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Schamane und General

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Yoga, Drogen und Revolution: "Tschapajew und Pustota" auf Tour

Yoga, Drogen und Revolution: "Tschapajew und Pustota" auf Tour

Auf dem Kunstfest in Weimar zeigte das unerschrockene "Praktika Teatr" aus Moskau eine wilde Russland-Revue samt schamanistischer Rituale, Experimenten mit Pilzen und Schwimm-Yoga: Ein Abgesang auf den Kommunismus. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Eigentlich war Russland ja schon immer ein Irrenhaus, in dem die Narren beneidenswerte Freiheiten hatten - aber auch nur die. Das macht Ruhm und Tragik des Landes bis heute aus, und davon erzählt der junge Regisseur Maxim Didenko. Was er eigentlich für das kleine Moskauer Theater Praktika inszeniert hat, das lässt sich gar nicht so einfach beschreiben: "Tschapajew und Pustota", das ist ein Rockkonzert, ein Drogenexperiment und eine Yoga-Sitzung, aber auch eine schamanistische Meditation, eine grelle Satire, ein lautstarkes Oratorium - jedenfalls ein großer Trauergesang auf Russlands wild bewegte Geschichte im letzten Jahrhundert. 


Erst der Zar und dann die Pilze


Der titelgebende Tschapajew war ein großer General und Revolutionsheld, jeder kennt ihn in Russland bis heute, und Pustota, das ist der idealistische Narr aus Vikor Pelewins viel gelesenem Roman "Buddhas kleiner Finger". Der kam 1996 raus, also in den Jelzin-Jahren, als sich die einen rücksichtslos bereicherten und die anderen brutal verarmten. Der General und der Idealist, die beiden geraten nun in den Malstrom der russischen Geschichte, sie erschießen den Zar, probieren bewusstseinserweiternde Pilze und schalten Geschäftspartner aus. Alles, was in Russland passiert, ist eben vergleichsweise hart, unbarmherzig, drastisch.


Spritze statt Psychoanalyse


Entsprechend heftig ist "Tschapajew und Pustota" - ein großartiges Narrenspiel, das über dreieinhalb Stunden in einer Gummizelle spielte, erst in einer roten, dann einer weißen, schließlich einer blauen. Pustota, der Irre, weiß nicht, wer er eigentlich ist - kein Wunder, nach dem Ende der Sowjetunion - aber der Psychiater heilt ihn mit der Spritze, denn für eine Psychoanalyse ist leider kein Geld da. Christian Holtzhauer, der Chef vom Kunstfest Weimar, hat diese Produktion aus Moskau nach Deutschland geholt, unter erschwerten Bedingungen:


Na, es ist vielleicht ein bisschen komplizierter eine Produktion aus Russland nach Deutschland zu holen als eine Theaterproduktion aus Westeuropa, aber es geht doch. Also, die deutsch-russischen Kontakte sind ja nicht zum Erliegen gekommen, auch, wenn die deutsch-russische Politik so etwas wie eine Auszeit durch macht. Man muss damit rechnen, dass die Schwierigkeiten gar nicht so sehr aus politischem Unwillen entstehen, sondern dass Russland ein sehr bürokratisches Land ist und viele Dinge einfach sehr lange dauern.


Theaterleute: Lage wird bedrohlich


Der junge Regisseur Maxim Didenko verrät beim Gespräch an der Bar, dass auch er gerne im Ausland arbeiten würde, am liebsten in Deutschland. In Russland haben es die Theaterleute unter Putin zunehmend schwer, wobei Didenko noch vergleichsweise gut da steht, weil seine Arbeiten recht avantgardistisch sind, also von vielen gar nicht verstanden werden. Trotzdem wird die Lage bedrohlich. Kunstfest-Chef Christian Holtzhauer:


Man kann mit russischen Künstlern reden, und die sagen einem auch offen, was sie von der russischen Politik halten. Die machen auch keinen Hehl daraus, dass sie sich in Russland oft nicht wohlfühlen. Trotzdem ist es so, dass die Situation für Künstler sich verschärft hat. Zum Beispiel ist der Staat dazu übergegangen, die Verträge der künstlerischen Leiter der Theater auf ein Jahr zu befristen. Die können verlängert werden, aber wenn sich jemand „daneben“ benimmt, dann kann der auch ganz schnell vor die Tür gesetzt werden. Und diesen Druck, den bekommen die Künstler zu spüren. Das jüngste Beispiel ist sicherlich der bekannte Regisseur Kirill Serebrennikov, dem ja wegen einer Lappalie der Prozess gemacht wird, und das ist ein Signal, das in der Kulturszene wirklich ankommt. Da sagt die Staatsmacht: Leute, wenn ihr aufmüpfig werdet, dann haben wir euch ganz schnell am Schlafittchen.


"Weimar hat kommunistische Vergangenheit"


100 Jahre Kommunismus, das war das Motto des diesjährigen Kunstfests in Weimar - passend zum runden Jahrestag der Oktoberrevolution. Was im Westen allenfalls Historiker interessiert, das hat im Osten erhebliche Brisanz, schließlich war die DDR ein Gesellschaftsexperiment mit kommunistischem Anspruch. Christian Holtzhauer:


Weimar hat einfach auch eine kommunistische Vergangenheit. Vierzig Jahre DDR sind an dieser Stadt nicht spurlos vorbeigegangen. Ob man das möchte oder nicht: Das hinterlässt bestimmte Prägungen, und denen muss man sich stellen.


Ob der Kommunismus wirklich nur was ist für Narren und Diktatoren, diese Frage bleibt spannend, umstritten, ja umkämpft. Immerhin gibt es Länder wie China und Venezuela, die sich immer noch an dieser Utopie abarbeiten, und der 200. Geburtstag von Karl Marx steht nächstes Jahr vor der Tür. Der Narr Pustota hat also noch viel zu tun.