Kürzlich sah man den amerikanischen Präsidenten Donald Trump auf Fotos vor diversen aufgestellten Mauerteil-Prototypen sinnieren wie vor dem Sortiment eines Freiluft-Baumarktes. Mauern sind Chefsache – und wieder im Kommen. "Welt aus Mauern" ist die Kulturgeschichte betitelt, die der Historiker und Journalist Tobias Prüwer zum Thema der Stunde verfasst hat. Barbara Knopf hat mit ihm gesprochen.
Barbara Knopf: Herr Prüwer, Sie schreiben: Mauern sind die Stützen der Gesellschaft. Das heißt, Sie grenzen auch die positiven Gedanken über Mauern nicht aus.
Tobias Prüwer: Nein, das wäre ja auch vermessen zu sagen, Mauern wären nur böse oder Mauern sperrten nur ein. Ich nenne sie auch "Prothesen zur Freiheit": Damit ist gemeint, dass man sich sozusagen einhaust, sei es in den eigenen vier Wänden, sei es, dass man sich früh eine Höhle sucht, also gar nicht Mauern baut, sondern sich einfach hinter irgendetwas zurückzieht. Das ist ja erst
einmal Schutz. Und dann ist "Prothesen zur Freiheit" auch so gemeint, dass ich meinen Garten einhegen und damit eben von der Wildheit der Natur abgrenzen kann. Eine der frühesten oder sogar die früheste Zeichnung eines Gartens aus Sumer ist einfach eine Mauer mit einem Baum drin. Womit auch wieder ausgedrückt ist: Die Natur, die eingehegt ist in der Mauer, gehört zur Zivilisation.
Sie haben sehr viele Beispiele in Ihrem Buch: ausgrenzende Ghettos, die moderne Variante des Slums, der besinnliche hortus conclusus, die Klagemauer in Jerusalem. Selbst im Luftraum gibt es die Schallmauer, und die Stadtmauer wurde einmal als so heilig angesehen, dass Romulus seinen Bruder Remus erschlug, als der darüber sprang. Das heißt: Mauern schaffen immer auch einen Mythos. Und mir scheint – und Sie sagen das auch – es gibt wieder eine Renaissance der Mauer. Warum?
Ich glaube, dass das genau mit so einem Mythos zu tun hat oder mit einer mythischen Ebene zumindest. Wenn man sich "Game of Thrones", diese Fantasy-Serie, anguckt, geht es auch dort in sieben oder acht Teilen eigentlich um nichts anderes, als darum, eine große Mauer zu beschützen, die die Zivilisation gegen irgendeine Wildheit abschirmt. Der erste große Blockbuster aus China, der den Hollywood-Markt stürmen sollte, handelte auch wieder von einer mythischen Mauer, die irgendwelche dämonischen Wesen draußen halten sollte. Die Zeit scheint mental wieder reif zu sein für so eine Mauer-Mythos-Geschichte. Gerade wenn seit mehreren Jahren "Flüchtlingsströme", "Flüchtlingswellen und –lawinen", wie Wolfgang Schäuble sie genannt hat, beschworen werden, kommen auch wieder mythische Bilder von einer Menschenmenge hoch, die nicht individuell ist, sondern gesichtslos, die über uns "herüberschwappt" – und jene Bilder, dass man Staudämme braucht, Mauern, Zäune, um sie einzudämmen.
Sie beschreiben als Phänomen der Jetztzeit auch Mauern, die Sie "kybernetische Mauern" nennen. Was genau verstehen Sie darunter?
Die Kybernetik ist die Lehre des Steuerns und des Lenkens, sie kommt eigentlich aus der angewandten Physik. Ich habe den Begriff angewandt bei diesen Shoppingmalls, die versuchen, perfekte Labyrinthe zu sein. Labyrinthe steuern ja im Gegensatz zu Irrgärten bewusst die Wege von Menschen, und das versuchen Shoppingmalls ganz genauso zu machen. Da wird warenpsychologisch jeder Gang vermessen, da wird geschaut, ob ein Mensch lieber 50 Meter oder 60 Meter geht, welche Abstände zwischen Schaufenstern zu sein haben, um die Konsumentenströme ideal zu lenken und zum maximalen Kaufanreiz zu ermuntern.
Am Schluss Ihres Buches lassen sie den Historiker Rafael Seligmann zu Wort kommt, der sagt: Jede Mauer wird scheitern.
Ja klar, jede Mauer stellt auch eine Herausforderung dar. Es gibt ein schönes Zitat von einem US-Grenzschützer, der unten die Mauer zu Mexiko schützt – oder eben nicht schützt: "Zeigen Sie mir eine acht Meter hohe Mauer, und ich zeige Ihnen eine acht Meter zehn hohe Leiter." Historisch gesehen wurden Mauern immer irgendwie umgangen, untergraben, geschliffen und überklettert.
Müssen wir uns also gar keine Sorgen machen über Mauern?
Als Individuum müssen wir uns schon Sorgen machen. Wenn wir jetzt mal die Berliner Mauer nehmen, die deutsch-deutsche Teilung, die hat 28 Jahre gehalten. In der Geschichte ist das natürlich ein Wimpernschlag, aber für ein Individuum sind 28 Jahre eine extrem lange Zeit. Ich würde mir also schon Sorgen über Mauern der Jetztzeit machen, weil sie einfach Menschen immer noch ausschließen, Menschen übers Mittelmeer kommen lassen, die dann vielleicht ertrinken. Mauern schaffen tragische Schicksale, auch wenn sie natürlich historisch gesehen auf lange Sicht einfach interessant sind und man vielleicht auch prognostizieren kann, dass sie nicht lange halten.
"Welt aus Mauern. Eine Kulturgeschichte" von Tobias Prüwer ist im Wagenbach Verlag erschienen.