Mitwirkende auf dem Balkon
Bildrechte: Leonid Levi Zimmermann/Komödie im Bayerischen Hof
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Stress am Heiligabend

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Wir schenken uns nichts: "Weihnachten auf dem Balkon"

Wir schenken uns nichts: "Weihnachten auf dem Balkon"

Zwei Familien, das Fest der Liebe und hohe Außentemperaturen: Der französische Boulevardautor Gilles Dyrek machte daraus 2015 eine erfolgreiche Komödie, die weitgehend ohne Handlung auskommt. Der doppelte Festtagsstress ist unterhaltsam genug.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Klar, auf dem Balkon wurden früher an Heiligabend die Getränke gekühlt, die Lachshäppchen frisch gehalten und auch mal eine Kippe angezündet, aber gesungen wurde doch meist drinnen, unter dem Baum. Der Klimawandel hat da einiges durcheinandergebracht, auch in der Komödie "Weihnachten auf dem Balkon" (Noël au balcon), die jm Februar 2015 im Café de la Gare in Paris uraufgeführt wurde. Dort lässt der französische Erfolgsautor Gilles Dyrek, Jahrgang 1966 ("Venedig im Schnee"), zwei Familien mehr oder weniger durchgehend an der frischen Luft "feiern", wobei das natürlich nur eine Umschreibung für Nervenzusammenbrüche, Alkoholmissbrauch und zwischenmenschliche Gemeinheiten ist. Regisseur Pascal Breuer hat sich das Stück jetzt in der Übersetzung von Annette und Paul Bäcker für die Komödie im Bayerischen Hof in München vorgenommen und damit das Publikum weitgehend überzeugt.

Neurosen unter freiem Himmel

Eine Handlung im engeren Sinne gibt es zwar nicht, aber die Menagerie an Gestalten, die sich hier einfinden, ist als solche kurzweilig genug, zumal sechs Schauspieler in zwölf Rollen schlüpfen und dabei auch mal szenisch durcheinandergeraten - absichtlich natürlich. Das macht Tempo und gute Laune, und darauf kommt es auf dem Boulevard ja an. Das können sie eben, die Franzosen: Aus klischeehaften Situationen und Figuren allein mit Dialogwitz unterhaltsame zweieinhalb Stunden basteln. Die böse Schwiegermutter, die überforderte Hausfrau, der softige Ehemann, der umtriebige Bruder, der genderneutrale Enkel, die verpeilte Schwangere, der emsige Waldorf-Schüler und die wechselfreudige Liebhaberin - sie alle drängeln sich auf zwei benachbarten Balkonen und geben sich ihren Neurosen hin.

Pointen wie Eiswürfel

Dabei drohen eine Entbindung mit der Geflügelschere, ein Seitensprung mit Hindernissen, ein Weihnachtsmann mit Vollrausch und eine Bowle mit Ratte, um nur die wichtigsten Stationen auf dem Weg ins Chaos zu nennen. Dazwischen wird die Regenrinne demoliert, etwas Karate geübt und die genaue Fallhöhe vom Balkongitter bis zum Boden abgeschätzt. Gut, dass die erste Zuschauerreihe vor unerwarteten Knalleffekten gewarnt wird. Der Reis, der am Ende geworfen wird, schafft es allerdings nicht ganz bis ins Publikum (Ausstattung Markus Ganser).

Fernsehbekannte Stars wie Saskia Vester, Daniel Morgenroth und Aykut Kayacik gehören natürlich zu so einer weihnachtlichen Schwank-Sause zwingend dazu, und sie machen ihre Sache gut, weil sie es mit der Hysterie nicht übertreiben, sondern sich eher lässig bis entspannt durch den Abend kämpfen. Der sprichwörtliche Schnee rieselt ja bekanntlich leise, nicht ohrenbetäubend. Regisseur Pascal Breuer weiß offenbar, dass es in der französischen Boulevardkomödie ganz falsch wäre, witzige Dialoge auch noch betont witzig spielen zu wollen. Da ist weniger in der Regel mehr: In Paris plaudern sie sich ja mit einer gewissen Nonchalance durchs Leben und werfen sich die Pointen eher wie Eiswürfel an den Kopf. Nudelholz-Komik, wie sie in Deutschland geschätzt wird, wäre da völlig fehl am Platz.

Schunkeln zu "Fiesta Mexicana"

Hier und da hätte Gilles Dyrek seinen Text ruhig noch etwas schärfer würzen können, aus Reizthemen wie der Gender-Debatte, der schinkenfreien vegetarischen Ernährung oder einem Jesuskind mit schwarzer Hautfarbe hätten sich noch mehr satirische Funken schlagen lassen. So verpufften die Anspielungen doch ziemlich beiläufig in Wohlgefälligkeit, weil sich hier lauter liebe, nette Menschen trafen, die nichts gegen einen Joint haben und auf saubere Wortwahl achten. Die Kontraste hätten greller sein können: Ein chauvinistischer Opa, eine frömmelnde Tante oder eine aktivistische Klima-Kleberin hätten die Farbpalette deutlich erweitert und breitere Risse in der bürgerlichen Fassade freigelegt.

Wer weiß, womöglich schunkeln wir alle schon bald tatsächlich, wie hier vorgeführt, über die Weihnachtstage auf unseren Balkonen und Terrassen "Fiesta Mexicana", während der Wind mediterrane Luft über die Alpen bläst. Dann braucht der Weihnachtsmann aber garantiert keinen Rauschebart mehr, sondern eher Kastagnetten.

Bis zum 7. Januar in der Komödie im Bayerischen Hof in München.

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