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Vorgeschichte Der lange Kampf mit "Mein Kampf"

Drucken oder nicht? Die Neuedition von Hitlers "Mein Kampf" ist keineswegs unumstritten. Und es war ein langer, zäher Weg hin zur kommentierten Auflage.

Von: Thies Marsen

Stand: 18.01.2016 | Archiv

Institut für Zeitgeschichte: Historisch-kritische Edition von "Mein Kampf" | Bild: Institut für Zeitgeschichte

Seit 1. Januar 2016 darf Hitler wieder gedruckt werden - theoretisch. Denn die bayerische Staatsregierung hat bereits angekündigt, gegen jede Neuauflage zu klagen - wegen Volksverhetzung. Ob sie damit Erfolg hat, müssen dann die Gerichte entscheiden.

Ganz anders geht man das Thema im Münchner Institut für Zeitgeschichte an: Dort hat ein Team von Historikern eine kommentierte Neuedition von "Mein Kampf" erarbeitet. Das Interesse ist enorm: Schon vor dem Erscheinen am 8. Januar waren 15.000 Vorbestellungen eingegangen.

"Es gibt glaube ich sehr viele wissenschaftliche Gründe eine solche Edition zu machen. Im Gegenteil: Es war ein schweres Desiderat, würde ich sagen, der NS-Forschung, dass es das nicht gab bisher. Aber es kommt schon auch ein politisch-moralischer Grund hinzu: Wenn man den Text jetzt nach der Gemeinfreiheit wirklich völlig frei vagabundieren ließe, dann wäre das glaube ich eine Strecke weit unverantwortlich."

Andreas Wirsching, Leiter IFZ

Erst Blockade - dann Dialog

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Erste Pläne, "Mein Kampf" in einer kommentierter Neuedition aufzulegen, gibt es schon seit Mitte der 1990er Jahre. Doch das bayerische Finanzministerium verweigerte als Rechteinhaber stets die Zustimmung. Erst 2012 kam Bewegung in die Angelegenheit, nachdem der britische Verleger McGee seine umstrittenen "Zeitungszeugen" an den Kiosk gebracht hatte - Nachdrucke von Nazi-Zeitungen wie dem antisemitischen Hetzblatt "Der Stürmer".

Als McGee auch "Mein Kampf" neu auflegen wollte, konnte der Freistaat das zwar mit Hilfe des Urheberrechts noch verhindern, doch dämmerte einigen Ministerialbeamten, dass dieses Rechtsmittel bald hinfällig würde.

Und plötzlich ging alles ganz schnell: Der bayerische Landtag beschloss einstimmig, eine Expertenkommission zu bilden und der zuständige Finanzminister Markus Söder lud zum runden Tisch.

"Wir wollen eine wissenschaftliche Edition erarbeiten mit über 500.000 Euro, die eingesetzt werden, um einen Standard zu setzen, und zwar einen Standard international, in deutscher und in englischer Sprache, möglicherweise über E-Book, so dass es international auch tatsächlich ein deutsches Werk gibt zu dem Thema. Dazu soll es ein niederschwelligeres Angebot für Schulen geben, ausgewählte Texte in Bezug gesetzt, um den Irrsinn dieser Schrift zu erklären."

Finanzminister Markus Söder (CSU)

Israelische Intervention

Doch der Plan einer Neuedition, gar eines Schulbuchprojektes, stieß nicht überall auf Wohlwollen – insbesondere nicht bei einigen Überlebenden der Vernichtungspolitik der Nazis. Selbst Israels früherer Präsident Schimon Peres intervenierte bei Ministerpräsident Horst Seehofer, der schließlich die Unterstützung des Freistaates rückgängig machte.

"Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag stellen in Karlsruhe und anschließend als Staatsregierung sagen, jetzt gebe ich auch noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von 'Mein Kampf' - das geht schlecht."

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU)

"Mein Kampf" als Lehrstück

Das Hin und Her der Staatsregierung lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit nun erst recht auf das Projekt Neuedition, selbst internationale Medien wie die New York Times, die BBC oder das japanische Fernsehen berichteten. Immerhin durfte das Institut für Zeitgeschichte einen Zuschuss des Freistaats über eine halbe Million Euro behalten, so dass am 8. Januar die kommentierte Neuedition vorgestellt werden kann. Und es gibt durchaus auch Überlebende der Nazigräuel, die das Projekt positiv sehen - so wie Ernst Grube, Jahrgang 1932, der als Kind das KZ Theresienstadt überlebte und heute in der Erinnerungsarbeit aktiv ist:

"Ich meine, dass die Wenigsten über den Inhalt, den konkreten Inhalt dieses Buches 'Mein Kampf' Bescheid wissen, und dass ich es auch für wichtig halte, dass hier eine Grundlage besonders für Pädagogen und für Personen, die in der Bildungsarbeit sind - in der Schule, in der Erwachsenenbildung sind - dass die Kenntnis haben sollten über die konkreten Dinge, die eigentlich drin sind."

Ernst Grube, Überlebender


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