Sie spielen auf der Bühne und werden gleichzeitig für den großen Videohintergrund gefilmt: Szenenbild von Die verlorene Ehre der Katharina Blum"
Bildrechte: Gabriela Neeb

Ruth Bohsung und Nina Steils in der Volkstheater Fassung von: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum"

  • Artikel mit Audio-Inhalten

Zum Saison-Auftakt: Bölls "verlorene Ehre der Katharina Blum"

Ob Boulevardpresse oder Social Media-Kanäle: Die Mechanismen medialer Manipulation sind dieselben. Regisseur Phillipp Arnold legt sie in seiner Inszenierung von Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" offen.

Eine Zufallsbekanntschaft wird Katharina Blum zum Verhängnis: Der One-Night-Stand an einem Kölner Karnevalsabend entpuppt sich als steckbrieflich gesuchter Krimineller. Katharina gerät erst ins Kreuzverhör der Ermittler, dann ins Visier der Schmutz-Kampagne eines Revolverblatts, das bei Heinrich Böll schlicht "Die Zeitung" heißt, und mit dem er die "BILD" meinte. Die Polizei dreht Katharina die Worte im Mund herum, die Reporter verdrehen die Wahrheit. So wird die Titelheldin Opfer eines analogen Shitstorms.

Die Geschichte der Katharina Blum im Retrolook

Heute findet mediale Erregung nicht nur in der Boulevardpresse, sondern in den sozialen Netzwerken statt. Weil die Dynamik aber im Kern gleichgeblieben ist, muss Hausregisseur Philipp Arnold die Handlung von Bölls Erzählung gar nicht erst in die Gegenwart holen. Die lässt sich in der Vergangenheit auch ohne Übersetzung erkennen. Gespielt wird daher in einer Ausstattung im moderaten Retrolook. Nachrichten kommen aus dem Kofferradio, telefoniert wird mit dem altmodischen Tastentelefon. Und: Die beiden Schauplätze – Polizeistube und Katharinas Wohnung – werden in ihrer Kulissenhaftigkeit ausgestellt. Man sieht die abgestützten Sperrholzwände, umstellt von Scheinwerfern. Die Schauspieler filmen sich gegenseitig, so wird zum Beispiel das Gesicht von Titeldarstellerin Ruth Bohsung, ihr verstörter Blick, als Live-Projektion überlebensgroß sichtbar gemacht.

Erkenntniswert gegen Null

"Die verlorene Ehre der Katharina Blum" will die Mechanismen medialer Manipulation offenlegen. Aber auch das Theater ist ein manipulatives Medium, zumindest da, wo es Illusion erzeugt und mit fiktiven Stoffen echte Emotionen weckt. Bei Philipp Arnold dagegen lässt sich das Theater in die Karten gucken. Mit dem Making-Of-Charakter seiner Inszenierung verbindet sich die Einladung mitzudenken, statt mitzufühlen. Arnold beherrscht seine Mittel souverän, zum Verhängnis indes wird ihm die Vorlage. Bölls Erzählung von 1974 ist mehr Anklage als Analyse. Der Plot entfaltet sich allzu geradlinig, die Unterstellungen und Verleumdungen, denen Katharina Blum ausgesetzt ist, sind recht plump. So tendiert der Erkenntniswert der Aufführung gegen Null.

Einladung zum Denken – schön und gut. Nur leider gibt dieser Theaterabend viel zu wenig Anlass zum Grübeln, so offensichtlich wie hier alles ist.

Aktuelle Debatten, neue Filme und Ausstellungen, aufregende Musik und Vorführungen... In unserem kulturWelt-Podcast sprechen wir täglich über das, was die Welt der Kultur bewegt. Hier abonnieren!