich auf die Behandlung auswirken können, frühzeitig bekannt und Patienten informiert werden." Wenn solche Fehler passierten, sei es wichtig, dass sie ernst genommen und schnell behoben würden.

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