Links "Pascale", eine Arbeit von 2004. Mit Pferdehaaren! Und rechts die "Courtyard Tales" von 2018.
Bildrechte: Thomas Dashuber/Diözesanmuseum Freising

Links "Pascale", eine Arbeit von 2004. Mit Pferdehaaren! Und rechts die "Courtyard Tales" von 2018.

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Wieviel ein Engel erträgt: Berlinde De Bruyckere in Freising

Aufgehängte Pferde, bandagierte Bäume: So kennt man die belgische Künstlerin Berlinde De Bruyckere. Im Diözesanmuseum in Freising schlägt sie jetzt einen anderen Ton an: Um "Schutz" geht es hier – um Geflüchtete, warme Decken und erschöpfte Engel.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Engel kennt man von Berlinde De Bruyckere schon, auch für Freising hat sie bereits einen geschaffen, groß und aufrecht steht er seit letztem Herbst auf einer hohen Säule im Lichthof des Museums, den Oberkörper unter einer Decke versteckt, unergründlich, aber sehr präsent. Jetzt ist ein liegender Engel hinzugekommen, kaum, dass man ihn als Engel erkennen kann.

Wieviel kann man als Engel ertragen?

Kopf und Oberkörper sind unter einem Kuhfell verborgen, Ausbuchtungen am Rücken lassen die Flügel erahnen. Ganz gerade liegt er da, auf einem brusthohen Podest, oder ist es ein Sarkophag? Wir sehen nur die Beine des Engels, mit den Fußsohlen nach oben, das Gesicht muss also der Erde zugewandt sein. Ist er tot? Nein, sagt die Künstlerin, aber sehr erschöpft: "Wieviel kann man als Engel ertragen, bevor man müde wird und zu Boden geht? Die Bewegung von aufrecht zu liegend führt für mich nicht vom Leben zum Tod, ich denke er ist einfach müde und braucht eine Pause."

An den Wänden und in Vitrinen einige frühe Zeichnungen und Collagen der Künstlerin, zwei Motive dominieren: Flügel und Käfig. Die Dualität des Lebens in Form von Freiheit und Abhängigkeit, von Leben und Tod hat Berlinde De Bruyckere seit ihren künstlerischen Anfängen beschäftigt.

Metzgerstochter Berlinde

Den Tod hat sie dabei früh als Teil des Lebens kennengelernt: Sie stammt aus einem Metzgerhaushalt, ihr Vater war zudem Jäger. Die Scheu oder auch Abneigung manch eines Besuchers beim Anblick eines gehäuteten Rehs oder vor einer Figur mit Haut so weiß wie die einer Wasserleiche, diese Scheu kennt sie nicht. Sie will mit ihrer Kunst Hoffnung geben. Diese Hoffnung manifestiert sich in der Hingabe und der Liebe, mit der sie ihre Werke und das Material behandelt, in der Arbeit mit dem empfindlichen Wachs, mit Haaren, Fellen und Decken.

Im Lichthof des seit vergangenem Herbst wieder geöffneten Diözesanmuseums hat sie zwei Betten installiert, über und über mit Decken belegt. Die Betten beziehen sich auf die Geschichte des Hauses, das eine Zeitlang als Hospital diente, aber auch der Ukraine-Krieg klingt an. Decken sind ein klug gewähltes Material: Eine Decke spendet Wärme, sie markiert den intimsten Bereich unserer Leben, wir schlafen unter Decken, wir machen Liebe unter Decken, wir sterben unter einer Decke. Monatelang hat De Bruyckere die Decken im Freien gelassen, in den Händen der Natur und der Zeit.

Bettdecken - und wofür sie hier stehen

Die Natur hat mitgestaltet, sagt sie, doch was da Schutz geben soll, ist dabei auch selbst ein bisschen kaputtgegangen, hat Löcher, Wunden, beginnt, sich aufzulösen. Und so steht die Decke nicht nur für Schutz, sondern auch für das Scheitern, das Scheitern unserer Gesellschaft, etwa als während der Corona-Pandemie Tausende Menschen allein sterben mussten. Da haben auch die Decken nicht geholfen.

"In den 90ern haben wir Decken in Kriegs- oder Krisengebiete geschickt, alle sammelten damals Decken, die nach Afrika oder anderswohin gingen. Aber später habe ich gemerkt, dass wir zu viel versprochen haben. Es war eine große Lüge. Unserer Gesellschaft hat versagt. Wir konnten keinen Schutz und keine Wärme geben."

Berlinde De Bruyckere versucht gar nicht erst, die krassen Gegensätze des Lebens aufzulösen, sondern lässt sie in ihrer Kunst so nebeneinanderstehen, wie sie nun einmal nebeneinander existieren. Ihre Werke sind keine Kuschelkunst, aber auch kein Ausflug ins Gruselkabinett, es ist einfach nur die Darstellung des Lebens, mit all seinen Bestandteilen. Genau darin liegt das Tröstende ihrer Kunst.