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Greta Thunberg

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Warum Greta Thunbergs "Das Klima Buch" wichtig ist

Wissenschaftliche Texte über die Gefahren des Klimawandels gibt es genug. Zusammen mit mehr als 100 Expertinnen und Experten gelingt Greta Thunberg als Herausgeberin in ihrem "Klima-Buch" jedoch etwas Neues.

Über dieses Thema berichtete kulturWelt am .

Die Bücher zum Klimawandel füllen ganze Regale. Braucht es da wirklich einen neuen Sammelband mit über 100 Beiträgen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Aktivisten und sogar einer Literatin?

Unbedingt, denn Klimawandel ist nicht nur eine wissenschaftliche Fragestellung, sondern auch eine Erzählung. Warum? Weil hier die Umsetzung von Erkenntnis lebensentscheidend sein kann. Niemand muss die Eulersche Formel oder die Proppsche Märchentheorie kennen. Aber den Anstieg des Meeresspiegels, die Heftigkeit von Hitzewellen oder das Abschmelzen der Gletscher zu ignorieren, das kann tödlich sein. Die Schwierigkeit: Wann genau was eintritt, kann niemand vorhersagen. Und vieles wird nicht uns, sondern unsere Kinder betreffen.

Wir müssen also nicht für den Augenblick handeln, sondern vorausschauend. Um das zu tun, brauchen wir Geschichten, brauchen ein Narrativ. Und vielleicht sogar öffentliche Figuren wie Greta Thunberg. Die nutzt jetzt die Berühmtheit ihres Namens, um möglichst viele Menschen mit Informationen zur Klimakrise zu versorgen. Ihr Ton ist dringlich, mit wenig Zwischentönen, ermahnend: "Der Klimawandel hat sich schneller als erwartet zu einer Krise entwickelt."

Wovon "Das Klima-Buch" handelt

Was ist hier Wissenschaft, was eine Binsenwahrweit, was eine bloße Behauptung? Viele Autorinnen und Autoren in diesem Band tun gar nicht erst so, als könnten sie auf den wenigen Seiten, die sie zur Verfügung haben, alles erklären. Stattdessen nähern sie sich von verschiedenen Seiten, knüpfen quasi ein Netz. Deutlich wird: Der Klimawandel ist komplex. Verschiedene Treibhausgase spielen eine Rolle, der Permafrostboden, Gletscher und Wolkenbildung.

Hinzu kommt, dass die Gefahr von Kipppunkten besteht – wenn zwei Entwicklungen sich verstärken. Etwa wenn die Erwärmung von Meeresströmungen nicht nur zu stärkeren Stürmen führt, sondern auch zum Abschmelzen des polaren Eises. Auch wenn niemand exakt das Wann und Wie vorhersagen kann, das sind deutliche Mahnungen und weit mehr als Mutmaßungen. Aber eben keine absoluten Gewissheiten – wie immer bei der Wissenschaft.

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Cover von "Das Klima Buch"

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Aber das heißt eben nicht, dass wir Laien paralysiert mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn vor der Frage stehen müssen: Was tun? Denn nichts zu tun, das wird Seite um Seite immer deutlicher, wäre fatal. Wir lernen zu verstehen, wie sich Methan und Kohlendioxid unterscheiden: Viele Treibhausgase bauen sich ab, nicht so das Kohlendioxid.

Noch in 10.000 Jahren, so der Klimaforscher Zeke Hausfather in seinem Beitrag, werden 20 Prozent der heutigen Verschmutzung in der Atmosphäre aufzufinden sein. Das heißt, wir verunreinigen auf Jahrtausende hinaus die Luft – und zerstören die Zukunft nicht nur unserer Urenkelinnen, sondern auch noch die von deren Urenkelinnen.

Fakten werden in diesem Sammelband zur Verpflichtung

Das ist die Größe dieses Sammelbandes: Fakten werden hier zu einer Verpflichtung – und trotzdem hier unaufgeregt erzählt. Auch wenn manche Texte nichts Geringeres als ein apokalyptisches Bild heraufrufen: die Ausrottung der Menschheit und ein gigantisches Artensterben. Die große Literatin Margarete Atwood wirft daher die Frage auf: Ob wir vielleicht nicht Teil der Lösung, sondern das Problem sind. Schon lange beschäftigt sie sich in der Fiktion mit ökologischen Fragen, in einem ihrer Romane nimmt ein Held eine Triage vor: Müssen vielleicht die Menschen ausgelöscht werden, um alle anderen Arten überleben zu lassen?

Thunberg selbst erscheint – überraschenderweise – zuversichtlich: "Es ist nie zu spät, damit anzufangen, so viel zu retten, wie wir können. Dies ist die größte Geschichte der Welt." Die Lektüre des Buches ist trotzdem deprimierend. Zum Beispiel diese Stelle: Schon 1896 warnte der schwedische Chemiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius davor, dass die Freisetzung von Kohlendioxid zu einer Aufheizung der Atmosphäre führen wird. Seit 125 Jahren ist also bekannt, dass wir mit dem Verbrennen fossiler Energie uns selber schaden – und wir alle, nicht nur die Klimaleugner haben zu wenig getan, um die Erderwärmung zu minimieren.

Was vielleicht lange fehlte: die große Erzählung. Das "How dare you". Das wie könnt ihr nur. Wie also aus vielen Fäden, als Einzelfakten, als Prognosen eine Dringlichkeit erzeugen, die Menschen ihr Handeln überdenken und ändern lässt? Dieser Sammelband allein wird das nicht leisten können. Aber einen starken Strang, um daran viele Netzfäden zu knüpfen, den bietet er.

"Das Klima-Buch" wurde aus dem Englischen von Ulrike und Micheal Bischoff übersetzt, ist bei S. Fischer erschienen, hat 512 Seiten und kostet 36 Euro.