"Als was gehst du?" "Als Indianer." Ein Alltagsgespräch zu Fasching birgt Zündstoff, um trefflich über kulturelle Aneignung zu streiten.
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"Als was gehst du?" "Als Indianer." Ein Alltagsgespräch zu Fasching birgt Zündstoff, um trefflich über kulturelle Aneignung zu streiten.

    Blackfacing bis Winnetou: Problemskizze kulturelle Aneignung

    Kulturelle Aneignung, das klingt ziemlich abstrakt. Darum geht's aber immer wieder in Debatten etwa um Winnetou oder im Fasching bei der Frage: Als was gehst du? Kaum eine Diskussion wird derzeit so erhitzt geführt wie die über kulturelle Aneignung.

    Zuletzt war es Helge Schneider, der beim Thema kultureller Aneignung polarisierte: "Interessiert mich 'nen Scheißdreck." Damit war für den Musiker und Entertainer die Sache klar. Genauer die Sache, die er so entschieden kommentierte: In ihrer ARD-Talkshow "Maischberger" bat Moderatorin Sandra Maischberger ihren 67-jährigen Gast Anfang Februar um ein Statement zu der diskutierten Forderung, "dass ein weißer Musiker kein Jazz und kein Reggae spielen soll".

    "Machtasymmetrien" entscheidend für Emotionalität der Debatte

    Eben dies ist ein Beispiel für kulturelle Aneignung. Vereinfacht gesagt meint das die Übernahme von Ausdrucksformen aus einer Kultur in die eigene. In der öffentlichen Debatte ist das Stichwort zumeist ein Vorwurf an diejenigen, die "kulturell aneignen". Denn Aneignung habe immer eine Richtung, sagt der Frankfurter Ethnologe Hans Peter Hahn BR24: "Wenn diese Richtung hin zu einer dominanten, machtvollen Gruppe führt, bringt sie auch eine Demütigung und Schwächung der weniger machtvollen, marginalisierten Gruppe mit sich."

    Ein Beispiel für aufgeheizte Debatte um kulturelle Aneignung: die Entscheidung des Ravensburger Verlags, zwei Begleitbücher zu einem Winnetou-Film zurückzuziehen. Weiße würden darin in fragwürdiger Weise die Traditionen der amerikanischen Ureinwohner für Unterhaltungszwecke ausbeuten, so die Kritik. Die einen hielten das für komplett übertrieben und sahen eine gottgleiche Helden-Figur ihrer Kindheit in Verruf gebracht. Andere hatten das Gefühl, dass da vielleicht doch etwas dran sein könnte.

    "Blackfacing" als Negativbeispiel für kulturelle Aneignung

    Ein anderes Beispiel: das so genannte "Blackfacing", wenn sich also weiße Menschen mit schwarzer Farbe schminken, um sich als Afrikaner darzustellen. Dem Vorwurf sahen sich etwa "Die Sternsinger" konfrontiert, die immer rund um den 6. Januar in den Rollen der Drei Könige von Haus zu Haus ziehen, um Spenden zu sammeln. In diesem Jahr hatte das katholische Kindermissionswerk entschieden, keinen "schwarzen König" mehr loszuschicken.

    Auf ihrer Homepage verweisen die "Sternsinger" auf so genannte "Minstrel Shows" aus dem 18. und 19. Jahrhundert, in denen sich weiße Amerikaner zur Belustigung schwarz anmalten. "In Stereotypen und Klischees wurden die Nachkommen der Sklaven verunglimpft. Unterdrückung und Gewalt gingen mit dieser Diskriminierung einher", heißt es. Daher könne es für Menschen "störend oder verletzend" sein, wenn sich Sternsinger schwarz schminken.

    Man nehme "alles, außer die Last, die damit verbunden ist, schwarz zu sein"

    Auf den historischen Konflikt zwischen Weißen und Schwarzen in den USA führt der Wiener Soziologe Jens Kasten etwa auch zurück, warum kulturelle Aneignung heute so problematisch ist. Paradigmatisch ist für Kasten der Titel des Buches, das der US-amerikanische Kulturtheoretiker Greg Tate 2003 vorgelegt hat: "Everything But The Burden. What White People Are Taking From Black Culture".

    "Was Weiße also übernommen, letztlich ohne zu fragen genommen haben, war: 'Everything But The Burden' – alles, außer der Last, die damit verbunden ist, schwarz zu sein", so Kasten im "Deutschlandfunk".

    "Aneignung darf nicht nur in eine Richtung verlaufen"

    Der Frankfurter Ethnologe Hans Peter Hahn gewinnt der kulturellen Aneignung unter bestimmten Voraussetzungen durchaus Positives ab. Hahn führt etwa die kulturellen Beziehungen auf Missionsstationen in Südafrika an, wo die lokale Bevölkerung durch Umwandlung und Aneignung aus den Vorschriften der Missionare durch eine "kreative Neuschöpfung" quasi die "Konstituierung eines afrikanischen Christentums" beförderten. "Aneignung war in dieser frühen Phase eine Form des Widerstands gegen die 'europäische' Kirche und führte dann zum Beginn einer neuen Wahrnehmung von Religion", schreibt der Ethnologe.

    Heute muss Hahn zufolge aber klar sein: "Aneignung darf nicht nur in eine Richtung verlaufen, sondern sollte zu einer Beteiligung einer Vielzahl möglichst heterogener Akteure führen." Ein positives Beispiel aus der Ethnologie wäre etwa, wenn Ausstellungen über eine Kultur nicht nur in der Verantwortung europäischer oder deutscher Kuratoren liegen, sondern gemeinsam kuratiert werden und so "zu einer gelebten Kollaboration führen".

    Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

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